Seit Ende 2023 können Kitas von Personalvorgaben abweichen. Das Land erhofft sich davon mehr Plätze und bessere Betreuungszeiten. Wie nutzen die Träger die neue Möglichkeit?
Nach anfänglicher Zurückhaltung stellen mehr Kitaträger Anträge auf einen flexibleren Umgang mit Personalvorgaben in Kindertagesstätten. Wie aus einer Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion hervorgeht, gingen bis zum 10. Juni 52 entsprechende Anträge beim zuständigen Kommunalverband Jugend und Soziales (KVJS) ein. Davon seien 13 Anträge inzwischen genehmigt worden, 32 seien noch in Bearbeitung. Sieben Träger hätten ihre Anträge wieder zurückgezogen.
Anfangs hatten die Träger nur sehr zurückhaltend Abweichungen beantragt: Bis Ende Februar waren beim KVJS vier Anträge eingegangen. Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg laut Statistischem Landesamt mehr als 9800 Kindertageseinrichtungen.
Der Landtag hatte Anfang Dezember mehrheitlich für die Einführung eines sogenannten Erprobungsparagrafen gestimmt. Dieser erlaubt es Kita-Trägern, vor Ort selbst über mögliche Abweichungen von Vorgaben einer Landesverordnung zu entscheiden, also etwa die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe zu senken.
Nicht weniger Erzieher, aber andere Qualifikation
Konkret nutzen die Trägerinnen und Träger den Paragrafen laut Kultusministerium um von verschiedenen Vorgaben abweichen zu können. Demnach nutzen neun Träger die Möglichkeit, auch Fachkräfte ohne die vorgeschriebene Qualifikation einzustellen. In vier Fällen sollen mehr Kinder in einer Gruppe betreut werden als eigentlich vorgesehen. In zwei Fällen haben Einrichtungsleitungen eine andere Qualifikation als vorgesehen.
Der Sprecher für frühkindliche Bildung der SPD-Fraktion, Daniel Born, nannte den Erprobungsparagrafen den „unnötigsten Paragraf, den sich je ein Mensch ausgedacht hat“. Er bringe keine Entlastung für die Kitas. „Und vor allem zeigen die bisher genehmigten Erprobungen, dass er keine neuen kreativen Modelle fördert, sondern lediglich qualitative Standards abbaut“, sagte Born. Stattdessen bräuchten die Kitas einen Ausbau der Ausbildung, Hauswirtschaftskräfte sowie sogenannte multiprofessionelle Teams mit etwa auch Sozialpädagogen, Logopäden oder Ergotherapeuten.
Die Kitafachkräfte selbst sehen den Paragrafen weniger kritisch. „Wir sind sehr beruhigt, dass in der ersten Jahreshälfte die Zahl der Anträge recht überschaubar waren“, sagte Anja Braekow, erste Vorsitzende des Verbands Kitafachkräfte Baden-Württemberg. Es hatte die Sorge bestanden, dass sehr viele Träger die Flexibilisierung nutzen würden, um den Fachkräfteschlüssel abzusenken.
Viele Träger schreckten aber davor zurück, so Erzieherin Braekow, die selbst eine Kita in Rheinfelden betreibt. „Viele wollen das nicht machen, weil sie die Angst haben, dass dann noch mehr Fachkräfte die Kita oder den Beruf verlassen.“
Mehr Menschen für den Beruf gewinnen
Richtig angewendet könne der Paragraf auch dabei helfen, die Personalprobleme im Kitabereich anzugehen, so Braekow. Momentan sei das Hauptproblem, dass niemand mehr in einer Kita arbeiten wolle, weil überall zu lesen sei, wie schrecklich es dort sei. Mithilfe des Paragrafen könne man auch Menschen für die Kita gewinnen, die den Erzieherberuf nicht gelernt, aber große Freude an der Tätigkeit hätten, sagte Braekow.
Das mit dem Antrag einzureichende Konzept kann auf bis zu drei Jahre ausgelegt werden und es muss mit den Betroffenen vor Ort abgestimmt werden, also etwa mit Familien und Erziehern. Das Landesjugendamt muss den Antrag dann prüfen. Soll das Modell nach der Erprobung weiter fortgesetzt werden, muss zudem die Wirksamkeit nachgewiesen werden.
Das Land erhofft sich von der neuen Regelung, dass damit Kita-Plätze erhalten oder geschaffen sowie ausreichende Betreuungszeiten angeboten werden können.
Im vergangenen Jahr hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlicht, wonach im Südwesten rund 60.000 Kitaplätze fehlen, um den Bedarf der Eltern abzudecken. Um die Nachfrage nach Kita-Plätzen erfüllen zu können, braucht es nach Berechnungen der Stiftung bis ins Jahr 2025 zusätzlich 14.800 Fachkräfte. Wo diese herkommen sollen, ist unklar: Kommunen beklagen seit langem, dass der Markt für Fachkräfte völlig leer gefegt sei.