Wähler verloren: Schlappe bei EU-Wahl: Diese Fehler gestehen sich die Grünen jetzt ein

Bei der EU-Wahl verloren die Grünen viele Wählerstimmen. Nun zieht die Partei erste Lehren aus der Niederlage. Was wird das bringen?

Am Abend der EU-Wahl waren die Grünen fast schon buchstäblich mit der Ablehnung konfrontiert. In der Berliner Columbia-Halle versammelte sich die Partei zum Wahlabend. Gegenüber stand über lange Zeit ein Mann auf dem Balkon. Auf seinem T-Shirt prangte der Schriftzug: „Fuck Greens“, gut zu erkennen vom Außenbereich, wo sich die Parteianhänger mit Getränken und Snacks versorgten. Für manche wurden die Grünen in der Regierungsverantwortung regelrecht zum Feindbild.

Doch auch insgesamt hat die Zustimmung deutlich abgenommen. Das zeigt das Wahlergebnis des Abends Anfang Juni: Die Grünen kommen auf 11,9 Prozent, fünf Jahre zuvor konnten sie 20,5 Prozent erreichen.

Die jüngste Wahlschlappe hat die Grünen, etwas mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl, in eine Identitätskrise gestürzt und alte Richtungskämpfe neu aufflammen lassen. Die Verluste waren dabei nicht ganz einfach zu deuten: Viele Wählerinnen und Wähler verlor die Partei an die Union. Aber auch viele ans Lager der Nichtwähler. Und gerade junge Leute liefen vielfach zur Kleinstpartei Volt über. Sind die Grünen den Leuten also zu „grün“? Ist es in der Regierung zu wenig „grün pur“? Oder stimmt am Ende beides? 

Grüne Parteivorsitzende stellen Lehren vor

Eilig kündigte die Parteispitze eine Aufarbeitung des Wahlergebnisses an. Rund fünf Wochen später ist es soweit: In einer Online-Veranstaltung am Mittwochabend stellen die beiden Co-Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour ihren Mitgliedern an der Basis vor, welche Schlüsse sie aus dem Ergebnis ziehen wollen. Und gestehen sich vor den nach eigenen Angaben rund 1.500 Zuhörern dabei auch einige Fehler ein.

Sekmen von Grünen zu CDU 18.39

Etwa, dass man sich in der Vergangenheit mit so manchem Formelkompromiss zufriedengegeben habe. Mit dem hätten dann die Anhänger der beiden Flügel in der Partei zwar leben können – doch vielen Bürgerinnen und Bürgern sei er nicht zu vermitteln gewesen. Oder, dass man das Versprechen an die jungen Leute („Jetzt seid ihr dran“) nicht eingelöst habe. Und dass man sich im Endspurt des Wahlkampfs teils nicht ausreichend um Themen gekümmert habe, die die Menschen am stärksten umtreiben. 

Sie wollten nun einiges anders machen, beteuern Lang und Nouripour. Dazu gehöre, die Sorgen und Probleme der Menschen ernstzunehmen, etwa die Angst vor Krieg oder die gestiegene Inflation. Das bedeute nicht, dass man Politik nach Umfragen mache, aber dass man den in der Bevölkerung geäußerten Sorgen mit Ernsthaftigkeit begegne. Dabei wolle man künftig auch eine klarere Sprache sprechen. Und man wolle Abstand von einer „Politik des Imperativs“ nehmen – also um jeden Preis den Eindruck vermeiden, dass die Grünen den Menschen etwas vorschreiben wollen.

Politik für die „Breite der Gesellschaft“, aber auch fürs Kernklientel

Lang vom linken Flügel bekräftigt dabei den Anspruch, dass die Partei Politik für „die Breite der Gesellschaft, also fürs ganze Land“ machen wolle. Es müsse für die Grünen darum gehen, um die Stammwählerschaft zu kämpfen – doch gleichzeitig auch darum, mehr Wähler zu erreichen. 

Dass das eine schwere Aufgabe wird, liegt auf der Hand. Ob es überhaupt gelingen kann, ist noch offen. Einen Weg sehen die beiden Vorsitzenden etwa darin, das Thema Klima- und Naturschutz stärker zu betonen. „Hier liegen unsere Kernwerte, hier liegen unsere Kompetenzwerte“, sagt Nouripour. So erhofft sich die Partei mehr Glaubwürdigkeit und Unterscheidbarkeit. Im Vordergrund müsse dabei stehen, dass die Klimapolitik im Alltag funktioniere und bezahlbar sei. Beim sogenannten Heizungsgesetz mussten die Grünen schmerzhaft erfahren, dass ihnen das zunächst nicht gelungen ist.

Habeck Kanzlerkandidat Tag 1 18:28

Außerdem will die Grünen-Spitze erreichen, dass die Partei inhaltliche Konflikte zukünftig besser intern austrägt – und dann auch gemeinsam hinter dem Ergebnis steht. Es dürfe nicht mehr darum gehen „Formelkompromisse zu suchen“, sagt Lang. Es dürfe am Ende bei wichtigen Themen keine Unklarheit geben.

Erfolg muss sich noch zeigen

Ob das gelingt? Man muss zumindest ein Fragezeichen setzen. Bislang präsentierte sich die Partei oft gerade beim wichtigen Thema Migration als gespalten. Und das obwohl die Parteichefs auch bereits in der Vergangenheit versucht hatten, die gemeinsame Linie „Humanität und Ordnung“ vorzugeben.

Die Lehren müssen sich also noch in der Praxis beweisen. Für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in wenigen Wochen dürften sie nicht mehr viel ausrichten. Wenn es denn nur schon bei der nächsten Bundestagswahl hilft! Das ist wohl zumindest die Hoffnung der beiden Vorsitzenden.

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