Autos liegen wie Spielzeug im Vorgarten, Straßen sind nur noch Krater: Im Landkreis Kassel hat Starkregen eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Der Regen ist vorbei, die Arbeit fängt erst an.
Ein Unwetter mit Starkregen hat in der Nacht zu Freitag die Region nördlich von Kassel verwüstet. Gottsbüren, ein Ortsteil von Trendelburg, sieht am Morgen aus wie ein Trümmerfeld. Die Fluten haben Autos durch den Ort geworfen wie Spielzeug. Laut Bürgermeister Manuel Zeich (parteilos) gibt es Stand Freitagmittag immerhin keine Verletzten.
Anwohnerin Christina Wiesmann-Günter steht fassungslos in ihrem Haus im Ortskern. Durch die Tür hinaus kann sie nicht: Drei Autos blockieren den Eingang, ein Kleinlaster wurde gegen die Hauswand gedrückt. Der Küchenboden ist mit Schlamm bedeckt, die Möbel wurden in den Garten gespült, von dem nicht mehr viel zu sehen ist. Das Wasser sei ohne Vorwarnung gekommen, sagt Wiesmann-Günter. Und dann super schnell gestiegen.
„Wasser stand 1,50 Meter hoch an den Wänden“
Stephanie und Jens Aßhauer hatten Glück, sie wohnen etwas weiter oben. In der Nacht seien sie von einem lauten Rauschen aufgewacht, dann hätten sie das Wasser durch den Ort rasen sehen, berichten sie. „Das Wasser stand 1,50 Meter hoch an den Wänden.“ Sie seien dann einem älteren Mann zu Hilfe geeilt.
Im ganzen Ort liegen Autos herum – sie blieben hängen, wo sich ein Widerstand fand: an Wänden, Zäunen, Geländern, und manche stapeln sich sogar verbeult zwischen Schlamm übereinander. Zwei Personen wurden in ihren Fahrzeugen vom Wasser eingeschlossen und dann mit einem Radlader befreit. Einsatzkräfte berichten, dass sie Menschen mit Booten aus Häusern gerettet haben.
Besonders stark betroffen sind neben Trendelburg auch Hofgeismar, Bad Karlshafen, Reinhardshagen und Wesertal. Überall liefen Keller und Erdgeschosse voll. Bei Uwe Leimbach in Trendelburg-Gottsbüren stand das Wasser im Untergeschoss bis zur Decke. Seine Adresse lautet „Auf der Insel“. In der Nacht sei das offensichtlich nicht der Fall gewesen, sagt er. Wie viele andere Betroffene erwartet er, dass noch tagelange Arbeiten nötig sind, um nur die gröbsten Schäden zu beseitigen.
Schon am Donnerstagabend hatte es zu regnen begonnen, in der Nacht sei „extremer Starkregen“ gekommen, sagte eine Sprecherin des Landkreises Kassel. Gegen Mitternacht spitzte sich die Lage zu, ein Krisenstab wurde eingerichtet.
„Extrem heftiger Starkregen“
Laut Hessischem Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) wurden an der Station Hofgeismar-Beberbeck mehr als 90 Liter pro Quadratmeter Niederschlag gemessen. Lokal könnten es auch mehr als 150 Liter pro Quadratmeter gewesen sein. Erst am frühen Morgen gegen 5.30 Uhr lässt der „extrem heftige Starkregen“ nach.
Kurz danach wird schon angepackt: Pumpen laufen, Bagger räumen Schutt weg, Anwohner sind mit Schaufeln, Besen und Schneeschiebern zugange. Viele Straßen bleiben zunächst unpassierbar, unter anderem die B80 und die B83. „Bisher wurden mehr als 200 Einsatzstellen gemeldet, wobei die Anzahl noch deutlich ansteigen wird“, so die vorläufige Bilanz des Kreises am Morgen.
Blumenkübel, Heizöltanks und Bäume mitgerissen
In Gottsbüren reiht sich auf der Straße Krater an Krater, meterlange Risse durchziehen die Oberfläche. Die Fluten haben Mülleimer, Blumenkübel, Heizöltanks und Bäume mitgerissen. In Wülmersen wurde ein Flüssiggastank weggerissen. Eine Sprecherin des Landkreises spricht von „massiven Schäden“.
Sorgen bereitet zwischenzeitlich ein Staubecken in Hofgeismar-Hombressen. Es droht überzulaufen, die Lage ist nach Angaben des Landkreises am Morgen aber stabil. In Gottsbüren wurden Trafo-Häuschen beschädigt, weswegen die Hälfte des Ortes keinen Strom hat.
Rund 500 Einsatzkräfte waren die ganze Nacht im Einsatz, am Morgen wurden sie durch frische Kräfte ersetzt. „Es war eine ziemlich heftige Einsatzlage“, sagt Vize-Landrätin Silke Engler (SPD) am Morgen dem Hessischen Rundfunk. „Ich kann noch nicht absehen, wann wir die Lage im Griff haben.“