Sprachnachrichten vom Ex: Tiktok-Trend entlarvt Frauenhass: Diese Nachrichten sollten nicht normal sein

Auf Tiktok spielen Frauen die Sprachnachrichten ihrer Ex-Partner nach der Trennung ab. Sie sorgen mit ihren trockenen Reaktionen darauf für Lacher. Dabei machen die Clips wütend.

Erst musste auch ich lachen, denn ein bisschen lustig ist der neueste Tiktok-Trend schon: Auf der Social-Media-Plattform teilen meist Frauen gerade die Sprachnachrichten ihrer Ex-Partner nach der Trennung. Da behauptet etwa ein Mann, er sei gar nicht fremdgegangen, weil er die Frauen beim Sex ja nicht angeguckt habe. Ein anderer will seiner Ex weismachen, es wäre voll „cringe“ gewesen, wenn er die andere Frau nicht zurück geküsst hätte. Verstehe sie doch, oder? 

Die Frauen sprechen die Botschaften mit oder reagieren mit trockenen Kommentaren und Blicken auf den Unsinn. Doch je mehr dieser Clips man ansieht, umso schneller bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Denn der Hass auf Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch die Nachrichten der Verflossenen. 

IV Agota Lavoyer Gewalt gegen Frauen EM 8.58

Die Männer beleidigen und beschimpfen ihre Ex-Partnerinnen („Du bist so krank!“ „Was glaubst du, wer du bist?“), werden aggressiv und drohen oder geben sich manipulativ enttäuscht, etwa, weil eine Frau es gewagt hat, nach der Trennung in eine Bar zu gehen. Sie versuchen, Kontrolle auszuüben, wollen vorschreiben, was die Frauen anziehen, wo sie hingehen, wie sie sich überhaupt zu verhalten haben. 

Das Ganze würde nicht so wütend machen, wenn es Ausnahmen wären. Doch dahinter steckt ein strukturelles Problem, für das es Zahlen gibt. Und die sind schockierend.

Gewalt gegen Frauen beginnt nicht erst bei Schlägen

Jeden zweiten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Gewalt ihres (Ex-)Partners. Wie das BKA kürzlich mitteilte, haben sich die Fälle solcher Taten allein in den vergangenen fünf Jahren um 17,5 Prozent erhöht. Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. 

„Gewalt beginnt nicht erst mit Schlägen. Auch Bedrohungen, Beschimpfungen, Belästigungen und Kontrolle durch den Partner oder die Partnerin sind Formen von Gewalt,“ klärt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf seiner Website auf. Heißt: Gewalt gegen Frauen entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern dort, wo Frauen systematisch abgewertet, kontrolliert und eingeschüchtert werden. Und wo nichts dagegen getan wird.

Mikrotrends Gen Z 10.01

Umso unverständlicher ist es, dass die Politik so wenig tut, um Frauen (und oft auch ihre Kinder) vor Gewalt zu schützen. So hat es etwa ausgerechnet das von Expertinnen und Experten schon lange herbeigewünschte und im Koalitionsvertrag festgehaltene Gewalthilfegesetz nicht in den aktuell verabschiedeten Haushaltsentwurf für das kommende Jahr geschafft. Damit ist etwa die Finanzierung von Frauenhäusern – von denen es eh schon zu wenige gibt – weiter wackelig. Verbände wie der deutsche Frauenrat kritisieren dies zu Recht scharf.

Tiktok-Trend zeigt: Frauenhass ist alltäglich – und damit oft unsichtbar

Ein interessanter Nebenaspekt ist übrigens, dass das mediale Echo zum Tiktok-Trend die offensichtliche Misogynie darin meist nicht einmal thematisiert. Stattdessen konzentriert sich die Berichterstattung hauptsächlich auf die Frage, ob die Frauen das überhaupt dürfen. (Auch der stern hat darüber geschrieben.) Dürfen die einfach alte Sprachnachrichten öffentlich machen? Dürfen sie sich so ein Stück Selbstermächtigung zurückholen? Die (juristische) Antwort lautet: Nein, dürfen sie nicht. Der Experte im stern-Artikel rät aufgrund der möglichen Geldbußen Frauen davon ab, sich an dem Trend zu beteiligen. Sprich: Das muss man sich leisten können. Die Persönlichkeitsrechte der Männer gilt es zu wahren, dafür gibt es Gesetze – und das ist auch gut so.  

Was aber keiner fragt: Ob die Männer eigentlich drohen dürfen, erpressen dürfen, Verbote aussprechen dürfen, beleidigen dürfen, Angst machen dürfen, Frauen wie Besitz behandeln dürfen? Denn die traurige Antwort lautet: Ja, dürfen sie. Unsere Justiz und wir als Gesellschaft versagen auch an dieser Stelle, wenn es um den Schutz von Frauen geht.

Dabei könnten Social-Media-Trends wie dieser unglaublich machtvoll sein, um ein Bewusstsein für diesen allgegenwärtigen Frauenhass zu schaffen, den viele schon gar nicht mehr sehen. Die Clips könnten anderen Betroffenen Mut machen und sie können vor allem zeigen: Das ist nicht normal. Auch, wenn die Welt in der wir leben oft so tut, als sei es das.

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