Sterbehilfe: Er bringt den Menschen den Suizid bei: Wer ist Philip „Dr. Death“ Nitschke?

Der australische Aktivist Philip Nitschke kämpft nicht für Klima, Kommunismus oder Kinderrechte – sondern für den Tod. Sein Ziel: Suizid als Grundrecht.

Philip Nitschke hat einen Spitznamen, den sonst nur in Serie mordende Ärzte bekommen: „Dr. Death“. Zwar arbeitete auch er mal als Arzt, ermordet hat Nitschke bisher aber niemanden. Trotzdem wünscht er Menschen den Tod – der australische Aktivist will ein Grundrecht auf Suizid durchsetzen.

Zuletzt sorgte der von ihm assistierte Freitod einer 64-jährigen US-Amerikanerin für weltweite Aufmerksamkeit. Sie war in die Schweiz gereist, um sich dort mit der von Nitschke entwickelten Suizidkapsel „Sarco“ das Leben zu nehmen. Die Selbstmordmaschine sollte ihr einen sanften Tod auf Knopfdruck ermöglichen und kam das erste Mal zum Einsatz.

Persönlich war Nitschke nicht anwesend. Er verfolgte die letzten Minuten der Frau über einen Livestream, der zeigte, was im Inneren des „Sarco“ geschah.

Wer ist der Mann, der diese ganz eigene Sicht auf den Tod hat?

Sterbehilfe als „Erlösung“

Es beginnt im Jahr 1996: In Australien tritt das weltweit erste Sterbehilfegesetz in Kraft, der „Rights of the Terminally Ill Act“ (Roti-Act). Als der an Prostatakrebs erkrankte Bob Dent Nitschke um Sterbehilfe bittet, ist dieser vorbereitet. Es kommt die von ihm entwickelte „Deliverance Machine“ zum Einsatz – ein früher Vorläufer der nun in der Schweiz eingesetzten Suizidkapsel „Sarco“.

Die von Philip Nitschke entwickelte „Deliverance Machine“ ist heute im London Science Museum ausgestellt
© Wikimedia Commons

Das Gerät besteht aus einem Laptop, auf dem das namensgebende Computerprogramm „Deliverance“ läuft, was zu Deutsch Erlösung bedeutet. Durch eine intravenöse Injektion ist die Maschine außerdem mit dem Blutkreislauf des Patienten verbunden. Das Programm stellt eine Reihe von Fragen, um die Absicht der Person, auf diese Weise zu sterben, zu bestätigen.

In 15 Sekunden werden Sie eine tödliche Injektion erhalten … drücken Sie ‚Ja‘, um fortzufahren.

Werden alle Fragen mit „Ja“ beantwortet, löst „Deliverance“ die tödliche Injektion aus. Die Methode funktioniert und Nitschke wird zum ersten Arzt, der gesetzlich geregelte Sterbehilfe leistet. Insgesamt nutzen vier Personen die „Deliverance Machine“. 1997 kassiert der australische Staat den Roti-Act wieder ein.

Vom „Recht auf Sterben“

Zwar darf Nitschke bei Suiziden nicht mehr assistieren, sein Wissen zu diesem Thema weiterzugeben, ist jedoch nicht strafbar. Er beginnt damit, andere darüber zu informieren, wie sie ihr Leben beenden können. Noch im selben Jahr, in dem in Australien Sterbehilfe wieder illegal wird, gründet er die Voluntary Euthanasia Research Foundation (Verf), eine Organisation, die über Sterbehilfe informiert und versucht, sie zugänglicher zu machen. 2001 wird sie in Exit International umbenannt.

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Auf der Website von Exit steht ein Zitat von Nitschke, das die Grundsätze der Organisation zusammenfasst: „Wir bei Exit glauben, dass es das grundlegende Menschenrecht eines jeden geistig gesunden Erwachsenen ist, sein Lebensende auf zuverlässige und friedliche Weise und zu einem Zeitpunkt seiner Wahl planen zu können.“

Nitschkes Organisation setzt sich für den assistierten Suizid, die aktive Sterbehilfe und den sogenannten rationalen Suizid ein, der ohne Hilfe erfolgt, aber „wohlüberlegt“ ist. Eine schwere körperliche Erkrankung muss bei keiner dieser Arten zu sterben vorliegen. Quasi die einzigen Voraussetzungen: Man sollte erwachsen und bei „klarem Verstand“ sein.

Kreuzfahrt mit dem Todesschiff

Der Widerspruch zwischen der Realität und den Zielen von Philip Nitschke ist extrem. In nur zehn Ländern weltweit (Stand September 2024) ist aktive Sterbehilfe gesetzlich erlaubt: Australien, Belgien, Kanada, Kolumbien, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Peru, Portugal, Spanien.

Um für seine Ziele einzutreten, greift Nitschke bisweilen auf Methoden zurück, die provozieren. So sorgte er im Jahr 2000 für Schlagzeilen, als er versuchte, ein „Todesschiff“ zu chartern. Auf einer Art Kreuzfahrt wollte er damit Menschen aus aller Welt einsammeln, um ihnen in internationalen Gewässern Sterbehilfe zu leisten.

Strenge lokale Gesetze hätte er so umgehen können. Das Vorhaben verärgerte sogar einige Sterbehilfe-Befürworter und wurde am Ende nicht umgesetzt.

Das Handbuch für ewigen Schlaf

Im Jahr 2006 veröffentlichte Nitschke dann ein Buch, mit dem er weltweites Aufsehen erregte. In „The Peaceful Pill Handbook“ werden mehr als ein Dutzend Selbstmordmethoden detailliert beschrieben und anhand von Skalen für Zuverlässigkeit und Friedfertigkeit bewertet.

Um das Handbuch zu bestellen oder online zu lesen, war eine Altersgrenze von 50 Jahren vorgesehen. Dazu reichte es wohl noch im Jahr 2014, ein einfaches Kontrollkästchen anzuklicken. So verschaffte sich auch der 25-jährige Joe Waterman Zugriff zu den Inhalten. Im Januar 2014 nahm sich der unter Depressionen leidende Australier mit einer der im Buch beschrieben Methoden das Leben.

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2016 sagte Nitschke in einem Interview mit dem Medium „Vice“: „Viele Depressive verfügen immer noch über die entsprechende geistige Kapazität, um sich darüber bewusst zu sein, dass der Tod für immer ist.“ Depressionen seien kein Ausschlusskriterium, was die Bereitstellung der damals noch in Entwicklung befindlichen Suizidkapsel „Sarco“ angeht. Deren erster Einsatz erfolgte nun in der Schweiz.

Die 64-jährige US-Amerikanerin litt nicht an Depressionen, sondern einer „sehr schweren Krankheit, die starke körperliche Schmerzen verursachte“, wie die niederländische Zeitung de Volkskrant aus einer Tonaufnahme der Frau zitierte. Darin sagt sie auch, dass sie seit „mindestens zwei Jahren“ den Wunsch hatte zu sterben.

Nitschke, der ihre letzten Minuten per Kamera verfolgte, sagte gegenüber de Volkskrant: „Als sie den Sarco betrat, drückte sie fast sofort den Knopf. Sie sagte kein Wort. Sie wollte wirklich sterben.“ Der Sterbeprozess sei gut verlaufen. Es sah genau so aus, wie man es erwartet habe.

Suizid-Disclaimer

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