Der Psychologe und Männer-Berater Markus Theunert sagt, wir müssen uns mehr mit Männlichkeit auseinandersetzen – sonst gefährden falsche Vorbilder die Demokratie.
Der starke Mann hat weltweit wieder Konjunktur: Im US-Wahlkampf hat Donald Trump auf hypermaskuline Influencer gesetzt. Sein Gespräch mit dem umstrittenen Podcaster Joe Rogan sahen über 40 Millionen Menschen. Und auch sonst sind alte Vorbilder schwer in Mode. Junge Männer trainieren für harte Bodys und eine kantige Kinn-Partie; manche wünschen sich Frauen gar wieder an den Herd.
Herr Theunert, in Deutschland gehen rechte Politiker mit traditionellen Männlichkeitsbildern auf Stimmenfang. Was zieht Männer daran an?
Wie erleben geschlechterpolitisch eine Umbruchsituation. Männern wird gesagt: Sei empathisch, sozial kompetent, ein Teamplayer. Zeitgleich bleiben traditionelle Anforderungen bestehen, nämlich Dominanz, Härte und Stärke zu zeigen. Insbesondere für junge Männer ist diese Doppelbotschaft verwirrend. Sie sagen: Ich lass mich doch nicht verarschen, ich will klare Botschaften. Und das bedient die Neue Rechte.
Etwa der AfD-Abgeordnete Maximilian Krah, der in Tiktok-Videos erklärt, was ein „echter Mann“ sei. Was entgegnen Sie Verfechtern von „echter Männlichkeit„?
Es gibt keinen Bauplan des Männlichen, der sich frei von Umwelteinflüssen entfaltet. Nehmen wir das Beispiel „Männer können nicht über Gefühle sprechen.“ Das ist Unsinn, es wird ihnen nur nicht beigebracht. Und weil das alles so früh beginnt und sich in allen Lebensbereichen niederschlägt, fühlt es sich irgendwann natürlich an. Aber nur, weil sich etwas natürlich anfühlt, ist es das noch lange nicht. Denn wenn es eine natürliche Form von Männlichkeit gäbe, dann müsste sie nicht verteidigt werden. Es gibt ja auch keine Partei, die sich für die Erhaltung der Schwerkraft einsetzt. Und deswegen sollten wir misstrauisch werden, wenn politische Akteure die Erhaltung der vermeintlich natürlichen Geschlechterordnung fordern.
Werden traditionelle Rollen wieder attraktiv?
Weshalb sollte sich eine junge Frau einlassen auf den Typen, der sie eigentlich an den Herd wünscht? Das ist für die meisten schlicht kein attraktives Angebot. Und sie brauchen es auch nicht, weil sie bildungsmäßig zu stark sind, als dass sie sich jetzt noch zurückbinden lassen wollten. Die ökonomische Selbstständigkeit der Frauen ist so weit entwickelt, dass ich keinen Pendelausschlag zurück befürchte – sondern eher eine weitere Entfremdung der Geschlechter in der jüngeren Generation. Zu befürchten ist, dass sich junge Männer und Frauen immer weniger verstehen und zu Familien zusammenschließen werden. Das wird ein demografisches Problem.
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Viele Männer versuchen, eine moderne Männlichkeit zu leben, also einfühlsam und in der Familie präsent zu sein. Wie weit sind wir da in Deutschland?
Die Daten legen grob eine Dreiteilung der Gesellschaft nahe. Ein Drittel der Männer nimmt die Herausforderung an und versucht, sich als Mann neu zu erfinden. Das Drittel auf der Gegenseite stellt sich frontal und offensiv gegen Gleichstellungsforderungen. Geschlechter- und demokratiepolitisch entscheidend ist das Drittel in der Mitte: Männer, die sich grundsätzlich zur Gleichstellung bekennen, aber jede Auseinandersetzung mit Männlichkeit abwehren. Eine lähmende Position. Diese Männer werden heftig und strategiegeleitet umworben. Wenn sie im großen Stil nach rechts kippen, passiert uns das, was in den USA geschieht: Dann gibt es schlicht keine Mehrheit mehr für die Werte der offenen Gesellschaft, für Gleichstellung, Emanzipation und die Gebote der Vernunft. Und dann wird es dramatisch, denn dann wackeln die Institutionen.
Was kann die Gesellschaft dagegen tun?
Wir müssen uns sehr viel grundsätzlicher mit Männlichkeit auseinandersetzen. Das Mannwerden in unserer Gesellschaft geht damit einher, ganz vieles vom Innenleben abzuspalten und sich so selbst Gewalt anzutun. Das beginnt mit Sozialisationsbotschaften wie: Du darfst nichts spüren, insbesondere keine Gefühle der Schwäche und Ohnmacht. Deshalb erleben Männer ihre Innenwelt nicht als sicheren Ort, sondern als einen Ort der Bedrohung durch „unmännliche“ Gefühle. Diese Grundverletzung bildet den Nährboden, auf dem auch bei sehr gut ausgebildeten Männern eine Wut auf Frauen und das Fremde wachsen kann, eine Wut auf alles Mögliche. Sie brauchen einen Sündenbock, weil sie sonst der Tatsache ins Auge blicken müssen: Um als „echter Kerl“ zu gelten, muss ich zentrale Teile meiner Persönlichkeit unterdrücken.
Toxische Schönheitsideale und Muskeldysmorphie 21 16.53
Zeigen die Debatten über toxische Männlichkeit nicht, dass es ein Problembewusstsein gibt?
Die Diskussion über toxische Männlichkeit hatte kurze Zeit Konjunktur, wurde aber schnell auf „toxische Männer“ heruntergebrochen. Und jetzt gibt es eben ein paar Problem-Männer, die wir in Nacherziehungskurse schicken müssen oder nach Hause, wenn sie aus anderen Kulturen kommen. Aber die Idee ist immer dieselbe: Wir als Mehrheitsgesellschaft haben unsere Arbeit getan und die mit den toxischen Ideen sind die anderen. Aber das stimmt einfach nicht. Wir sind genauso durchdrungen von patriarchalen Normen.
Ein Beispiel, bitte.
Teilzeitarbeit bei Männern etwa wird nach wie vor anders bewertet als bei Frauen, das spiegelt sich in der Bezahlung. Männer werden stärker bestraft dafür, wenn sie nicht dem Bild des jederzeit verfügbaren Top Performers entsprechen. Dieser Glaube ist immer noch stark verankert bei Männern: Ich bin nur 100 Prozent wert, wenn ich 100 Prozent arbeite.
Wie kann man solchen Glaubenssätzen entgegenwirken?
Indem wir dafür sorgen, dass jedes Schulkind zumindest das grundlegendste Basiswissen zum Thema Gender mitbekommt. Die Kernbotschaft: Geschlecht ist gestaltbar. Du bist nicht gezwungen, so zu sein, wie das im Anforderungskatalog an einen „richtigen Mann“ oder eine „richtige Frau“ steht. Vor allem die Jungs lassen wir einfach allein. Es braucht flächendeckend jungenpädagogische Angebote, mehr väterliche Präsenz im Alltag und mehr männliche Rollenmodelle in den pädagogischen Berufen.