Hamburg: Sieben Dinge, die ich auf Taylor Swifts Konzert über das Leben gelernt habe

Dass Taylor Swifts Live-Auftritte ein Erlebnis sind, wissen wir mittlerweile. Unsere Autorin hat festgestellt: Man kann dabei sogar eine ganze Menge lernen. 

Glitzer macht alles schöner

Es glitzert. Überall. Ich bin umgeben von Glitzer-Kleidern, Glitzer-Stiefeln und Glitzer-Hüten. Schon auf der Fahrt zu Taylor Swifts Konzert in Hamburg liegen auf dem Boden abgefallene Pailletten herum. Als hätten sie beschlossen, dass es jetzt, wo Taylor Swift die Stadt beehrt, an der Zeit ist, die festgetretenen Kaugummis zu überstrahlen. Für den vielleicht größten Star unserer Zeit präsentiert sich sogar das zurückhaltende norddeutsche Hamburg von seiner glanzvollen Seite. Wegen des Megastar-Besuchs wurden extra neue Schilder am Hauptbahnhof aufgestellt. Darauf steht: „Hauptbahnhof“. Aber immerhin glitzernd. Und alles, was glitzert, wirkt sofort ein bisschen schöner. Jedenfalls ist es das erste Mal, dass ich am Hamburger Hauptbahnhof etwas fotografiere, bei dem ich mich nicht ekele.

„Warum glitzerst du so schön?“, fragt mich eine vielleicht Sechsjährige begeistert. Ich fühle mich sofort wie eine Disney-Prinzessin und besser als nach jedem Kompliment eines fremden Mannes. Vielleicht werde ich ab jetzt öfter glitzern. „Ich gehe auf ein Konzert von Taylor Swift.“ – „Wer ist Taylor Swift?“ 
Ihre Mutter holt das Handy heraus. „Schau mal, die hier ist das, eine Sängerin.“ 
„Kann ich auch zu Taylor Swift?“

STERN PAID Taylor Swift19.45

Im Regen muss man tanzen 

Pünktlich zum Auftritt von Taylor Swift im Hamburger Volksparkstadion beginnt es zu regnen. Funkelnde Kleider verschwinden unter Müllbeutel-ähnlichen Capes, statt Cowboyhut heißt es Kapuze auf. Die Fans sehen zum ersten Mal an diesem Tag ernst aus. Mit gerunzelter Stirn blicken sie in den Himmel. Viele haben mehrere hundert Euro Eintritt bezahlt, um nach langen Monaten des Wartens endlich ihr Idol live zu erleben, zu singen und zu tanzen. Der Regen nervt. 

Dann betritt Taylor Swift die Bühne. Wobei „betreten“ die größte Untertreibung des Jahres ist. Es ist eher eine Erscheinung. Die Frau scheint nur aus Glitzer zu bestehen. Sie trägt glitzernde Stiefel zu einem glitzernden Body und selbst der Regen um sie herum verwandelt sich in den Scheinwerferlichtern in einen funkelnden Schauer. Es würde wahrscheinlich niemanden wundern, käme auch noch aus ihrem Mund Glitzer. Stattdessen startet Swift mit dem Song „Cruel Sommer“ und die Menge jubelt und kreischt. Fast so, als hätte sie nicht längst gewusst, wie der genaue Ablauf des Konzertes ist.

Wenig später kommt Swift auf den Regen zu sprechen, der immer heftiger vom Himmel prasselt. Eine Regenshow gäbe es immer nur für besondere Menschen, sagt sie. „Ich kann mich glücklich schätzen, dass ihr mit mir im Regen tanzt!“ Die Fans applaudieren und beginnen zu tanzen wie Taylor Swift auf der Bühne, der nicht eine Sekunde lang anzumerken ist, dass der Niederschlag stört. Mit ihr macht es Spaß, im Regen zu tanzen. Es ist völlig egal, wie man dabei aussieht. Immerhin steht da oben, vor etwa 50.000 Menschen, ein Megastar mit triefnassem Pony, der ihr an der Stirn klebt. 

