Innerhalb weniger Tage ist aus US-Präsident Joe Biden ein Wahlkampf-Problem geworden. Karine Jean-Pierre fällt die undankbare Aufgabe zu, ihren Chef zu verteidigen.
Den nächsten Schwung an Militärhilfe hat die US-Regierung auf den Weg gebracht, ebenso eine neue Überstundenregelung für Arbeiter, auch bei den Benzinpreisen soll sich etwas tun. Beim Karibik-Hurrikan „Beryl“ sei der Präsident natürlich auf Stand, ebenfalls nicht schön ist ein Gerichtsurteil zu Flüssiggas.
Es ist das übliche Konvolut an aktuellen Themen, Erfolgsmeldungen und Besorgnissen, an dem sich Karine Jean-Pierre an diesen Tagen tapfer abarbeitet – nur um nach wenigen Minuten dann doch über den Elefanten im Raum sprechen zu müssen: Joe Bidens verpatztes TV-Duell. Sein Alter. Seine Leistungsfähigkeit. Seine Zukunft als Präsidentschaftskandidat.
Ihr lockerer Tonfall wechselt ins leicht Genervte
Innerhalb weniger Tage ist aus dem wahlkämpfenden US-Präsidenten ein präsidiales Wahlkampf-Problem geworden. Zu beneiden ist die Sprecherin des Weißen Hauses deshalb nicht. Hörbar wechselt ihr sonst so lockerer wie konzentrierter Tonfall in einen leicht genervten Singsang, wenn die allererste Frage der täglichen Presseunterrichtung wieder auf Bidens verpatztes TV-Duell kommt. Auf sein Alter. Seine Leistungsfähigkeit. Seine Zukunft als Präsidentschaftskandidat.
Jean-Pierre, 49 und seit zwei Jahren im Amt, holt dann tief Luft, stützt sich aufs Pult und beginnt mit ihren Ausführungen. Mit jedem Tag, an denen die Diskussionen aufgeregter werden, fallen sie detaillierter aus.
Joe Biden auf Abschiedstour? 6.10
Noch als die Nation ihrem Präsidenten im Fernsehen fassungslos dabei zusah, wie er im Rededuell mit Donald Trump ins Leere starrte, den Faden verlor und alles andere als führungsstark wirkte, sprach das Weiße Haus von einer Erkältung, die den Präsidenten schwächte. Danach sagte Biden selbst, wie müde er gewesen sei.
Und nun war es an Karine Jean-Pierre zu erläutern, wie es so weit kommen konnte. Die Sprecherin nannte diverse Flüge über diverse Zeitzonen an wenigen Tagen, Konferenzrunden, Interviews und warb um Verständnis dafür, dass der 81-Jährige Biden bei diesen Arbeitspensum in einem „wichtigen Moment“ nicht so gut funktioniert habe. „Ich gebe ihnen nur Erklärungen“, sagte sie am Mittwoch. Wer mochte, konnte aus ihrem Unterton so etwas heraushören wie Zustimmung zu all dem Entsetzen über ihren Chef und den Forderungen, er möge doch bitte Platz für jemand anderen machen.
Karine Jean-Pierre, die zweite Schwarze auf dem Posten
Nichts von dem würde natürlich je über ihre Lippen kommen, Jean-Pierre ist Vollprofi. „Sie bringt die Erfahrung, das Talent und die Integrität mit, die für diese schwierige Aufgabe erforderlich ist“, sagte Joe Biden über sie, als er sie im Frühjahr 2022 zu seiner Sprecherin ernannte. Sie ist erst die zweite schwarze Frau, die das Journalisten-Briefing im Weißen Haus leitet. 30 Jahre zuvor war es Judy Smith, die den damaligen US-Präsidenten George Bush senior als stellvertretende Pressechefin unterstützt hatte.
Obwohl ihr Job die Öffentlichkeit ist, spielen die Sprecherinnen und Sprecher in der nichtamerikanischen Welt nur selten eine Rolle. Eine Ausnahme war die Amtszeit von Donald Trump, der seine Vertreter nötigte, den Menschen offenkundigen Blödsinn zu verkaufen. Sean Spicer etwa wurde dadurch bekannt, dass er die Größe des Publikums bei Trumps Amtseinführung völlig übertrieben hatte. Und die letzte Pressechefin, Kayleigh McEnany, scheute sich nicht, mit heiligem Ernst selbst abstruseste Unwahrheiten des Ex-Präsidenten zu verteidigen.
Homosexuell und Einwandererkind
Auch wegen dieser Vorgänger ist es Karine Jean-Pierre wichtig, „Wahrhaftigkeit und Transparenz“ zu unterstreichen. „Das ist die Art und Weise von der ich glaube, dass der Präsident mit dem amerikanischem Volk kommunizieren will“, sagte sie vor ein paar Jahren.
Ungewöhnlich offen geht Jean-Pierre auch mit ihrer Homosexualität um – im politischen Washington auch im Jahr 2024 immer noch eine große Ausnahme. Nur ganz wenige amerikanische Politikerinnen und Politiker bekennen sich dazu, lesbisch oder schwul zu sein. Darunter ist mit Verkehrsminister Pete Buttigieg immerhin ein Kabinettsmitglied.
Neue Biden-Sprecherin Karine Jean-Pierre_0722
Als ob damit nicht schon ein paar wichtige Diversitätskriterien erfüllt wären, legt die Jean-Pierre noch eines oben drauf. Sie ist ein Einwandererkind, das es bis ganz nach oben geschafft hat: Geboren auf der französischen Karibikinsel Martinique, als Tochter von Haitianern geboren, wuchs sie in New York City auf und arbeitete bereits für US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Barack Obama.
Die Frage, ob sie jemals Zweifel in ihrem Leben daran gehabt habe, eine solche Position wie die aktuelle zu bekommen, verneinte sie. „Ich habe einfach hart darauf hingearbeitet“, sagte sie einmal lapidar.
Quellen: DPA, „The Hill„, ThoughtCo.com, „The Guardian„, White-House-Pressbriefing auf Youtube