Landtagsdebatten: Fraktionen beraten über schärfere Strafen im Parlament

Der Umgang miteinander im Landtag ist in Sachsen-Anhalt ein Dauerthema. Die AfD-Fraktion sieht sich ausgegrenzt und kritisiert die Konkurrenten. Die wiederum erwägen neue Sanktionen für Entgleisungen.

Sie brüllen wild durcheinander. Manche Abgeordnete erheben sich wütend von ihrem Sitz, andere gestikulieren energisch mit den Armen. Die Debatte zum Umgang mit ukrainischen Geflüchteten läuft im März völlig aus dem Ruder. Schließlich beschimpft der AfD-Politiker Tobias Rausch Landtagsvizepräsidentin Anne-Marie Keding (CDU). „Schämen Sie sich!“, ruft Rausch, weil er unzufrieden mit ihrer Sitzungsleitung ist. Es wird unterbrochen. Später erteilt die Vizepräsidentin mehrere Ordnungsrufe.

Viele Debatten im Magdeburger Parlament verlaufen geordneter ab. Aber Gebrüll und Beleidigungen kommen regelmäßig vor – auch während Schulklassen und andere Besucher oben auf den Tribünen sitzen. „Der Ton im Parlament erreicht in Teilen wirklich Grenzbereiche“, sagt FDP-Fraktionsvorsitzender Andreas Silbersack. Das Parlament dürfe nicht zur „Schrei-Bude“ verkommen. Diskussion könne man auch laut führen. „Aber Diskreditierungen, Herabstufungen, Straßenkampfgefühl – all das brauchen wir nicht.“

Für die hitzige Atmosphäre im Parlament machen die meisten Fraktionen vor allem die AfD verantwortlich. Die Rechtspopulisten haben in dieser Legislaturperiode mit Abstand die meisten Ordnungsrufe kassiert. Fair beurteilt fühlen sie sich nicht. „Es gibt nur einen, der andauernd mit Ordnungsrufen um sich wirft und das ist Herr Gallert. Er leitet oft ideologisch“, kritisiert Co-Fraktionschef Oliver Kirchner Vizepräsident Wulf Gallert (Linke). „Deshalb ist ein Ordnungsruf von ihm eher wie eine Urkunde.“ Zum Feindbild der AfD gehört ebenfalls der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel. „Herrn Striegel lässt man alles durchgehen, selbst wenn er einen als ‚Nazi‘ beschimpft. Wird dann aber gekontert, gibt es direkt einen Ordnungsruf“, sagt Kirchner.

Frust bei der AfD sitzt tief

Verletzt ein Mitglied des Landtags die Ordnung, Würde oder das Ansehen des Parlaments, kann der Präsident oder die Präsidentin es zur Ordnung rufen. Geschieht dies während einer Sitzung dreimal oder verletzt ein Abgeordneter die Ordnung grob, kann der Präsident diesen von der Sitzung ausschließen.

Soweit ist es bisher nicht gekommen. Doch der Frust bei der AfD sitzt tief. „Die anderen Fraktionen hier im Parlament biegen sich ihre Demokratie so zurecht, wie sie es gerade brauchen“, sagt Kirchner. „Fast könnte man hier von einer ‚Demokratiesimulation‘ sprechen. Beispielsweise wurde unser Ausschussvorsitzender wegen einer Lächerlichkeit abgewählt“, sagt Kirchner mit Blick auf die Abberufung von Ulrich Siegmund als Vorsitzender des Sozialausschusses. Dieser hatte an einem Treffen radikal rechter Kreise in Potsdam teilgenommen. Und auch das permanente Scheitern bei Wahlen nervt die AfD. „Einen Vizepräsidenten, wie es die parlamentarischen Regeln eigentlich vorsehen, verwehrt man uns schon seit über zweieinhalb Jahren“, sagt Kirchner.

