Scholz verliert in SPD an Rückhalt – hält sich aber bedeckt

Weniger als 100 Tage vor der Bundestagswahl ist die Debatte in der SPD über den richtigen Kanzlerkandidaten voll entbrannt. Am Dienstag meldeten sich weitere SPD-Politikerinnen und -Politiker zu Wort, um ihre Präferenz für Amtsinhaber Olaf Scholz oder aber Verteidigungsminister Boris Pistorius öffentlich zu machen. Sie setzten sich damit über Appelle der Parteiführung hinweg, Geschlossenheit zu wahren und eine Personaldebatte so kurz vor der Wahl zu vermeiden. Scholz selbst hielt sich bedeckt.

In der einflussreichen NRW-SPD, dem größten Landesverband, verlor der Kanzler an Rückhalt. Die beiden Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe im Bundestag, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, attestierten ihm in einer Erklärung schlechtere Chancen bei der Neuwahl als Pistorius. „Das aktuelle Ansehen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist stark mit der Ampel-Koalition verknüpft“, zitierte der „Spiegel“ aus dem Text. In den Wahlkreisen sei „viel Zuspruch für Boris Pistorius“ zu hören.

Der Sprecher der Ruhr-SPD im Bundestag, Markus Töns, äußerte sich ähnlich. Nach dem Koalitionsbruch brauche es einen „Neustart“, und dieser wäre „mit Boris Pistorius leichter als mit Olaf Scholz„, sagte Töns dem „Stern“. Auch der Innenexperte der SPD-Fraktion, Sebastian Fiedler, sprach sich für Pistorius aus. Er könne sich „keinen besseren politischen Spitzenmanager vorstellen“, sagte Fiedler dem „Focus“.

Minister Pistorius sagte Scholz derweil seine Loyalität zu – vermied aber eine klare Absage an eigene Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur. „Das einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, dass ich noch Papst werde“, sagte Pistorius am Montagabend bei einer Veranstaltung der Mediengruppe Bayern in Passau. Er sei aber ein „zutiefst loyaler Mensch“, sagte der Minister. Er werde deshalb auch nicht von sich aus sagen, er trete an: „Ich bin Parteisoldat.“

Kanzler Scholz verbrachte den Dienstag beim G20-Gipfel im brasilianischen Rio de Janeiro. Seine Rückkehr nach Berlin war für Mittwoch geplant. Auf die Frage eines Journalisten, wie Scholz seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur einschätze, antwortete dieser in Brasilien ausweichend: „Wir gehen in diese Wahl hinein, um erfolgreich aus ihr heraus zu gehen – wir wollen gemeinsam erfolgreich sein.“

Am Dienstagabend wollten die Parteivorsitzenden mit den stellvertretenden Vorsitzenden nach SPD-Angaben in einer „regelmäßigen Telefonkonferenz“ über die Organisation des Wahlkampfs beraten. Einen Bericht der „Bild“, wonach es sich um eine Krisensitzung zur Kandidatenfrage handele, dementierte eine SPD-Sprecherin als „falsch“.

SPD-Chefin Saskia Esken hatte am Montag klargestellt, die Aufstellung von Scholz als Kanzlerkandidat sei „beschlossene Sache“. Auch Ko-Parteichef Lars Klingbeil sagte, die Kandidatur des Kanzlers stehe nicht in Frage. Angesichts der lauter werdenden Personaldebatte häuften sich am Dienstag die Forderungen an die Parteiführung, eine rasche förmliche Entscheidung zu treffen. 

„Es ist wichtig, dass die Parteispitze jetzt schnell entscheidet“, sagte Juso-Chef Philipp Türmer dem „Spiegel“. Er fügte hinzu: „Es stehen Olaf Scholz und Boris Pistorius im Raum. Bei Scholz muss die Parteispitze beantworten, wie wir die schlechte Stimmung drehen und verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen.“ Auch SPD-Parlamentsgeschäftsführer Johannes Fechner forderte eine rasche Festlegung: „Aktuell befinden wir uns in einem unguten Schwebezustand“, sagte er der „Welt“.

Unterstützung bekam Scholz aus seinem Heimatlandesverband Hamburg. Scholz sei „die richtige Person“ für das Kanzleramt, sagten die Landesvorsitzenden Melanie Leonhard und Nils Weiland der „Welt“. Der Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Arnold Zorn verwies darauf, „dass Bundeskanzler Olaf Scholz weiterhin viel Vertrauen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und Partei genießt“.

In die SPD-interne Debatte schalteten sich auch frühere Spitzenpolitiker ein. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel forderte „mutige politische Führung“ ein. Im Netzwerk X verwies er auf wachsenden Widerstand an der Basis „gegen ein ‚Weiter-so‘ mit Kanzler Scholz“ – und warnte: „Wer das weiterlaufen lässt, bringt die SPD unter 15 Prozent.“

Der frühere Parteichef und Kanzler Gerhard Schröder warnte davor, Scholz durch die Diskussion zu beschädigen. „Die Partei kann doch nicht den eigenen Bundeskanzler demontieren“, sagte Schröder der „Süddeutschen Zeitung“. Der Ex-Kanzler ist inzwischen in der SPD weitgehend isoliert – auch wegen seiner Russland-Kontakte.

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