Die Beschissenheit des Sommers: Weine ich oder ist das der Regen, der von meiner Oberlippe perlt?

Sie hassen das Wetter und wissen nicht, wohin mit der Wut? Dann geht es Ihnen wie unserem Autor. Oder finden Sie, „ein wenig Regen habe noch niemandem geschadet“? Dann würde unser Autor seine Wut gerne an Ihnen auslassen. Er hält diesen Sommer, der keiner ist, nämlich nicht mehr aus. Eine Wutrede.

Dieser Text stammt aus dem stern-Archiv und erschien erstmals im August 2023. 

Im Radio haben sie noch die Hoffnung, die mir längst abhanden gekommen ist. „In der zweiten Augusthälfte“, jubelte dort eine Morningshowfrau mit der diesen Leuten ganz eigenen Unerschütterlichkeit, „könnte der Sommer tatsächlich noch einmal zu uns zurückkehren“. Dann leitete sie etwas zu rasch zu einem Gewinnspiel über, so als habe sie Angst, am Ende noch von irgendwem auf ihre Verzweiflungsprognose, die in etwa so wahrscheinlich wirkt wie die Vorhersage der Lottozahlen, festgenagelt zu werden. Ich erinnere nicht mehr, was es in dem Gewinnspiel zu gewinnen gab, vielleicht einen Regenschirm. Ich glitt mit meinem Auto durch die absaufende Stadt wie Kevin Costner auf seinem Floß durch Waterworld und dachte mir: Müsste der Sommer, um zurückkommen zu können, nicht überhaupt erst mal da gewesen sein? Und wo ist der Sommer denn eigentlich, wenn nicht hier? Ist er fortgereist, weil es ihm zu nass und zu kalt war?

Reden und schreiben über das Wetter galt lange als peinlich und einfallslos, es war das Kapitulationseingeständnis eines jeden Smalltalks. Aber wenn ich jetzt mit den Menschen um mich herum rede, dann geht es fast nur noch ums Wetter. Das heißt: Als ich noch mit den Menschen um mich herum geredet habe. Wetterbedingt ziehe ich mich immer mehr zurück, hinter die Fensterscheiben meiner Wohnung, dabei schaue ich theatralisch nach draußen, dem nächsten Starkregen zu, und brumme kopfschüttelnde Sätze wie „Das kann doch nicht wahr sein“ oder auch „Unfassbar, echt unfassbar“. Ich bin in wenigen Wochen am Wetter gealtert, geworden zu einem Meckerrentner, der die Frage nach seiner Laune beantwortet mit dem Blick auf das Niederschlagsradar. Meine eigene Mourningshow. Man könnte es fast lustig finden, wenn es nicht so traurig wäre.

Ab wie vielen Litern pro Quadratmeter muss man anfangen, eine Arche zu bauen?

Ich schaue auf die Bäume, die sich im Sturm biegen: Sind es noch dieselben wie am Tag zuvor oder sind sie über Nacht neu gewachsen? Alles scheint möglich, nur nicht, dass es wieder hell wird. Doch, gewiss, klar: Ein toller Sommer für Menschen, die den Herbst lieben. Manchmal stelle ich mir vor, dass ungefähr so wie ich jetzt Noah einst in den Himmel geguckt haben muss, über Monate hinweg, ehe er schließlich sagte: Scheiße, dann baue ich halt eine Arche. Ab wie vielen Litern pro Quadratmeter muss man anfangen, eine Arche zu bauen? Mein Hass ist meine Arche, auf ihm paddele ich von Gully zu Gully. Dabei habe ich ja zu Anfang wirklich noch versucht, Gutes in dem Wetter zu erkennen, einen tieferen Sinn, eine Botschaft, Transzendenz. Ich blätterte in Alexander Kluges feinem Text „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ und wollte in dem giftigen Licht des bleigrauen Himmels eine eigene Schönheit erkennen.

Ich versuchte mir einzureden, dass einige Tage mit Regen gut seien. Leider wollte mir schon bald nicht mehr einfallen, wofür denn nun genau. Hatte es wirklich Zeiten der Sonne gegeben, Hitze auch, Dürrewochen davor gar? Es muss sie gegeben haben, aber sie sind längst vergessen, weggespült von den Sintfluten. Mittlerweile nehme ich Grippostad gegen die Erkältung, die ich noch nicht habe, aber gewiss bald kriegen werde. Aus dem ersten Ärger ist Empörung geworden, aus der Empörung Wut, aus Wut Verachtung, aus Verachtung bloß noch Verzweiflung.

Eine Hänselei des Himmels, eine List des Schicksals

Die Verzweiflung immerhin feit mich dagegen, den wenigen regenfreien Minuten auf den Leim zu gehen, in denen sich vielleicht sogar mal ein Fetzen blauen Himmels zeigt, weiß ich doch, dass es sich nur um eine Finte handelt, eine besonders perfide List des Schicksal, mit der die Gutgläubigen hinausgelockt werden sollen ins Freie, wo dann sogleich, kaum haben sie sich in ihre Segelschuhe und Sommerblousons geworfen, der nächste Sturzregen loshämmert mit einem Geräusch, das nicht ohne Grund klingt wie ein Lachen.

