Album der Woche: Neuer Gitarrist, neue Energie: Deep Purple in Bestform

Der neue Gitarrist von Deep Purple ist rund 30 Jahre jünger als seine Bandkollegen. Sänger Ian Gillan schwärmt im dpa-Interview von Simon McBride und erzählt, was sich durch den Neuzugang ändert.

  Ian Gillan ist mehr als zufrieden. Nach über 50 Jahren im Musikgeschäft und mehr als einem Dutzend Alben mit Deep Purple verspürt der 78-Jährige große Vorfreude und ist enthusiastisch, wenn er über die neue LP seiner Band spricht. „Das ist nicht immer so“, gibt der Sänger im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London zu. „Aber in diesem Fall absolut, ja, ich freue mich sehr.“

Studiodebüt des neuen Gitarristen

Tatsächlich ist Feuer drin in der neuen Platte der Altrocker, die den Titel „=1“ (sprich: „equals one“) trägt. Es ist das erste Studioalbum mit Gitarrist Simon McBride, der seit 2022 fest zu Deep Purple gehört, weil sich Steve Morse aus privaten Gründen zurückgezogen hat. McBride ist mit 45 Jahren das deutlich jüngste Bandmitglied. Don Airey ist 76, Bassist Roger Glover 78 und Drummer Ian Paice, die einzige Konstante in der über 50-jährigen Bandgeschichte, ist ebenfalls 76.

„Er ist nur ein Kind, oder?“, scherzt Gillan über seinen nicht mehr ganz neuen Bandkollegen, der noch nicht geboren war, als Kultalben wie „Deep Purple In Rock“ oder „Machine Head“ veröffentlicht wurden. Seine Feuertaufe hat McBride bei vielen Konzerte mit Deep Purple längst bestanden. Und seine Präsenz macht sich auch auf dem neuen Album eindeutig bemerkbar.

Neue Energie für die Band

„Er hat genug Energie für uns alle“, sagt Gillan und lacht. „Er bringt so viel Energie ein, dass es eine Inspiration ist. Und ich glaube, das hört man in der Musik. Ich vergleiche das gern mit einem Fußballteam oder anderen Sportmannschaften: Man nimmt einen neuen Spieler dazu, und auf einmal spielt die ganze Mannschaft ganz anders. Es muss gar kein Starspieler sein.“

Gleich zu Beginn liefert sich der Neue im Song „Show Me“ auf den Saiten ein mitreißendes Duell mit Keyboarder Airey. Im Vergleich zu seinem versatilen Vorgänger Morse, der den Sound von Deep Purple fast drei Jahrzehnte prägte und dabei Elemente von Blues und Jazz einfließen ließ, scheint McBride – zumindest auf seinem ersten Deep-Purple-Studioalbum – eher auf klassischen Hardrock fokussiert.

Vielseitiger Hardrock, erstklassige Songs

Insgesamt klingt „=1“ härter und wuchtiger als die letzten, manchmal etwas gemächlichen Alben der Hardrock-Urgesteine. Und es ist voller erstklassiger Songs. „A Bit On The Side“ glänzt mit kräftigem Gitarrensolo und ausgelassenen, progressiven Eskapaden von Airey an den Tasten. „Portable Door“ ist ein Riffrocker mit fetter Hammond-Orgel und typischem Purple-Vibe. „If I Were You“ überrascht mit einem epischen orchestralen Finale.

Obwohl „=1“ vielseitig ist, wirkt alles wie aus einem Guss. Das soll vermutlich auch der Titel symbolisieren. „Für mich ist dieses Album wirklich organisch“, meint Gillan. „Es fühlt sich natürlich an und hat eine unverfälschte Energie.“ Daran habe auch Produzentenlegende Bob Ezrin (Pink Floyd, Kiss, Alice Cooper), mit dem Deep Purple schon lange zusammenarbeiten, großen Anteil. „Ich war immer begeistert von Bobs Sound, seit wir angefangen haben, mit ihm zu arbeiten“, schwärmt Gillan. „Der ist einfach großartig.“

Sänger Gillan mit 78 in Bestform

Dass die neue Musik unverkennbar nach Deep Purple klingt, liegt natürlich auch an Ian Gillan selbst, der mit fast 80 stimmlich in beeindruckender Form ist. „Auf der neuen Platte klingt meine Stimme besser als je zuvor, finde ich“, sagt der Sänger ganz unbescheiden. Er kann es sich erlauben. In „Old-Fangled Thing“ und dem treibenden, rasanten „Now You’re Talking“ überrascht Gillan sogar mit kräftigem Geschrei. „Es kam einfach raus. Ich habe das nicht geplant.“

Während seiner Karriere habe er häufiger mit seiner Stimme gehadert, berichtet der Frontmann, der von 1969 bis 1973, von 1984 bis 1989 und seit 1992 durchgängig mit Deep Purple musiziert. „Die ganze Sache mit dem Älterwerden war seinerzeit ziemlich enttäuschend“, sagt er. Den epischen Purple-Klassiker „Child In Time“ etwa kann er schon lange nicht mehr live singen.

„“Child In Time“ ging ohne Mühe, bis ich etwa 38 Jahre alt wurde“, erzählt er. „Dann änderte sich die gesamte Struktur meiner Stimme und plötzlich wurde es anstrengend. Und es klang nicht mehr wie Honig, sondern es klang angestrengt.“ Dafür habe er allerdings einen besseren Klang in seiner mittleren Stimmlage gefunden, sagt Gillan. „Es funktioniert wirklich großartig.“

Neuer Enthusiasmus statt Ruhestand

Vor Jahren schien es, als bereiteten sich Deep Purple auf den Ruhestand vor. Ihre 2019 beendete Tournee hieß „The Long Goodbye“. Doch von Abschied ist nun keine Rede mehr. Im Gegenteil – es geht unermüdlich weiter. Derzeit ist die Band in Europa auf Tournee. Direkt im Anschluss geht es nach Amerika und dann zurück nach Europa. Im Oktober finden mehrere Konzerte in Deutschland statt.

„Es gibt viel Enthusiasmus in der Band“, stellt Ian Gillan fest. „Man will nicht loslassen, nicht wahr? Und ich denke, wir spulen nicht nur etwas ab. Es ist immer noch Schwung und Leben drin und es hat seine Berechtigung.“ Wenn es einen Beweis gebraucht hätte, dass Deep Purple noch nicht reif für den Ruhestand sind, dann ist „=1“ einer. Das 23. Studioalbum der Hardrock-Institution ist ihr bestes seit Jahren.

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