Vertrauensfrage: Alice Weidel ist sauer: AfD-Abgeordneter will für Scholz stimmen

Kanzler Scholz im Amt halten, um den angeblichen „Kriegstreiber“ Merz auszubremsen: Diese Debatte wird in der AfD geführt. Die Parteispitze reagiert darauf vergrätzt.

Am 16. Dezember will SPD-Kanzler Olaf Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen – und die Abstimmung verlieren. Damit soll der Weg freigemacht werden für die vorgezogene Neuwahl des Parlaments am 23. Februar 2025. 

Soweit der Plan. Doch zumindest ein AfD-Abgeordneter möchte wenigstens versuchen, ihn zu vereiteln. Er werde Scholz das Vertrauen aussprechen, bestätigte der Bundestagsabgeordnete Norbert Pohl dem stern. Der Sozialdemokrat sei gegenüber dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als möglicher Kanzler das kleinere Übel. 

„Wir haben bei uns in Thüringen immer schon gesagt, dass die Union unser Hauptgegner ist“, sagte Pohl. „Und im vorliegenden Fall ist es der Kriegstreiber Merz.“

Der Reste-Ampel fehlen 42 Stimmen zur Mehrheit

Über die Absicht des Abgeordneten hatte zuerst „Politico“ berichtet. Zitiert wurde zudem die Abgeordnete Christina Baum, die eine Stimme für Scholz als „eine Überlegung wert“ bezeichnete. Auch der inzwischen fraktionslose Ex-AfD-Abgeordnete Robert Farle sei entschlossen, für den Kanzler zu stimmen, hieß in dem Bericht.

Nun ist es nicht so, dass einige wenige AfD-Abgeordnete Scholz im Amt halten könnten. Die Reste der Ampel kommen nur noch auf 325 der 733 Sitze im Bundestag. Selbst wenn SPD und Grüne aus symbolischen Gründen geschlossen für Scholz stimmen sollten, fehlen für die nötige absolute Mehrheit von 367 Stimmen noch 42 Abgeordnete. 

Darüber hinaus wird – im Unterschied zur Wahl des Bundeskanzlers oder zu einem konstruktiven Misstrauensvotum – die Abstimmung über die Vertrauensfrage offen durchgeführt. Geheime Spielchen sind damit nicht möglich, zumal zusätzlich eine namentliche Abstimmung beantragt werden kann.

Und: Pohl und Baum gehören bald zur Vergangenheit der Fraktion. Er tritt aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder für den Bundestag an, sie verpasste die Nominierung. 

Nahe an Thüringen und AfD-Landeschef Björn Höcke

Dennoch ist der Vorgang peinlich für die AfD, zumal Pohl die Stimmung in den ostdeutschen Landesverbänden aufgreift. „Es gibt dort einige, die mich in meinem Standpunkt verstehen“, sagte er. Vor allem daheim, in seinem Thüringer Landesverband, sei der Rückhalt groß. 

Pohl galt lange als wichtiger Gefolgsmann des dortigen Landesvorsitzenden Björn Höcke, der zuletzt den CDU-Chef deutlich stärker als die Bundesregierung angriff. „Ich halte Friedrich Merz derzeit für den gefährlichsten Mann in Europa“, schrieb Höcke jüngst auf X. „Wenn er als Bundeskanzler mit Taurus-Raketen den Krieg nach Russland trägt, dann dürfte Deutschland zum Schlachtfeld werden.“

Höckes Co-Landeschef Stefan Möller äußert denn auch Verständnis für Pohl. „Die Eskalationspolitik von Friedrich Merz ist in der jetzigen Situation brandgefährlich“, sagte er dem stern. „Ich verstehe den Gewissenskonflikt von Jürgen Pohl und wüsste nicht, wie ich mich verhalten sollte.“

Brandner nennt Diskussion „völlig überflüssig“

Ganz anders äußert sich hingegen Bundesvize Stephan Brandner, der auch aus Thüringen kommt. Es handele sich um eine „völlig überflüssige Diskussion“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem stern. Es gehe ja nicht um Scholz oder Merz, sondern allein darum, ob der Kanzler das Vertrauen hat und ausgesprochen bekomme. „Und da ist für mich und sollte für alle ganz klar sein: Nullkommanix Vertrauen und ein klares Nein bei der zu erwartenden Frage danach.“

Auch Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel reagierte säuerlich. Ihr Sprecher Daniel Tapp verwies gegenüber dem stern darauf, dass man schon seit Monaten Neuwahlen fordere. Das Nein bei der Vertrauensabstimmung sei damit „folgerichtig“.

Ähnlich argumentiert die sächsische Bundestagsabgeordnete Barbara Benkstein. Zwar gebe es vor jeder Abstimmung Debatten, sagte sie dem stern. Aber: „Im konkreten Fall geht es um die Abwahl von Scholz und seiner Resterampe. Die müssen weg. So schnell wie möglich.“ 19: Staatsrechtler Neubewertung der AfD öffentlich machen – 471346ffc7e1dc45

Und Tino Chrupalla? Ihm wird nachgesagt, eher wie Pohl zu denken. Doch Weidels Co-Chef reagierte nicht auf eine Anfrage. Damit ist unklar, ob er die Angelegenheit ähnlich sieht wie Frank Pasemann. Der frühere AfD-Bundestagsabgeordnete, der Chrupallas Umfeld zugerechnet wird und bereits 2020 aus der Partei ausgeschlossen wurde, schrieb auf X: „Allein für diese Position, keine Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern und in Anbetracht der Alternative, einen Kriegskanzler Merz vorzeitig zu inthronisieren, sollte sich jeder Bundestagsabgeordnete gründlich überlegen, ob er dem Misstrauensvotum zustimmt.“

Pohl fasst die Situation in der AfD so zusammen. „Ich vertrete keine Sammlungsbewegung.“ Gleichwohl sei die Fraktion nun „ein bisschen aufgeregt“. 

Und diese Aufregung wird durchaus von Sozialdemokraten und Grünen zur Kenntnis genommen. Im Zweifel, hieß es, würden sich die Regierungsfraktionen wie 2005 bei der Vertrauensfrage des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder verhalten. Damals hatten sich einige Abgeordnete enthalten, um das gewünschte negative Votum abzusichern.

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