Ein aktueller EU-weiter Trinkwassertest findet die Ewigkeitschemikalie TFA in 94 Prozent der Proben. Warum das ein Grund zur Besorgnis ist.
Wenn Landwirte im Herbst ihr Wintergetreide auf Feldern ausbringen, behandeln sie es direkt nach der Saat häufig mit dem Pflanzenschutzmittel Flufenacet. Der Wirkstoff soll unerwünschte Gräser wie den Ackerfuchsschwanz vernichten. Immer häufiger finden Umweltschützer das Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA) nun in Lebensmitteln und Gewässern. Aktuell schlagen Mitglieder des europäischen Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN Europe) Alarm, weil sie im Trinkwasser TFA nachgewiesen haben. Und das nicht zu knapp.
Fündig wurden sie in 34 von 36 europäischen Leitungswasserproben (96 Prozent) aus elf EU-Ländern und in 12 von 19 abgefüllten Mineral- und Quellwässern (63 Prozent), auch in Deutschland. Die TFA-Werte im Leitungswasser reichten von „nicht nachweisbar“ bis 4.100 Nanogramm pro Liter. In Mineral- und Quellwässern lag der höchste Messwert bei bis zu 3.200 Nanogramm pro Liter.
TFA: Diese Chemikalie vergiftet unser Wasser auf Ewigkeiten
TFA gehört zur Gruppe der Ewigkeitschemikalien, den PFAS. Weil PFAS Wasser und Fett abweisen und ziemlich unempfindlich sind, finden sie sich in etlichen Alltagsutensilien. Sie werden in Shampoos eingesetzt, für die Beschichtung von Pfannen oder Regenkleidung. TFA ist nicht nur ein wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung vieler dieser Stoffe, sondern auch das „terminale“ Abbauprodukt von schätzungsweise 2.000 Ewigkeitschemikalien. Das Problem: Es baut sich weder in der Umwelt noch in unserem Körper ab. Und: TFA ist extrem wasseraffin. Ins Wasser gelangt der Stoff hauptsächlich über PFAS-Pestizide und bestimmte Gase aus der industriellen Herstellung.
Wie gefährlich TFA ist, dazu gibt es mehr und mehr Hinweise. Auch einige Behörden sind alarmiert. Deutschland hat etwa kürzlich bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA den Vorschlag eingebracht, TFA als fortpflanzungsschädigend, einzustufen. Sorgen scheint auch eine Studie von Bayer ausgelöst zu haben, die schwere Missbildungen bei Kaninchenbabys zeigte, deren Mütter während der Schwangerschaft TFA ausgesetzt waren.
Die Niederländische Gesundheits- und Umweltbehörde RIVM befürchtet, dass TFA der Leber und dem Immunsystem schadet. Sie hat daher einen Richtwert von 2.200 Nanogramm pro Liter für Leitungswasser in den Niederlanden festgelegt. Europäische Verbraucherinnen und Verbraucher können Leitungswasser und Mineralwasser nach wie vor trinken. Der Trinkwasser-Richtwert, den die niederländische Behörde für TVA abgeleitet hatte, wird von 96 Prozent der untersuchten Proben eingehalten. Klar ist aber auch: Ewigkeitschemikalien gehen nie mehr weg. Deshalb muss jetzt gehandelt werden.
„Es wird angenommen, dass TFA die gleiche toxische Wirkung hat wie andere PFAS“, schreibt etwa die niederländische Behörde in ihrer Beurteilung von 2023. Einige PFAS werden mit Störungen der Schilddrüsenfunktion, mit Immunschwäche, Nieren- und Hodenkrebs, Typ 2 Diabetes – und neueren Studien zufolge auch mit Entwicklungs- und Verhaltensstörungen in Verbindung gebracht.
