Wirtschaftspolitik: Zwei Gipfel und ein Abgrund: Schafft die Ampel die Wende?

Immerhin im Ziel sind sich die Ampel-Partner noch einig: Sie wollen die Wirtschaftskrise beenden. Daran arbeitet jetzt aber erst einmal jeder für sich. Finden die Koalitionäre noch einmal zusammen?

Vor dem Industriegipfel bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die FDP „Richtungsentscheidungen“ der Ampel-Regierung zur Ankurbelung der Wirtschaft in den kommenden Wochen gefordert. Den Spekulationen über ein baldiges Ende der Koalition trat Parteichef und Finanzminister Christian Lindner nach einem von vielen als „Gegengipfel“ verstandenen Treffen seiner Fraktion mit Wirtschaftsvertretern entgegen. „Es gibt auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung, und für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt“, sagte er.

Konkrete Ergebnisse gab es bei dem FDP-Treffen mit Arbeitgeberchef Rainer Dulger sowie Vertretern von Mittelstand und Handwerk nicht, es war auch nicht darauf angelegt. Dulger forderte die Regierung anschließend auf, ihre Differenzen zu überwinden und eine gemeinsame Strategie für alle Wirtschaftsbereiche zu entwickeln. „Sie muss gemeinsam – und ich betone gemeinsam – die richtige Wirtschaftspolitik machen, diesen Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen.“ 

Gegengipfel im „Clubraum“ des Reichstagsgebäudes

Der Industriegipfel, den Scholz vor zwei Wochen im Alleingang ohne seine Koalitionspartner in die Spur brachte, hat in den vergangenen Tagen für viel Wirbel gesorgt. Die Reaktionen von Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) offenbarten, wie tief die Risse in der Koalition inzwischen sind. 

Habeck legte ein Impulspapier vor, in dem er einen milliardenschweren Fonds für mehr Investitionen fordert, der mit Lindner und Scholz kaum zu realisieren ist. Lindners FDP-Fraktion stellte kurzerhand den Gegengipfel auf die Beine, der nur fünf Stunden vor dem Treffen im Kanzleramt schräg gegenüber im „Clubraum“ des Reichstagsgebäudes stattfand.

Dürr: Deutschland muss wieder in die „Champions League“

„Ich glaube, Deutschland sollte wieder in der Champions League spielen. Das sollte unser Anspruch sein“, sagte Fraktionschef Christian Dürr nach den eineinhalbstündigen Beratungen. Dulger betonte, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland müsse wieder in den Mittelpunkt des politischen Handelns der Koalition rücken. „Wir müssen jetzt nach dem politischen Schaulauf ins Handeln kommen und es muss geliefert werden.“ 

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, laut Prognosen wird 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge. Wirtschaftsverbände fordern seit langem umfassende strukturelle Reformen: niedrigere Energiepreise, weniger Bürokratie, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, runter mit den Sozialabgaben, mehr Geld für die teils marode Infrastruktur. Die Ampel-Koalition hat zwar eine „Wachstumsinitiative“ mit vielen Maßnahmen angekündigt. Davon ist aber bisher nichts umgesetzt und einiges strittig. Wirtschaftsverbände halten die Pläne für nicht ausreichend.

Scholz will „neue industriepolitische Agenda“

Scholz konzentriert sich bei seinem für den Nachmittag geplanten Gipfel auf Branchen, in denen es um besonders viele Arbeitsplätze geht. Neben dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sollte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) dabei sein. Die Arbeitnehmer sind durch den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die IG Metall und die IG Bergbau, Chemie, Energie vertreten. Von den großen Unternehmen waren unter anderem die großen Autobauer eingeladen, darunter VW, wo aktuell drei Werksschließungen im Gespräch sind.

Was sein Ziel ist, hat Scholz vor zwei Wochen in einer Regierungserklärung im Bundestag gesagt: eine „neue industriepolitische Agenda“. Für die FDP greift das Vorgehen des Kanzlers zu kurz. Sie will eine umfassende Strategie für alle Wirtschaftszweige. 

Der Haushalt ist der Knackpunkt

Fest steht jedenfalls: Um ein Ergebnis zu erzielen, müssten sich Scholz, Habeck und Lindner wieder zusammenraufen. „Klar ist, dass wir in den nächsten Wochen alleine schon aufgrund der Zeitplanung für den Bundeshaushalt 2025 ja auch zu einer gemeinsamen Position werden finden müssen“, sagte Lindner. Auf die Frage nach gemeinsamen Beratungen mit Habeck und Scholz, sagte er nur, er komme mit beiden regelmäßig zusammen – auch demnächst wieder.

Ob die Koalitionäre sich bis zur Entscheidung über den Haushalt auf eine gemeinsame wirtschaftspolitische Linie einigen können, ist fraglich. Schon am 14. November ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, bei der die Abgeordneten den Etat für das kommende Jahr festzurren wollen. Wenn sich die Koalition dann nicht darauf einigt, wie sie die noch offenen Milliardenlücken stopfen will, steht sie am Abgrund.

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