Bauforschung: Fund im Kirchendach: Puzzle mit Dachziegeln aus Mittelalter

Die Wissenschaftler staunten nicht schlecht. Der Abfallcontainer stand schon bereit, da entdeckten sie über 600 Jahre alte Dachziegel im Bauschutt.

Mit der Stirnlampe ist Bauforscher Peter Barthold vor Monaten über das Gewölbe im Dach der evangelischen Kirche in Borgholzhausen geklettert. Der Experte beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe geht bald in den Ruhestand. Was er hier in einem mit Schutt gefüllten Trichter fand, machte den erfahrenen Experten sprachlos. 20 Eimer mit zerbrochenen Dachziegeln aus dem Mittelalter füllte Barthold mit seinen Mitarbeitern. „Ich wusste, es ist etwas Außergewöhnliches. So eine Funddichte habe ich noch nie gehabt“, sagte der Bauforscher bei der Vorstellung in Münster. Auslöser war die Dachsanierung der Kirche im Sommer 2023 und die folgende bauhistorische Untersuchung. 

In dem Trichter hatten Handwerker über die Jahrhunderte immer wieder ihren Abfall zurückgelassen. Darunter neben den Dachziegeln aus dem 14. Jahrhundert auch Mörtelreste, seltene Metallstücke von Werkzeugen und Kochgeschirr. Und auch eine Schicht mit Schieferschindeln. 

Dass am Ende eine im Mittelalter in Vergessenheit geratene Dachdeckungsart in den Forschungsmittelpunkt geriet, überraschte Barthold und den Leiter der Bauforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Michael Huyer. Die Kirche liegt in Ostwestfalen zwischen Osnabrück und Bielefeld. Entdeckt wurden die Ziegelfragmente, kurz bevor ein großer Berg an Schutt und Bauresten eigentlich über eine Rutsche in einem Container entsorgt werden sollte, wie der LWL mitteilte. 

Jetzt sollen die Funde wie bei einem Puzzle zusammengefügt werden, um zusammen mit Archäologen, Denkmalpflegern und Architekten die Dachdeckungsart zu erkunden und zu erforschen, warum sie durch Schindeln ersetzt wurde. Möglicherweise war die Handhabung zu kompliziert oder teuer. Das Legen und Befestigen der Ziegel war mit Aufwand verbunden. Möglicherweise erwies sich die Konstruktion auch nicht als praktikabel – weil zu statisch. Das darunter liegende Holz wurde frisch geschlagen verbaut und war damit noch in Bewegung, wie Huyer erklärte. Bei Dächern in Südeuropa lagen die Ziegel locker aufeinander, um vor Sonne und Regen zu schützen. Vermutlich im 15. oder 16. Jahrhundert wurden die Ziegel in Borgholzhausen durch Schiefer ersetzt. 

Resten gehören zu „Mönch-Nonne-Deckung“

„Es ist damit der bisher größte mittelalterliche Ziegelfund in einem westfälischen Bauwerk“, sagte Huyer. Die Reste gehören zu einer sogenannten Mönch-Nonne-Deckung, bei der unterschiedliche Rinn- und Deckziegel übereinander gelegt wurden. Normalerweise halten Dachziegel rund 100 Jahre. Bei diesem Fund sind die Ziegelreste rund 600 Jahre alt. Das Alter der Keramik selbst lässt sich nur ungenau mit wissenschaftlichen Methoden bestimmen. Das ist bei der Dachkonstruktion des Kirchendaches anders. Hier ermittelten die Wissenschaftler, dass das Holz aus der Zeit um 1336 stammt. Die Kirche im Kreis Gütersloh ist eine kreuzförmige Anlage mit Westturm und wurde aus Bruchsteinen gebaut. Bekannt ist sie für ihren Steinaltar im Chorraum aus dem Jahr 1501. 

Ein vergleichbarer Fund ist in ganz Deutschland nur aus dem niedersächsischen Uelzen bekannt. Auch gibt es Hinweise auf Bauten in Dänemark. Die Deckungsart an sich ist seit dem Altertum bekannt. Verbreitet war sie nicht nur bei Kirchen und hochrangigen Bauten, sondern prägte laut LWL auch das Erscheinungsbild der mittelalterlichen Städte in Westfalen. Nachweisbar war sie bislang allerdings nur mithilfe von historischen Bildquellen. 

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