Uneinheitliche Risikobewertungen innerhalb der EU
Die große Frage lautet nun: Wie viel der Chemikalien kann man bedenkenlos aufnehmen und wann wird es gefährlich? Genau da wird es schwierig, denn schon die unterschiedlichen Behörden in der EU sind sich hier nicht einig. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hielt 2014 bei einer Bewertung von Saflufenacil – einem weiteren PFAS-Pestizid, das zu TFA abgebaut wird – 50 Mikrogramm TFA pro Kilogramm Körpergewicht und Tag tolerierbar. „Zu diesem Zeitpunkt lagen der EFSA jedoch keine Tierstudien zur chronischen Toxizität vor“, kritisiert Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei der Umweltschutzorganisation Global 2000 und Hauptautor des TFA-Berichts.
Das deutsche Umweltbundesamt zog die Grenze 2020 daher auch schon bei einem Viertel dieses Werts, bei 12,5 Mikrogramm. In den Niederlanden wurde tolerierbare Tagesdosis nochmal deutlich niedriger angesetzt – bei nur 0,32 Mikrogramm.
TFA-bildende Pflanzenschutzmittel sollten ersetzt werden
Die unterschiedlichen Einschätzungen haben vor allem einen Grund: Obwohl Gewässer EU-weit flächendeckend mit TFA belastet sind, gibt es noch immer keine Studien oder wissenschaftliche Daten zu den Umwelt- und Gesundheitsrisiken der Chemikalie. Möglicherweise seien die hormonstörenden und krebserregenden Wirkungen sogar so gravierend, dass gar keine sicheren Grenzwerte festgelegt werden können, so Burtscher-Schaden.
Kein Wunder, dass auch das Umweltbundesamt (UBA) TFA in den Blick genommen hat und sich vor einer weiteren Verbreitung sorgt. Es „sollte verhindert werden, dass TFA – besonders in so hohen Konzentrationen – in Trinkwasserressourcen eingetragen wird“, sagt Dr. Helena Banning vom Fachgebiet Pflanzenschutzmittel beim UBA. „Dass es in der Umwelt und im Trinkwasser schon so sehr verbreitet ist, ist ein zusätzliches Argument, weitere Einträge von TFA so weit wie möglich zu verhindern.“ Diese Minimierung solle möglichst an der Quelle ansetzen. „TFA-bildende Pflanzenschutzmittel sollten ersetzt oder zumindest reduziert werden“, sagt Banning.
Recht auf sauberes Trinkwasser
In der Realität ist man noch weit entfernt davon. Nach Daten des UBA hat sich der Absatz von Herbiziden mit Flufenacet in Deutschland zwischen 2014 und 2020 verdoppelt. Zu den Pestizid-Herstellern, die glänzend daran verdienen, gehören Bayer und BASF.
TFA ist derzeit eine „unsichtbare“ Chemikalie. Obwohl TFA weit verbreitet ist, gibt es in der EU derzeit keinen gesetzlichen Grenzwert für TFA in Oberflächenwasser, Grundwasser oder Trinkwasser. Das habe dazu geführt, so Sara Johansson, Referentin für die Prävention von Wasserverschmutzung beim Europäischen Umweltbüro, „dass eine weit verbreitete chemische Verunreinigung unter dem Radar durchgeht.“
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Dabei könnte die EU-Trinkwasser-Richtlinie die Möglichkeit bieten, unser Wasser zu schützen. Ab Januar 2026 soll ein Standardgrenzwert für „PFAS insgesamt“ von 500 Nanogramm pro Liter im Trinkwasser in der EU in Kraft treten, bei welchem alle PFAS 500 Nanogramm pro Liter nicht überschreiten dürfen. Dieser Grenzwert gilt für alle Per- und Polyfluoralkylstoffe. Per Definition sollte dieser Wert auch TFA einschließen. Fest steht: Die Hälfte der aktuell untersuchten Leitungswasserproben überschreitet diesen Grenzwert.
„Damit die europäischen Bürger auch in zehn oder fünfzig Jahren noch gefahrlos Leitungswasser trinken können, müssen die Regierungen, die diese Verschmutzung ermöglicht haben, jetzt schnell und entschlossen handeln“, sagt Burtscher-Schaden. Dem schließt sich auch Sara Johansson an: „Die Menschen haben ein Recht auf gesundes Wasser.“