Was ging in dem Soldaten vor, als er mutmaßlich vier Menschen erschoss? Vor Gericht schweigt der Angeklagte. Doch ein Psychiater gibt Einblicke in seine Gedankenwelt.
Eine Aussage des Angeklagten verfolge ihn bis heute, sagt Psychiater Christian Riedemann vor dem Landgericht Verden. „Die Menschen, die ich verantwortlich mache, sind nicht mehr da. Seitdem kann ich besser essen und schlafen“, zitiert der Chefarzt aus einem Gespräch mit dem Soldaten. Der Deutsche soll vier Menschen aus dem Umfeld seiner damaligen Ehefrau erschossen haben.
Als Leiter eines Maßregelvollzugszentrums habe oft Kontakt mit schwierigen Menschen, berichtet Riedemann. Doch die Gespräche mit dem 33-Jährigen habe er zweimal abbrechen müssen, weil er es selbst nicht ausgehalten habe. „Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der in kurzer Zeit so viele Menschen getötet hat.“ Und der danach so kühl und rational über die Taten spreche, ohne Emotionen. „Es war wie ein Rapport bei der Bundeswehr.“
Traumjob Soldat – „Waffen waren so mein Ding“
Der Soldat schweigt weiter vor Gericht, also gibt der Psychiater Einblicke. Er erzählt von der schwierigen Kindheit des Angeklagten in Bad Grund, am Rande des Harzes. Der Vater ein Alkoholiker, die Trennung der Eltern, das Mobbing in der Schule. Schon mit neun Jahren sei für ihn festgestanden, dass er zur Bundeswehr will. „Wir haben auch im Wald immer Soldat gespielt“, soll er dem Psychiater erzählt haben.
Und so begann eine beeindruckende Karriere bei der Bundeswehr, wie der Arzt berichtet. Der Angeklagte habe sich hochgearbeitet, vom Kraftfahrer zum Fallschirmjäger. Er sei auch im Ausland im Einsatz gewesen. In Jordanien, um Deutsche aus dem Sudan zu evakuieren. In Mali, um Selbstmordattentätern das Handwerk zu legen. „Waffen waren so mein Ding“, habe ihm der Soldat gesagt.
Von der Hochzeit zum Häuserkampf
Zurück in Deutschland habe der Angeklagte über eine Dating-App seine spätere Frau kennengelernt, führt der Psychiater fort. Nach sieben Monaten sei das Paar zusammengezogen, weil sie einen Sohn erwarteten. Doch statt den Alltag mit seiner Familie zu verbringen, habe er in Lehrgängen der Bundeswehr das Schießen und den Häuserkampf perfektioniert.
Nach Schilderung des Arztes bekam die Beziehung bald Risse. Das Paar habe viel gestritten, die beste Freundin seiner Frau habe der Angeklagte als Bedrohung für ihre Ehe wahrgenommen. „Ich konnte sie vom ersten Tag nicht leiden“, sagte der 33-Jährige im Gespräch mit Riedemann. „Es war immer nur Neid.“
Seine Frau sei wieder schwanger gewesen – und sei nur wenige Wochen später eine Beziehung mit ihrem Ex-Freund eingegangen. „Ich war völlig fertig“, habe der Soldat dem Arzt später erzählt. Das Paar habe sich getrennt, es doch wieder miteinander versucht, sich abermals getrennt. Nach einer Anzeige seiner Noch-Ehefrau sei die Polizei bei ihm aufgetaucht, gibt der Psychiater die Erzählungen des Angeklagten wieder. Die Beamten hätten mit ihm gesprochen, seine Sportwaffen aber nicht weggenommen.
Soldat soll Mordserie wie eine militärische Aktion geplant haben
Dabei habe der Soldat gerade eine Mordserie vorbereitet. „Ich wurde 15 Jahre darauf vorbereitet, Menschen zu erschießen“, soll er später gesagt haben. „Ich habe es wie eine militärische Aktion geplant.“ Primäres Ziel: der neue Partner und die beste Freundin seiner damaligen Ehefrau. Sekundäres Ziel: die Eltern des neuen Partners. Ihnen habe er die Schuld am Scheitern seiner Ehe gegeben. „Er hatte so ein Bild und das brach zusammen“, schildert Riedemann vor Gericht. „Dafür wollte er sich rächen.“
In der Nacht zum 1. März lud der Angeklagte nach eigener Schilderung gegenüber dem Psychiater seine Waffen, rüstete sich mit Molotow-Cocktails und einer Rauchgranate aus. Nachts sei er wie beim Häuserkampf bei den Opfern eingedrungen. Erst habe er in einem Einfamilienhaus in Scheeßel auf die schlafende Mutter des neuen Partners geschossen, dann auf seinen Kontrahenten. „Was hast du dir dabei gedacht, meine schwangere Frau zu ficken“, rief der Angeklagte laut Chefarzt dem Mann noch zu, bevor er sein ganzes Magazin leerte.
Anschließend sei der Angeklagte zum Haus der besten Freundin seiner damaligen Frau gefahren, in die nur wenige Kilometer entfernte Gemeinde Bothel. Dort habe er blind fünf Schüsse auf die Tür abgefeuert. „Da habe ich wohl das Kind getroffen. Es waren die einzigen ungezielten Schüsse“, habe der Soldat später gegenüber dem Psychiater berichtet. Die Freundin und ihre dreijährige Tochter haben keine Chance, sie sterben sofort.
Psychiater: Angeklagter zeigt „keine Reue oder Traurigkeit“
Nach der Mordserie soll der Angeklagte zu einem See in Rotenburg an der Wümme gefahren sein, wo er einst seine Frau kennengelernt hatte. Er habe seine Waffen abgelegt, Bier getrunken und mit einem Freund telefoniert. Später soll er sich vor der Kaserne in Rotenburg gestellt haben.
Von dem Tod des kleinen Mädchens habe er nichts gewusst, habe der Angeklagte im Gespräch mit dem Psychiater beteuert. „Die Kindstötung tat ihm spürbar leid“, sagt Riedemann. Ansonsten zeige der Soldat „keine Reue oder Traurigkeit“. Im Gegenteil: Er fühle sich im Recht, er sei zufrieden. Der 33-Jährige habe den Tod seiner Opfer lange geplant und schließlich erfolgreich in die Tat umgesetzt, versucht der Psychiater sich in den Angeklagten hineinzuversetzen. „Das Manöver hat funktioniert.“