Die Abnehmspritze mit dem Wirkstoff Semaglutid sorgt für Überraschungen: Frauen berichten, dass sie damit plötzlich schwanger sind. Kann die Abnehmspritze beim Kinderwunsch helfen? Das sagen Experten.
Die sozialen Medien setzen den Trend: Die Facebook-Gruppe „I got pregnant with Ozempic“ hat bereits kurz nach dem Start über 900 Mitglieder. Und jede Woche werden es mehr. Hier tauschen sich Frauen aus, die während der Behandlung mit der Abnehmspritze überraschend schwanger wurden.
Betroffene und Experten beobachten bereits seit einiger Zeit, dass Frauen, die sich das Mittel spritzen, um ihr Übergewicht zu reduzieren, überproportional häufig schwanger werden. Liegt es an den verlorenen Pfunden? An dem Medikament direkt? Und wie sollten Frauen mit dieser unverhofften Wirkung der Abnehmspritze umgehen?
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Zur Erinnerung: Ozempic und die Schwestermarke Wegovy enthalten den Wirkstoff Semaglutid und sind besser bekannt als Schlankheits- oder Abnehmspritze. In Deutschland kann man sich die Medikamente seit etwa einem Jahr verschreiben lassen. Ärztinnen und Ärzte setzen sie bei Menschen mit Diabetes (Ozempic) oder gegen Übergewicht (Wegovy) ein. Unter den Patienten sind auch viele junge Frauen. Und nicht wenige von ihnen wünschen sich sehnlichst Kinder, werden aber aufgrund ihres Übergewichts nicht schwanger.
Abnehmspritze und Schwangerschaft: Vor allem PCOS-Betroffene scheinen zu profitieren
Einer der Gründe: Bei Frauen mit Übergewicht liegt häufig eine gewisse Disbalance der Hormone vor. Das überschüssige Fettgewebe produziert zusätzliches Östrogen und Testosteron. Doch ein zu hoher Spiegel dieser Botenstoffe kann den Eisprung verhindern. Möglicherweise ist auch die Qualität der Eizellen vermindert. Semaglutid scheint diese ungünstigen Mechanismen zu beheben.
Erste Beobachtungen zeigen: Vor allem Frauen mit dem sogenannten Polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) profitieren von den purzelnden Kilos.
Das Polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist eine hormonelle Störung bei Frauen im gebärfähigen Alter. Sie haben
unregelmäßige Monatsblutungen, erhöhte Blutspiegel männlicher Hormone Eierstöcke mit vielen kleinen Eibläschen (polyzystisch), die nicht normal reifen.
Betroffene Frauen haben oft Probleme, schwanger zu werden. Ursache ist das hormonelle Ungleichgewicht, das einen normalen Eisprung verhindert und durch das Übergewicht ausgelöst wird. Ihnen wird empfohlen abzunehmen, beispielsweise durch einen gesünderen Lebensstil. Oft hilft auch das Diabetes-Medikament Metformin. Für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch gibt es die Möglichkeit einer Fruchtbarkeitsbehandlung. Neuerdings wird auch die Abnehmspritze eingesetzt: Sie reduziert das Gewicht, das hormonelle Ungleichgewicht verbessert sich, der Eisprung wird regelmäßiger, die Schwangerschaft wahrscheinlicher.
Friederike Weschenfelder, Oberärztin an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Jena
© Lena Giovanazzi
„Bei übergewichtigen Frauen ist eine Gewichtsabnahme der effektivste Weg, um schwanger zu werden“, resümiert Friederike Weschenfelder, Oberärztin an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Jena, die Studienlage. Jedes Kilo, das purzelt, bringt den Hormon-Haushalt wieder ins Gleichgewicht und damit auch Eisprung und Zyklus.
Dabei müssen Dicke nicht dünn werden, um die Aussicht auf eine Schwangerschaft zu verbessern. „Es reicht schon, wenn die Frauen fünf bis zehn Prozent ihres Gewichts verlieren, damit der normale Eisprung wieder einsetzt“, erklärt Weschenfelder. Allerdings gelänge auch dieser moderate Gewichtsverlust den wenigsten Frauen durch eine Ernährungsumstellung. Zu fest sitzen die Pfunde.