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Im bereits erwähnten Radio werden sie gleichwohl nicht müde, all die Touristen, die trotzdem angereist sind, willkommen zu heißen „in der schönsten Stadt der Welt“ – welche Stadt sie damit meinen, ist nicht ersichtlich, Hamburg jedenfalls kann es nicht sein, dieses Venedig der Schlechtgelaunten, diese traurige, klamme, heillose Übertreibung seines eigenen Klischees. Der Michel sieht in der Gischt aus wie eine zu groß geratene Dorfkirche, die Elbphilharmonie mit ihren verschleierten Fenstern wie ein eitles Rechenzentrum, die Alster nur mehr wie eine alberne Pfütze. An den Landungsbrücken spielt zwar der Leierkastenmann selbst bei 15 Grad seine ewigen Schmonzetten, aber längst ist ihm Wasser in die Mechanik des Instruments gekrochen, die Töne ins Unkenntliche verzerrend.

Es gibt kein gutes Wetter, nur schlechte Laune, sage ich und laufe davon

Als Hamburger ist man einiges gewöhnt, was aber mitnichten dazu beitrüge, den Tiefdruckgebietshorror dieses Juliaugusts besser auszuhalten, im Gegenteil: Jetzt fühlt man sich endgültig hintergangen, betrogen, verarscht. Den Regen, den wir hier im Frühling, Herbst und Winter mit der Milde eines müden Hundes ertragen, sollen wir jetzt auch noch im Sommer aushalten müssen? Das ist zu viel. Man wird bitter, man wird ungerecht, man wird hart.

Erst recht gegenüber all jenen Menschen, die einem dann aus ihrem Friesennerz die Kalenderspruchfrechheit zufeixen, es gebe ja gar kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Diese Hanseatenfolklore, auch noch die hinterletzte aperiodische Temperaturschwankung zum Kult umzudeuten, ist die endgültige Steigerung ins Unzumutbare. Es gibt kein gutes Wetter, nur schlechte Laune, sage ich und laufe rasch davon, vorbei an dem orientalischen Restaurant bei uns, das seine Heizstrahler wieder aufgebaut hat. Zuhause vielleicht ein schöner, heißer Friesentee, na, wäre das was?

Sonne, liebe Sonne, komm ein bisschen runter!

Es liegt am Jetstream, sagt da meine Frau, der wird schwächer und kann deshalb die Tiefdruckgebiete nicht mehr weiterschieben. Aber ich will gar nicht mehr wissen, woran es liegt, es hilft mir ebenso wenig wie zum Beispiel die Tatsache, dass der menschliche Körper zu 75 Prozent aus Wasser besteht. Ich werde auch immer schwächer und kann meine wetterbedingten Launen nicht mehr weiterschieben. Ein Zimmer weiter höre ich meine Tochter vor sich hinsingen: Sonne, liebe Sonne, komm ein bisschen runter! Lass den Regen oben, dann wollen wir dich loben. Meine Tochter ist sechs Jahre alt, das Lied hatte sie zuletzt mit zwei Jahren in der Krippe gesungen. Papa, hat sie beim Autofahren gefragt, Papa, bei wem kann ich mich über das Wetter beschweren?

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Was sollte man einem Kind da antworten, ohne es völlig zu enttäuschen? Beim Deutschen Wetterdienst kannst du dich beschweren, habe ich gesagt, oder bei der polaren Luft, die aus Norden zu uns strömt, jedenfalls sagen sie das im Radio. Aber die entsetzliche Wahrheit ist ja, dass man sich an niemanden wenden kann. Die Wolken in ihrer unermesslichen Gleichgültigkeit wissen nicht, dass jetzt eigentlich Sommer sein müsste. Nein, man kann nur warten. Warten, bis es vorbei ist, aber ohne die Gewissheit, dass es je vorbei sein wird. Nein, nochmal anders: Warten in der Gewissheit, dass es, wenn es vorbei ist, zu spät sein wird. Zu spät für all das, was man sich für diesen Sommer vorgenommen hatte. Zu spät für den Besuch im Freibad, zu spät für das Picknick am Strand, zu spät für das Buch im Park. Zu spät, glücklich zu sein. „Wenn der Regen nachher aufhört“, sage ich meiner Tochter, „dann kaufen wir einen neuen Regenschirm, ja?“ Selbst der Trost, den man spendet, ist schon wieder traurig.

Meine Wut auf das Wetter ist vielleicht… eine Wut auf mich selbst?

Aber irgendwo, tief in mir drinnen, meldet sich das Unbehagen, dass dies nämlich die neue Normalität sein könnte: das Extreme, das Unbeständige, das Unvorhersagbare. Die Ahnung auch, dass man das Wetter durchaus als Strafe empfinden kann – für die Ausschweifungen, zu denen man keinen geringen Teil beigetragen hat. Besser macht dieser Verdacht meine Laune nie. Meine Wut auf das Wetter ist eigentlich, denke ich bisweilen und schiebe den Gedanken schnell wieder weg, eine Wut auf mich selbst. Dann, eilig, nach draußen, in den Regen. Vielleicht nimmt mich der Sturm einfach mit, so wie den fliegenden Robert in dem Märchen, das mir meine Mutter oft vorlas. Den Schirm erfasst der Wind und der Robert fliegt geschwind; durch die Luft so hoch, so weit; niemand hört ihn, wenn er schreit.

Das wenigstens ist gut und richtig: Im Regen sieht mich auch niemand weinen.

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