Kostenpflichtige Strandbäder haben in Italien eine lange Tradition. Nach jahrelangem Streit sollen EU-weite Ausschreibungen nun für mehr Wettbewerb sorgen – doch die Betreiber drohen zur besten Urlaubszeit mit Streik
Sonnenschirme zuklappen, Handtücher einrollen, Liegen räumen. Das könnte bald Urlauberinnen und Urlaubern entlang der italienischen Küste drohen. Denn die Betreiber der beliebten Strandbäder wollen streiken – mitten in der Hochsaison zur besten Sommerzeit.
Dabei geht es ihnen nicht um mehr Geld oder bessere Arbeitszeiten, sondern darum, ihre Lizenzen für den Betrieb der Strandbäder zu behalten und damit um ihre Existenz. Einige Betreiber sprechen von 300.000 gefährdeten Arbeitsplätzen. Die italienische Regierung hätte längst eine EU-Richtlinie für neue Vergabeverfahren umsetzen müssen, weigert sich aber seit Jahren. Nun könnte es ernst werden.
Strandtag oder Streiktag?
Die Strände in Italien gehören dem Staat und werden meist von den Gemeinden oder Regionen verwaltet. Entsprechend vergeben die Gemeinden auch die sogenannten Konzessionen, die behördlichen Genehmigungen für die gewerbliche Nutzung der Strände, etwa mit Restaurants oder Strandbädern mit Hütten oder Liegen. Typischerweise passiert das in Italien aber oft nur ein Mal, denn die Lizenzen bleiben gerne in Familienbesitz und werden über Generationen hinweg weitergegeben. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verteidigte die kostenpflichtigen Strandbäder bereits als historisches und kulturelles Erbe des Landes.
Die Strandbäder haben in Italien aber nicht nur eine lange Tradition, die Vermietung der bunten Sonnenschirme und Liegestühle ist auch ein lukratives Geschäft: Ein Schirm mit Liege und Liegestuhl kostet pro Tag meist zwischen 20 und 30 Euro. Der Thinktank „Centres for European Policy Network“ (Cep) rechnete aus, dass die Unternehmen durchschnittlich nur rund 7600 Euro im Jahr für ihre Konzession bezahlen, aber 260.000 Euro Umsatz machen.
Kein Wunder, dass die Betreiber keine Konkurrenz wollen – doch die wird es sicher geben, wenn neue Ausschreibungen nach den Regeln der EU stattfinden. Italiens Strandkonzessionen müssten demnach eigentlich schon seit 2006 europaweit nach nachvollziehbaren Kriterien ausgeschrieben werden und dürften nicht mehr einfach automatisch verlängert werden. Europaweit bedeutet auch, dass ausländische Investoren bessere Angebote abgeben könnten als Einheimische.
Dagegen wehrt sich Italien nun seit Jahren. Es gab mehrere Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen das Land, im vergangenen Jahr dann auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs EuGH. Zunächst war noch ein Gesetz zur Verlängerung der Konzessionen bis 2023 verabschiedet worden. Doch um den Streit beizulegen, stimmte die nachfolgende Regierung unter Mario Draghi dann zu, Ende 2023 neue Auktionen zur Vergabe der Konzessionen abzuhalten. Bevor es dazu kommen konnte, übernahm die rechtspopulistische Regierung von Giorigia Meloni – und die verlängerte die Gültigkeit der Konzessionen nach ihrem Amtsantritt erneut bis Ende 2024.
Meloni lässt Küste neu vermessen
Die Strandbadbetreiber gehören zu Melonis Wählerschaft. Daher versuchte sie wohl auch die EU-Richtlinie zu umgehen, indem sie zeigte, dass Italien noch genug freie Strände hat und ließ dazu die italienische Küste neu vermessen. Tatsächlich hatte das Land plötzlich 3000 Kilometer mehr Strand, in Brüssel hält man das jedoch nicht für besonders glaubwürdig. Auch in Italien selbst war dieser Versuch zu tricksen nicht gern gesehen.
Der Staatsrat Italiens rief im Frühjahr dazu auf, unverzüglich ein Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von Strandkonzessionen unter echten Wettbewerbsbedingungen einzuleiten. Strand ist dem Urteil zufolge in Italien durchaus „knapp“. Die Entscheidung der Regierung Meloni dürfte damit hinfällig sein, der Staatsrat ist in Italien die letzte Instanz bei administrativen Angelegenheiten.
Wie die „Financial Times“ berichtet, bereiten erste italienische Gemeinden nun ihre eigenen neuen Ausschreibungen vor und entwerfen sogar Entschädigungsrichtlinien für Betreiber, die ihre langjährige Konzession verlieren. Doch die Strandunternehmer fordern mehr: Sie wollen, dass die Regierung ihnen den Gegenwert von mindestens zwei Jahren ihres Umsatzes garantiert als Entschädigung für verlorene Geschäfte. „Das ist das absolute Minimum“, sagte Antonio Capacchione, Präsident des italienischen Verbands der Strandunternehmer der „Financial Times“. „Wir verlangen Fairness. Ist es moralisch vertretbar, dass jemand [ein Geschäft] einfach so in Besitz nimmt, das mit den Opfern eines anderen Unternehmers aufgebaut wurde, der nachts nicht schlafen konnte?“
„Schmerzensschreie von italienischen Stränden“
Zwei Branchenverbände haben deshalb nun angekündigt, ihre Gelände und vermieteten Schirme an mehreren Tagen im August für zwei bis vier Stunden zu schließen. „Wir wollen, dass die Schmerzensschreie von den italienischen Stränden gehört werden“, sagte Capacchione. „Die Menschen haben den Gesetzen des Staates vertraut, die sagten, ,investiert so viel ihr wollt‘. Jetzt sind sie mit einer Regierung konfrontiert, die alles versprochen hat und nichts tut.“
Italienische Wirtschaftsverbände schlagen als Lösung ein Umstrukturierungsgesetz vor, das zwar die EU-Richtlinie berücksichtigt, aber italienische Betreiber schützt. Für einheimische Strandgänger und Touristen müsste ein wettbewerbsreicheres Verfahren aber nicht unbedingt schlecht sein. In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Proteste von Bürgern, die einen freien Zugang zum Meer fordern.