Virologen sehen das Vogelgrippevirus H5N1 als potenziellen Pandemie-Kandidaten. Was das für Deutschland bedeutet und warum Experten glauben, dass das Land besser vorbereitet wäre als bei Corona.
Spätestens seit Corona ist „Pandemie“ zum Reizwort geworden. Entsprechend hoch ist derzeit die Aufmerksamkeit für das gerade kursierende Vogelgrippevirus H5N1, das Virologe Christian Drosten und andere Experten als einen potenziellen Pandemie-Kandidaten sehen. Im Falle eines Ausbruchs bei Menschen wäre Deutschland aber wahrscheinlich deutlich besser vorbereitet als bei Corona. Was es zu wissen gibt:
Wieso sprechen derzeit alle über die Vogelgrippe?
Das Virus H5N1 befällt seit Jahrzehnten verstärkt Vögel – zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Auch Säugetiere erkrankten daran. Seit einigen Jahren breitet sich eine besondere Gruppe von H5N1-Viren aus, die sogenannte Klade 2.3.4.4b, mit der sich in den USA auch zahlreiche Rinder angesteckt haben. Rinder mit H5N1-Infektion gab es bislang nicht. Wie die Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh ablief, ist noch unklar. Sicher ist, dass sich inzwischen auch Menschen bei den Rindern angesteckt haben. Vier Fälle wurden laut der US-Gesundheitsbehörde CDC bis Mitte des Jahres im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen erfasst.
Was bedeutet das für Menschen in Deutschland?
Für Menschen in Deutschland besteht dem Infektiologen Leif Erik Sander von der Berliner Charité zufolge derzeit kein Grund zur Sorge. Bisher sind H5N1-infizierte Rinder nur in den USA registriert worden. In Deutschland wurde der Erreger weder in Kühen noch in Milch nachgewiesen. Bei den infizierten Menschen in den USA verliefen die Infektionen zudem bislang recht milde. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt das Risiko für die öffentliche Gesundheit der Allgemeinbevölkerung als gering ein.
Trotzdem hält Sander den Befall von Rindern für besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehre, die vom Menschen genutzt würden. Eine der größten Sorgen sei, dass sich das Virus weiter anpasst. „Wenn sich das Virus stark in einer Spezies verbreitet, ist die Sorge, dass es sich an andere Säugetiere adaptieren kann oder sich mit anderen Influenzaviren vermischt. Das würde ermöglichen, dass es auch stärker Menschen befällt und es womöglich dann auch von Mensch zu Mensch übertragen werden könnte.“
Gibt es Impfstoffe?
Die Impfstoff-Situation ist laut Sander eine ganz andere als bei Corona, wo ein Prototyp erst hergestellt werden musste. Für eine ganze Reihe von Unternehmen ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Grippevirenstämme Routine, weil sie das zweimal jährlich auch für die saisonalen Grippeimpfstoffe machen, wie ein Sprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erklärte. Nötig ist je einer für die Süd- und die Nordhalbkugel der Erde. Das Vogelgrippe-Virus H5N1 ist wie die saisonale Grippe ein Influenza-A-Virus. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts sind in der Europäischen Union mehrere H5N1-Impfstoffe zugelassen. Diese würden entweder mithilfe von Hühnereiern oder durch Vermehrung der Viren auf Zellkultur produziert, so wie die saisonalen Influenza-Impfstoffe auch.
Die EU sicherte kürzlich 665.000 Impfdosen des Herstellers CSL Seqirus gegen die Übertragung der Vogelgrippe von Tieren auf Menschen für mehrere Mitgliedsstaaten. Deutschland beteiligt sich derzeit nicht.
Wie schnell wäre ein Impfstoff verfügbar?
Im Fall einer Vogelgrippe-Pandemie könnten Impfstoffe für Menschen in Deutschland rasch zur Verfügung stehen, glaubt Sander. „Wir haben Impfstoffe, die zugelassen sind, die in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten.“ Dafür müssten natürlich Produktionskapazitäten entsprechend hochgefahren werden. Es gebe präpandemische Impfstoffe oder Musterimpfstoffe, die quasi schon fertig, aber noch nicht an die neue Klade von H5N1-Viren angepasst seien. Diese Anpassung könne aber schnell erfolgen, ist der Charité-Professor überzeugt.
Für Rinder müssten Impfstoffe komplett neu getestet werden, bislang gebe es keine. „Das sollte jetzt geschehen.“ Theoretisch könne man für Kuh und Mensch denselben Impfstoff verwenden, sagt Sander. Allerdings gebe es in der Regel unterschiedliche Hersteller für human- und veterinärmedizinische Impfstoffe.
Was gibt es für neue Entwicklungen?
Derzeit entwickeln nach VFA-Angaben eine Reihe von Unternehmen neuartige Grippeimpfstoffe auf mRNA-Basis – die Technologie, die zum Teil auch bei Covid-19-Impfstoffen zum Einsatz kam. Dazu zählen der US-Konzern Moderna und das Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac in Zusammenarbeit mit dem Biopharma-Unternehmen GSK. Möglichst zeitnah soll die zweite Phase der klinischen Erprobung des Vogelgrippe-Impfstoffes starten, sagte Curevac-Sprecher Patrick Perez. Die weitere Entwicklung werde von GSK übernommen. Für eine Zulassung sind gewöhnlich drei klinische Phasen nötig.
Es handle sich um einen präpandemischen Impfstoff, erklärte Perez. Das Prinzip beruhe darauf, vor einem möglichen Ausbruch bereits einen Impfstoff so weit zu entwickeln, dass er im tatsächlichen Fall einer Pandemie schnell zugelassen und verfügbar gemacht werden könne. „Das bietet den Vorteil, im Fall einer Pandemie sehr schnell reagieren zu können, ohne einen Impfstoff zuzulassen, vorzuproduzieren und zu lagern, wenn er vielleicht nie gebraucht wird.“
Der Moderna-Kandidat befindet sich laut Moderna ebenfalls in der klinischen Untersuchung. „Wir erwarten erste vorläufige Ergebnisse aus diesen Studien im Laufe des Jahres. Wenn diese Ergebnisse positiv sind, wird der Impfstoffkandidat in die Phase-3-Entwicklung übergehen“, teilte das Unternehmen mit.
Wäre eine Impfung jetzt schon sinnvoll?
„Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen aktiv zu impfen“, sagte Sander und ergänzte: „Es geht nicht darum, die Sorge zu verbreiten, dass eine Pandemie unmittelbar bevorsteht. Man sollte aber alles machen, um vorbereitet zu sein.“ Für wen eine Impfung infrage kommt, hänge ganz vom Szenario ab. Wenn es in Deutschland größere Ausbrüche bei Nutztieren gebe, könnte man überlegen die Mitarbeiter der Betriebe vorsorglich zu impfen. Aus seiner Sicht wäre es vor allem interessant, Impfstoffe für Tiere zu haben.
In Finnland werden Menschen aus bestimmten Risikogruppen bereits gegen Vogelgrippe geimpft. Nach Angaben der nationalen Gesundheitsbehörde THL sollen die Impfdosen zunächst Erwachsenen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko angeboten werden, also unter anderem Personen, die auf Pelztier- oder Geflügelfarmen arbeiten, Tierärzte oder auch diejenigen, die an der Entsorgung kranker Vögel oder anderer Tiere beteiligt sind. In Finnland gab es mehrere Ausbrüche der Vogelgrippe in Nerzfarmen.