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Nicht jede Schwangerschaft ist erwünscht
Nicht alle Frauen freuen sich über die zunehmende Fruchtbarkeit. In den Internetforen berichten Frauen auch, dass sie unter der Abnehmspritze trotz Verhütung durch die Pille schwanger wurden. Die Ursache: GLP-1-Medikamente wie Semaglutid verzögern die Magenentleerung – ein Effekt, der beim Abnehmen erwünscht ist. Allerdings werden Medikamente wie die Pille dadurch auch langsamer in den Blutkreislauf aufgenommen. Sie wirken abhängig vom Blutspiegel. Ist zu wenig davon im Körper, können sie nicht wirksam verhüten. Der Hersteller wies bereits früh auf diese Nebenwirkung hin, allerdings eher undeutlich, indem er dem Medikament den Hinweis beifügte, dass unter der Behandlung unbedingt zuverlässig verhütet werden sollte.
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„Wir müssen die Frauen, die mit Semaglutid abnehmen, in Sachen Verhütung sehr gut beraten“, sagt auch Gynäkologin Weschenfelder. Nur so könne man verhindern, dass Frauen ungewollt schwanger werden. „Zum einen kann es passieren, dass die Pille nicht wie gewohnt wirkt. Zum anderen müssen sich die Frauen darüber im Klaren sein, dass sich ihr Zyklus relativ schnell wieder normalisiert, wenn sie einige Kilos verlieren, und sie schwanger werden können.“
Wer sich dagegen ein Kind wünscht, kann zunächst in Kombination mit einer sicheren Verhütung abnehmen und das Medikament dann absetzen. Zwischen Therapieende und Empfängnis sollten der Empfehlung des Herstellers zufolge zwei Monate liegen, sodass der Körper das Mittel vollständig abgebaut hat.
Fehlende Daten
Denn bisher gibt es schlicht zu wenig Daten darüber, wie sich das Medikament auf das Kind im Mutterleib auswirkt. Wolfgang Paulus, Gynäkologe an der Universität Ulm, berät Frauen und Fachleute, wenn es um Medikamente in der Schwangerschaft geht. Er warnt: „Vor allem im ersten Drittel der Schwangerschaft können Medikamente fatale Auswirkungen haben.“ (Hier können Sie das vollständige Interview mit dem Gynäkologen nachlesen.)
Der Ulmer Gynäkologe Wolfgang Paulus berät Fachleute und Schwangere zu Medikamenten, deren Wirkung auf das Ungeborene nicht gut erforscht ist
© Universität Ulm
Untersuchungen, ob Semaglutid dem Fötus schaden könnte, gibt es derzeit noch nicht ausreichend – und sie sind auch schwierig durchzuführen. Denn Medikamente dürfen grundsätzlich nicht an Schwangeren getestet werden. Deshalb sind Expertinnen und Experten wie Weschenfelder oder Paulus auf Berichte von Frauen angewiesen, die das Medikament genommen haben, ohne zu wissen, dass sie schwanger sind. Experimentelle Daten können die Fallstudien ergänzen. „Aus Tierversuchen wissen wir, dass Semaglutid in der Dosierung, wie wir sie beim Menschen anwenden, keine Auswirkungen auf den Embryo hat. Aber wir können Tierdaten nicht 1:1 auf den Menschen übertragen. Nur weil es im Tierversuch keinerlei Schäden verursacht, würde man ein Medikament nicht großzügig bei Schwangeren einsetzen“, sagt Paulus.
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Trotz berechtigter Vorsicht sieht Schwangerschaftsexpertin Weschenfelder von der Universität Jena große Chancen für übergewichtige Frauen mit Kinderwunsch durch die Behandlung mit der Abnehmspritze. Viele Komplikationen in der Schwangerschaft wie Bluthochdruck, Diabetes und eine erhöhte Kaiserschnittrate sind eine direkte Folge von Übergewicht. Wenn Frauen schlanker in die Schwangerschaft gehen und ihr Gewicht dank Bewegung und der richtigen Ernährung in dieser Zeit auch weitgehend halten, kann das die Komplikationsrate merklich senken. Weschenfelder sagt: „Das ist der größte Vorteil, den wir in diesem Medikament sehen. Wenn Frauen gesünder und schlanker in die Schwangerschaft gehen, ist dies die beste Voraussetzung für die gesunde Entwicklung des Kindes und eine unbeschwerte Schwangerschaft.“