Baerbocks Verzicht: Der glücklichste Tag im Leben des Robert Habeck

Der Weg für die Kanzlerkandidatur des Wirtschaftsministers ist frei. Gute Argumente dagegen gibt es keine. Verzichten die Grünen auf den Führungsanspruch, fügen sie sich einer Stimmung, statt den Versuch zu unternehmen, sie zu ändern.

Der Tag der Entscheidung, so hat Robert Habeck im April 2021 gesagt, sei der schwerste in seiner politischen Laufbahn gewesen. Am Tag der Entscheidung damals war Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin der Grünen geworden, Habeck musste verzichten. Der 10. Juli 2024 müsste mithin der glücklichste Tag im Leben des Robert Habeck sein. Denn nun hat Baerbock auf einen zweiten Anlauf verzichtet. Und was sagt der Vizekanzler und Wirtschaftsminister? Naja, mal sehen, Gremien abwarten, gemeinsam entscheiden, so Zeug eben. 

Natürlich wird Robert Habeck Kanzlerkandidat der Grünen. Verzichtet die Partei auf den politischen Führungsanspruch, dann macht sie sich zu klein. Dann fügt sie sich einer Stimmung, statt den Versuch zu unternehmen, die Stimmung zu wenden. Dafür sprechen auch ganz praktische Gründe. Verzichtet Habeck, dann beharken sich zum Beispiel in den zu erwartenden Fernsehdebatten im nächsten Bundestagswahlkampf Olaf Scholz, Friedrich Merz und womöglich Alice Weidel, während Habeck sich mit Sahra Wagenknecht und Christian Lindner herumschlagen müsste. Einen solchen Wettbewerbsnachteil sollten die Grünen nicht von sich aus in Kauf nehmen. Reden kann er doch, der Habeck.

Robert Habeck muss die Partei hinter sich herziehen

Einen Kanzlerkandidaten bei Umfragewerten von gerade mal 13 Prozent? Wenn nur die Demoskopie des Augenblicks ausschlaggebend dafür wäre, ob eine Partei einen Kanzlerkandidaten aufstellt, hätte die SPD vor vier Jahren schon darauf verzichten müssen – und dieses Mal genau genommen auch. Doch Olaf Scholz hatte 2020 richtig erkannt, dass es in Zeiten medialer Fokussierung auf Personen immer weniger eine Partei ist, die ihren Kandidaten ins Amt trägt, sondern dass es der Kandidat ist, der seine Partei mühsam hinter sich herzieht. Das muss nun Habeck leisten.

Scholz ist das beim letzten Mal gelungen. Als er am 10. August 2020 von der SPD-Spitze als Kanzlerkandidat präsentiert wurde, lag die SPD bei 14 Prozent. Bei der Bundestagswahl waren es zehn Prozentpunkte mehr. Die Grünen liegen dieser Tage minimal hinter den Werten der SPD damals. Die Bundestagswahl ist aber auch noch einen Monat weiter entfernt. Und womöglich reicht 2025 schon ein Ergebnis knapp über 20 Prozent, um eine Koalition zu führen.

Baerbock DC 06.11

Robert Habeck, der doch nach eigener Aussage schon 2021 nichts so sehr wollte, wie Deutschland als Kanzler zu dienen, muss nicht mehr entscheiden, ob er das immer noch will. Sondern nur noch, wann er es verkündet. Habeck muss entscheiden, ob er den Scholz von 2020 macht und sich frühzeitig ins ohnehin Unvermeidliche stürzt. Oder ob er Merz folgt und die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen abwartet, um das dort zu erwartende desaströse Ergebnis der Grünen nicht als erste Niederlage des frisch gekürten Kanzlerkandidaten Habeck interpretieren zu lassen. 

Wenn er dann kandidiert, geht es für Habeck gar nicht in erster Linie gegen Friedrich Merz. Es geht um die Vorherrschaft im rot-grünen Lager. Habeck steht also vor der schwierigen Aufgabe, einen Kanzler herauszufordern, mit dem er eine Legislaturperiode lang regiert hat. Das heißt, er muss die Bilanz der Regierung in leuchtenden Farben malen, aber gleichzeitig skizzieren, warum es unter grüner Führung alles noch besser wäre. Die lehrreichsten Nachhilfestunden kann er dazu bei gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten wie Frank-Walter Steinmeier oder Martin Schulz nehmen, die aus großen Koalitionen heraus, Angela Merkel ablösen wollten. Allerdings war Merkel auch in schlechtesten Zeiten nicht so unpopulär wie – Stand heute – Olaf Scholz.

2021 haben manche grüne Sympathisanten am Ende SPD gewählt. Sie wollten damit sicherstellen, dass Olaf Scholz vor Armin Laschet landet. 2025 könnte es wieder zu einer ähnlichen Konstellation kommen. Wer hat die besseren Chancen, Friedrich Merz zu verhindern? Dafür auf Augenhöhe mit Olaf Scholz zu kommen, ist die erste Aufgabe, die der Kanzlerkandidat Robert Habeck annehmen muss. 

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