Im Parlament unternimmt die AfD in nahezu jeder Sitzung den Versuch, einen Vizepräsidenten zu erhalten. Alle Bewerber fielen in dieser Legislaturperiode durch. Mehrere Fraktionen haben immer wieder deutlich gemacht, wegen des extremen Agierens keinen Bewerber der AfD wählen zu wollen. In Sachsen-Anhalt wird die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.

FDP appelliert auch an Linke und Grüne

Aus Sicht von FDP-Politiker Silbersack wäre es aber zu kurz gegriffen, einen Appell allein an die AfD zu richten. „Veränderungen muss es von links wie von rechts geben. Die AfD nimmt Angriffe gerne als Steigbügelhalter, um völlig auszuticken“, sagt er. „Wenn aber die Linke und in Teilen auch die Grünen den Eindruck vermitteln, man befindet sich im Straßenkampf, wird das dem Parlament auch nicht gerecht.“

Was also muss passieren, um den Ton und das Miteinander zu verbessern? Die SPD-Fraktion spricht sich für die Einführung eines Ordnungsgelds aus, um Entgleisungen stärker sanktionieren zu können. Die Gespräche mit den Vertretern der anderen Fraktionen dazu im Landtag laufen. „Es geht nicht um eine Lex AfD. All diese Sachen, die wir da diskutieren, treffen dann auch für alle zu“, sagt Fraktionsvorsitzende Katja Pähle.

In Bayern wurden schärfere Instrumente bereits beschlossen. Laute oder beleidigende Störungen von Sitzungen können dort nun bis zu 4000 Euro Ordnungsgeld nach sich ziehen. Zunächst wird ein Ordnungsruf erteilt. Bei besonders gravierenden Fällen oder wiederholtem Pöbeln droht in einer zweiten Stufe ein Ordnungsgeld von bis zu 2000 Euro – beziehungsweise bei Wiederholungstätern von bis zu 4000 Euro – und als letztes Mittel der Ausschluss von Sitzungen.

AfD ist gegen schärfere Strafen

Ob das auch in Sachsen-Anhalt hilft? Linken-Fraktionsvorsitzende Eva von Angern ist skeptisch. „Ich befürchte, selbst ein Ordnungsgeld ist den Abgeordneten der AfD egal. Ich finde die Variante des Präsidiums, konsequenter mit den vorhandenen Möglichkeiten umzugehen, richtig. Man musste bisher noch niemanden vor die Tür setzen, aber allein die Androhung scheint doch zu wirken.“

Auch die FDP ist noch zurückhaltend. „Der erste Reflex wäre für uns nicht, dass wir Strafgelder verhängen. Ich wünsche mir vom Parlamentspräsidenten beziehungsweise seinen Vize, dass sie einfach konsequenter das Instrumentarium, was sie haben, nutzen“, sagt Silbersack. „Wenn jemand das ganze Haus tyrannisiert durch sein Geschrei, muss er einfach des Saals verwiesen werden.“ 

Die AfD spricht sich gegen schärfere Strafen aus. „Die Sanktionsmöglichkeit des Ordnungsrufes reicht aus“, sagt Kirchner. Den Grünen hingegen genügt das nicht mehr. „Ordnungsrufe sammelt die AfD gerne ein, um sich wieder als Opfer darstellen zu können“, sagt Fraktionschefin Cornelia Lüddemann. „Es ist wichtig und nötig, den Instrumentenkasten zu erweitern. Allgemein in der Gesellschaft merkt man ja, wenn es ans Portemonnaie geht, reagieren manche Menschen dann doch und denken eher nach.“

Den Vergleich zur Gesellschaft zieht auch CDU-Fraktionschef Guido Heuer. „Wir müssen in der Politik, aber auch in der Gesellschaft wieder lernen, richtig diskursfähig zu werden, ohne dass wir unter die Gürtellinie gehen“, sagt er. „Man muss sich die Meinung anderer anhören und zumindest mal akzeptieren. Man muss sie nicht teilen, aber man muss sie akzeptieren.“

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