Nicht ein einziges Mal rückt Swift ihre Haare zurecht. Stattdessen schüttelt sie die Mähne und dreht sich mit ausgebreiteten Armen im Kreis, als sei dieses Wetter das Allerschönste auf der Welt. Wüsste ich nicht, was Regen ist, aber würde Swift und ihre Fans darin singen und tanzen sehen, würde ich sofort googeln, in welchem Land es am meisten regnet, um dort meinen Urlaub zu verbringen.

Frauen brauchen mehr Frauenvorbilder

Auf dem Konzert fällt eines sofort auf: Es sind vor allem junge Frauen gekommen. Sie sind es auch, die am leidenschaftlichsten mitsingen, und zwar jedes einzelne Wort. Manches rufen sie besonders laut. Etwa „Fuck the Patriarchy“, „Weg mit dem Patriarchat!“ (frei übersetzt), oder Sätze wie „I’m so sick of running as fast as I can, wondering if I’d get there quicker if I was a man!”, „Ich bin es so leid, so schnell zu laufen wie ich kann, während ich mich frage, ob ich schneller vorankommen würde, wäre ich ein Mann.“ 

„Ich wäre ein Alpha-Typ“ singt Taylor Swift in ihrem Song „The Man“
© Christian Charisius

Es ist kein Geheimnis, dass sich Swift mit ihren Texten vor allem an Frauen wendet und sie darin bestärkt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber mitanzusehen, was das mit ihren Fans macht, ist besonders. Die tausenden Frauen, die an diesem Abend zusammengekommen sind, erscheinen in der Masse, die sie bilden, sehr stark. Die Inbrunst, mit der sie Swifts Zeilen singen, und die Art, wie sie zu ihr aufsehen – nicht ehrfurchtsvoll, sondern glücklich bewundernd – machen eines deutlich: Frauen sehnen sich nach Frauenvorbildern, die sich trauen, Frauen zu sein, mit so viel Glitter und Konfetti wie sie wollen. Wir brauchen mehr Taylor Swifts. 

Du kannst unsicher und trotzdem gut sein 

In einem schönen Moment des Konzerts nimmt Taylor Swift kurz die Kopfhörer aus den Ohren, um den Jubel und Applaus in ganzem Ausmaß zu hören. Fast überrascht schaut sie in die Menge, den Mund zu einem ungläubigen Lachen aufgerissen, eine Hand aufs Herz gelegt. Sie wirkt, als hätte sie beim Singen kurz vergessen, dass sie Taylor Swift ist: Milliardärin und eine der erfolgreichsten Sängerinnen der Welt. Natürlich können solche Situationen auch einstudiert sein, aber ihre Freude sieht echt aus.

Diese Bescheidenheit und Demut angesichts ihres Erfolges macht sie sympathisch. Es gibt mir das Gefühl, ihr ebenfalls zujubeln zu können, obwohl es schon zigtausend andere tun. Denn Taylor Swift wird so bald nicht abheben. Vermutlich würde sie eher einen Song darüber schreiben, in dem sie sich Gedanken macht, warum sie nicht abhebt. Oft thematisiert Swift in ihren Liedern ihre Unsicherheit. Singt auch beim Konzert in Hamburg in „Anti-Hero“ davon, dass sie sich manchmal wie „ein Monster“ fühlt. Ihr Erfolg zeigt: Anscheinend kann man sehr unsicher und trotzdem sehr gut sein. 

Trau dich, all deine Seiten zu zeigen 

Einmal sitzt Swift mit Gitarre und Boots vorm Mikrofon, dann spielt sie im langen Kleid Klavier, mal ist sie düster und performt vor schwarz-weißem Bühnenbild, dann hüpft sie wieder im funkelnden Body über die Bühne. Während ihres Konzerts beweist Taylor Swift wieder einmal, wie vielfältig sie ist. Sie beherrscht zahlreiche Musikstile wie etwa Country, Indie, Folk oder Pop, und zeigt jedem, der sie je in eine Schublade stecken wollte, den symbolisch glitzernden Mittelfinger. Eigentlich haben wir doch alle verschiedene Seiten in uns. Vielleicht sollten wir mutiger sein und ähnlich wie Taylor Swift einfach mal was Neues ausprobieren. 

