Joe Biden verzichtet auf die Präsidentschaftskandidatur, gibt er nun auch sein Amt als Staatschef ab? Manche fordern das bereits. Einiges spricht dafür, aber das Risiko ist groß.
Kommt nach dem Rückzug der Rücktritt? Drei Wochen hat es gedauert, bis aus der unangefochtenen Kandidaten-Nummer eins der US-Demokraten ein überreifer Staatschef ohne Zukunft wurde. Joe Biden ist also raus aus dem Rennen ums Weiße Haus und nicht wenige seiner eigenen Anhänger sind erleichtert über seinen Verzicht. Zu schwer lastete allein die Debatte über Alter und Fitness auf dem laufenden Wahlkampf. Der Kandidat Biden ist zwar Geschichte, aber der Präsident Biden ist weiterhin 81 Jahre alt, hüftsteif und tüdelig.
Joe Biden soll auch als US-Präsident abtreten
Nur wenige Stunden nachdem der Demokrat seinen Ausstieg bekannt gegeben hatte, meldete sich Donald Trump zu Wort: Biden sei „nicht geeignet, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, und er ist sicherlich nicht geeignet, das Amt auszuüben“, so der republikanische Präsidentschaftskandidat. Sein Parteifreund Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, sprang ihm zur Seite und forderte den Präsidenten unverhohlen zum Rücktritt auf.
Nun ist also auch diese Diskussion in der Welt: Der vollständige Rückzug Bidens. Soll er doch bitte gleich ganz gehen, statt noch bis zur offiziellen Amtsübergabe am 20. Januar 2025 im Weißen Haus zu bleiben. Die Idee, so überhastet sie wirken mag, wird vermutlich schnell an Dynamik gewinnen – nicht nur beim politischen Gegner.
Die etwas unseriöse und konservative „New York Post“ berichtet sogar davon, dass einige Demokraten Biden aus dem Weiße Haus putschen wollten – mithilfe eines Verfassungszusatzes, der es erlaubt, Regierungsmitglieder als „untauglich fürs Amt“ zu erklären, um sich ihn auf diese Weise zu entledigen.
Wenn die Kraft des Amtes erlischt
So rabiat endet die Präsidentschaft vermutlich nicht, aber ein schnelles Aus liegt zumindest in der Logik der US-Politik: Wenn der mächtigste Mann des Landes Willens ist, Macht und Einfluss abzugeben, warum sollte er (oder irgendwann auch sie) noch warten? Mit dem Moment des Nicht-weiter-machen-wollens oder -könnens erlischt die Kraft des Amts. Wäre es nicht dann konsequent, sofort die Segel zu streichen, anstatt halb handlungsunfähig, halb handlungsunwillig noch die letzten Monate abzusitzen?
Was Umfragen über Kamala Harris sagen 19.50
Dieses Szenario kennen die Amerikaner unter dem Begriff „lame duck“. Zur lahmen Ente werden Staatsoberhäupter, deren Amtszeit endet und die nicht wiedergewählt werden können. In diese Situation hat sich Joe Binden nun gebracht, und es liegt noch fast ein dreiviertel Jahr als Staatschef vor ihm. Wertvolle Zeit, in der das politische Washington nun gelähmt das Ende der Legislaturperiode abwartet. Zeit, die Kamala Harris für sich nutzen könnte.
Kamala Harris: mit Amtsbonus in die Wahl
Der Plan, den einige schmieden dürften, geht so: Joe Biden erklärt seinen Rücktritt als US-Präsident. In diesem Fall gehen Amt und Würden automatisch an Kamala Harris über. Bis zur Wahl würde die 59-Jährige das Land regieren, was in diesem Fall vor allem darin besteht, dass von Biden gut bestellte Haus zu verwalten. Einige Vorhaben drängen zwar noch, darunter eine Reform des Obersten Gerichtshofs und die dauerhafte Unterstützung der Ukraine, so aber bekommt Harris auch die Möglichkeit, sich als Anführerin zu profilieren und im Wahlkampf zu punkten. Mit diesem Amtsbonus stellt sie sich am 5. November zur Wahl. Und gewinnt.
Doch genauso gut ist es denkbar, dass Harris ihre Sache versemmelt. Mehrheiten im politisch zerteilten Washington zu organisieren, ist selbst für Joe Biden, dem ältesten Hasen im Geschäft, eine äußerst mühselige Angelegenheit. Für jemand wie Kamala Harris, die als Vizepräsidenten nicht durch große Erfolge aufgefallen ist, könnte der Job schnell zur Mission Impossible werden. Dann würde im November aus einem Bonus ein Malus werden.
Der Geist ist aus der Flasche
Noch sind das alles Gedankenspiele. Noch ist Kamala Harris nicht die offizielle Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, auch wenn sie innerparteilich bereits ausreichend Unterstützung genießt. Noch sind die Demokraten damit beschäftigt, den eigenen Laden zusammenzuhalten. Doch die Idee, die lahme Ente im Weißen Haus endgültig aufs Altenteil zu schieben, ist nun raus aus der Flasche. Wie schnell solchen Gedanken Folgen haben können, haben die vergangenen 23 Tage gezeigt.
Quellen: „New York Times„, DPA, AFP, „New York Post„, „Politico“