Durchbruch nach Verhandlungsmarathon: Nun hofft die Koalition auf einen Sommer ohne Streit. Viele Bürger werden die Folgen der Haushaltseinigung spüren. Noch ist das letzte Wort aber nicht gesprochen.
Die Spitzen der Ampel-Koalition haben sich nach langen Verhandlungen auf einen Bundeshaushalt 2025 und ein Wachstumspaket für Deutschland geeinigt. Für Eltern wird es eine Erhöhung des Kindergelds um fünf Euro Anfang kommenden Jahres geben. Der Verteidigungshaushalt soll von rund 52 Milliarden Euro um etwa 1,2 Milliarden Euro wachsen – deutlich weniger als von Minister Boris Pistorius (SPD) gefordert. Die Regeln für Menschen mit Bürgergeld sollen verschärft werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) räumte nach einer vorerst letzten Marathonsitzung der Regierungsspitzen ein: „Wir machen es uns nicht wirklich immer leicht.“
23 Treffen für einen Haushalt
Spekulationen über einen möglichen Koalitionsbruch, die in den vergangenen Tagen immer lauter geworden waren, hielt Scholz entgegen: „Die Nerven zu verlieren, hinzuschmeißen, vor der Verantwortung wegzulaufen – dafür hätte ich als Bundeskanzler keinerlei Verständnis.“ Deutschland müsse in dieser Zeit ein Stabilitätsanker in Europa sein. Scholz, Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatten sich nach Lindners Angaben 23 Mal für den Haushalt getroffen. Bis gegen fünf Uhr am Morgen brauchte es, um die Ausgaben des Bundes im kommenden Jahr zu planen. Der Haushalt muss noch im Kabinett verabschiedet und im Bundestag beraten werden.
FDP setzt sich bei Schuldenbremse durch
Durchgesetzt hat sich die FDP bei der Schuldenbremse. Die Einigung zum Haushalt und zum Finanzplan bis 2028 sieht vor, diese einzuhalten. Eine Notlage soll demnach nicht festgestellt werden. Kommendes Jahr plant die Regierung mit neuen Schulden in Höhe von 44 Milliarden Euro – im Rahmen der Schuldenbremse, wie Lindner versicherte. Geplant seien Ausgaben von 481 Milliarden Euro, davon 57 Milliarden Euro Investitionen. Es handle sich „mitnichten“ um einen Sparhaushalt. Es sei jeder Stein im Haushalt umgedreht worden, wo Ausgaben verringert werden könnten. Für das laufende Jahr ist ein Nachtragshaushalt geplant. 2024 steige die Nettokreditaufnahme im Rahmen der Schuldenbremse auf 50,5 Milliarden Euro.
Halbes Prozent Wirtschaftswachstum durch Paket
Umfassende Entlastungsschritte sollen die Wirtschaft ankurbeln. Das Paket soll im nächsten Jahr zu einem zusätzlichen Wachstum von mehr als einem halben Prozent führen können – 26 Milliarden Euro zusätzliche Wirtschaftsleistung seien möglich. So sind beschleunigte Abschreibungen von Investitionen und eine verbesserte Forschungszulage geplant.
Einen Schwerpunkt legt die Regierung auf Arbeit und Soziales, nachdem die FDP im Sozialbereich Kürzungen verlangt hatte. Langzeitarbeitslose sollen künftig einen Bonus bekommen, wenn sie einen regulären Job annehmen, wie Habeck ankündigte. Umgekehrt werde die Überwachung, dass man angebotene Arbeit auch annehme, strenger, so Habeck.
Reformen beim Bürgergeld
Lindner kündigte „Reformen beim Bürgergeld“ an: Mitwirkungspflichten würden geschärft. Neue Meldeverpflichtungen für kurzfristig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Menschen würden eingeführt: Betroffene sollten sich einmal monatlich bürokratiearm bei der Bundesagentur für Arbeit melden müssen. Regeln dafür, welche angebotene Arbeit als zumutbar gelte, würden weiterentwickelt. Die Karenzzeiten beim Schonvermögen würden zudem halbiert, so Lindner. Heute gelten im ersten Jahr nach dem erstmaligen Bürgergeld-Antrag erhöhte Freibeträge auf das Vermögen sowie das Aussetzen von Prüfungen zu Unterkunftskosten.
Habeck kündigte an, dass 100.000 Menschen, die Bürgergeld beziehen, durch die Maßnahmen die Leistung dann nicht mehr benötigten sollten. Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe seien dadurch möglich. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte, die Treffsicherheit des Sozialstaates steige – soziale Leistungen schränke die Regierung aber nicht ein. Habeck betonte, die Belebung des Arbeitsmarkts und das Verkleinern der Fachkräftelücke hätten „das größte Wachstumspotenzial“. Beispielsweise sollten künftig die Ausländerämter nur 14 Tage Zeit haben, einem Antrag eines Ausländers auf Arbeit in Deutschland zu widersprechen – sonst soll die Arbeitsaufnahme als genehmigt gelten.
Mehr Geld für längeres Arbeiten
Arbeiten über das Rentenalter hinaus solle attraktiver werden, so Lindner. Betroffene Beschäftigte sollten den Arbeitgeberbeitrag für die Arbeitslosenversicherung und teils auch für die Rentenversicherung künftig ausgezahlt bekommen. Für ausländische Fachkräfte werde ein Steuerrabatt in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit in Deutschland gewährt.
Weitere Schwerpunkte, die die Ampel mit ihrer Einigung auf Haushalt und Wachstumspaket setzen will: Entlastung von Bürokratie, Steuerfreiheit für Überstunden, Sonderabschreibungen für gewerblich genutzte E-Autos.
Faeser zufrieden mit Sicherheitsausgaben
Zufrieden zeigte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Der Schutz der Menschen in Deutschland werde mit starken Investitionen in die innere Sicherheit gestärkt. Aus Regierungskreisen hieß es, auch im kommenden Jahr werde es 1000 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten bei der Bundespolizei geben. Lindner kündigte rund eine Milliarde Euro mehr als bisher vorgesehen für die Sicherheitsbehörden an. Auch der Katastrophenschutz, das Technische Hilfswerk (THW) und der Zoll sollen nach Regierungsangaben besser ausgestattet werden.
Neuer Streit möglich
Bald nach den Haushaltsverhandlungen könnte es jedoch neue Ampel-Auseinandersetzungen geben. So erwarten die Grünen schwierige Verhandlungen im Bundestag. Fraktionschefin Katharina Dröge sagte: „Gerade im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit und auch der humanitären Hilfe wird aus unserer Sicht der Haushalt nicht der Lage im Land gerecht.“ SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte nach einer Sondersitzung seiner Abgeordneten: „Bis Ende November oder Anfang Dezember werden jetzt die Mitglieder des Deutschen Bundestages, meine Fraktion, die Einzelpläne, die einzelnen Dinge bewerten und dann sich genau anschauen, was verändert werden muss, was wir aber auch mittragen können.“ Die Erklärung einer Haushaltsnotlage behalte er sich als Instrument weiter vor.
Scholz wach
Nach der langen Verhandlungsnacht hatte Scholz um 7.03 Uhr seine Fraktion im Reichstagsgebäude mit einem Lächeln begrüßt. „Alle wach?“, war zunächst das Einzige, was Scholz sagte. Mützenich hatte mit der Einladung zu der Sondersitzung Scholz, Habeck und Lindner unter Druck gesetzt. Ein Hinziehen des Hickhacks über die Sommerpause sollte verhindert werden. Am 17. Juli soll nun der Entwurf im Kabinett beschlossen werden.