Taylor Swift in Zahlen 20.00

Fansein verbindet auf einem anderen Level 

Das Ultra-Fansein ist etwas, das ich nie richtig verstanden habe. Weinen und kreischen wegen eines prominenten Menschen, mir Fan-Artikel kaufen oder mich auf bestimmte Weise anziehen, nur weil eine Berühmtheit es tut – das fand ich oft befremdlich. Unter Swifties habe ich das Gefühl, besser zu verstehen, was Fansein bedeutet.

Andere Passanten in funkelnder Kleidung nicken mir unmerklich zu, lächeln mich wissend an. Fremde Personen schenken mir Freundschaftsarmbänder, weil ich noch keines habe. Es ist unter Swifties zur Tradition geworden, bei Konzerten untereinander Armbänder zu verteilen. „Wollen wir tauschen?“, fragt dich jemand und hält dir einen Arm unter die Nase, an dem so viele Armbänder hängen wie bei Wolle Petry zu seinen besten Zeiten. Manche haben die Bänder an einem Metallring befestigt und laufen mit suchenden Blicken im Stadion herum wie Strandverkäufer, die gefälschte Louis Vuitton-Portmonees und Handtücher verkaufen. 

Bloß möchte nicht eine einzige Person Geld für ein Armband. Es ist die Art der Swift-Fans, Verbundenheit zu zeigen. Und die vielleicht schönste Art, neue Menschen kennenzulernen. Vielleicht sollten wir uns alle gegenseitig mehr Freundschaftsarmbänder anbieten, als zu „networken“. Statt „Und was machst du so?“, das nächste Mal einfach fragen: „Wollen wir tauschen?“ Werden manche kindisch finden, aber was soll’s? „Haters gonna hate“, wie auf meinem neuen Freundschaftsband steht.

Safe Spaces für Frauen sind noch wichtiger als gedacht

Die Stimmung bei Taylor Swift ist besonders. Alle sind glücklich und freundlich. Es gibt kein Gedränge, keine geiernden Blicke und auch keine abschätzigen, kein Getuschel hinter vorgehaltener Hand, nicht den Ansatz einer negativen Stimmung. Am Ende des Abends verlassen alle friedlich und selig lächelnd das Stadion, man könnte meinen, 50.000 Menschen hätten sich gerade getroffen, um in Ruhe Bong zu rauchen. Auf dem Weg zur S-Bahnhaltestelle singen alle zusammen „Shake it off“. Die Swifties werfen sich mit den Händen geformte Herzen zu, weisen sich daraufhin, nicht zu stolpern, tauschen die letzten Armbänder. Die Frauen fühlen sich bei Taylor Swift-Konzerten wohl. Sicher. Vielleicht auch deshalb, weil deutlich weniger Männer als bei anderen Musikern üblich zu den Shows gehen. Es ist wie ein glitzernder, bunter Mädelsabend mit ausgewählten Plus 1. 

Wer als junge Frau nach einem Taylor Swift-Konzert nachts nach Hause fährt, muss keine Angst haben. An jeder Haltestelle, an jeder Straßenecke der Stadt steht ein in der Dunkelheit glitzernder Swiftie wie ein Glühwürmchen, das einem den Weg leuchtet. Selbst in der S-Bahn auf dem Heimweg geben sich junge Mädchen noch Tipps. 

„Ich weiß gar nicht, wie ich den ganzen Glitzer im Gesicht abbekommen soll“, sagt eine. „Das sitzt richtig fest!“

„Mit der Duschbrause“, erwidert ihre Freundin. „Guck, so.“ Sie hält sich eine imaginäre Brause ins Gesicht. 

„Ich glaube, das geht nicht. Das geht bestimmt nicht ab!“

„Und wenn du einen Waschlappen nimmst? Du musst aber richtig rubbeln!“ 

„Hm. Meinst du, damit geht alles ab?“ 

„Ich hab’s! Leg dich am besten in die Wanne. Heute Nacht noch. Dann weicht der Glitzer auf und fällt ab!“

Eigentlich schade. Vielleicht gibt es einen Grund, dass sich Glitzer so schwer entfernen lässt. Vielleicht sollten wir alle ein bisschen mehr davon in unserem Leben zulassen. Ein bisschen mehr Taylor Swift. 

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