Zwei Anwälte, einer hat sein Berufsziel des Kanzlers schon erreicht, der andere noch nicht. Friedrich Merz respektiert Olaf Scholz Anwaltsvergangenheit jedoch nicht ganz.
Olaf Scholz ist, das werden selbst seine Kritiker nicht in Abrede stellen, ein fleißiger Mensch. Zudem macht ihm sein Job Spaß, auch wenn es unter den Deutschen gegenwärtig ein gewisses Defizit an Begeisterung für die Amtsausübung des Kanzlers gibt. Doch ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl scheint es Scholz völlig zu genügen, wenn er mit sich zufrieden ist.
Arbeit hat im Leben des Kanzlers einen besonderen Stellenwert. Wie immer bei Scholz kommt dieses Ethos bisweilen etwas kauzig daher. Zu Zeiten der Hartz-Reformen, als darüber diskutiert wurde, welche Jobs für Arbeitslose mit guter Berufsausbildung zumutbar seien, wurde der damalige SPD-Generalsekretär Scholz einmal gefragt, ob er auch als Würstchenverkäufer arbeiten würde. Antwort: „Ich fände das in Ordnung.“ Und in der Diskussion um eine Prämie von 1000 Euro für einstige Bürgergeld-Empfänger, die ein Jahr lang in einem normalen Job durchhalten, vertrat Scholz kürzlich die These, der Mensch sei „zum Arbeiten geboren“. Woher der Kanzler das weiß? „Das sieht man schon am Strand, wenn wir Sandburgen bauen, wenn wir da auch liegen könnten.“
Aber lassen wir jetzt mal beiseite, dass Arbeit eines dieser Themen ist, bei denen Scholz aufgrund seiner umständlichen Sprache und seiner verkorksten Beziehung zu politischer Kommunikation oft weniger zu sagen gelingt, als er zu sagen hätte. Wichtiger ist uns heute, dass Olaf Scholz 13 Jahre als Anwalt mit Schwerpunkt Arbeitsrecht praktiziert hat. In dieser Zeit hat er aus nächster Nähe erlebt, was es heißt, wenn Menschen ihre Arbeit verlieren. In seiner Rede zum 35. Jahrestag der revolutionären Demonstration in Leipzig erzählte der Kanzler am 9. Oktober davon, wie er nach der deutschen Einheit Betriebsräte eines Fabrikkombinats für Schwermaschinen im Kampf um den Erhalt von mehr als 30.000 Arbeitsplätzen unterstützte. „Viele dieser Arbeitsplätze konnten wir damals nicht retten“, berichtete Scholz.
War das abwertend gemeint?
Das war eine ungewöhnlich bescheidene Schilderung, bedenkt man, dass es Betroffene aus jener Zeit gibt, die Scholz’ Wirken bis heute würdigen. Der Anwalt aus dem Westen, so erzählte es einmal der damalige Betriebsratschef Thomas Arnold, habe um Sozialpläne gerungen, eine Beschäftigungsgesellschaft erwirkt und spezielle Verträge aufgesetzt. Tausende behielten immerhin für einige Jahre ihre Arbeit oder konnten sich in die Rente retten. „Viele loben das Ergebnis noch heute“, wusste Arnold.
Daran musste ich denken, als Friedrich Merz jüngst davon sprach, er habe sein Leben „anders gestaltet“ als Scholz. Merz verwies auf seine Beratertätigkeit für amerikanische Firmen und deutsche Mittelständler. „Ich habe mich nicht nach einer kurzen Zeit im Beruf entschieden, auf Dauer und allein Berufspolitiker zu sein“, so Merz zur „Süddeutschen Zeitung“. Er hat das vermutlich nicht abwertend gemeint, aber angesichts von Scholz’ 13 Jahren Berufstätigkeit ohne politisches Amt von einer kurzen Zeit zu sprechen, wirkt doch befremdlich. Merz passiert es immer mal wieder, dass er die abwertende Wirkung mancher seiner Äußerungen nicht bemerkt – oder nicht für abwertend hält.
Merz und Scholz haben jenseits der Politik an unterschiedlichen Enden der ökonomischen Hierarchie gearbeitet. Beide Jobs haben ihre Berechtigung. Die Frage, wie Abgeordnetenmandat und Nebentätigkeiten bei Merz unter diversen Gesichtspunkten miteinander vereinbar waren, wollen wir hier nicht diskutieren. Der Unions-Kanzlerkandidat erwartet zu Recht, dass seine Tätigkeit respektiert und nicht verzerrt dargestellt wird. Aber es wäre gut, wenn er diese Sorgfalt auch dem politischen Konkurrenten angedeihen ließe.