Urteil zu Immunität: Trumps Triumph vor dem Obersten Gericht könnte für ihn zum Bumerang werden

Donald Trump feiert seine vom Supreme Court bescheinigte partielle Immunität gegen strafrechtliche Verfolgung als „großen Sieg“. Doch der scheinbare Triumph könnte sich für den Präsidentschaftsbewerber auch als Stolperstein erweisen.

Es sind gerade sehr erfolgreiche Tage für Donald Trump: Am vergangenen Donnerstagabend lies der Republikaner seinen Gegner im Rennen um die Präsidentschaft, Amtsinhaber Joe Biden, im TV-Duell auf CNN buchstäblich uralt aussehen. Und nun hat der Oberste Gerichtshof der USA dem 78-Jährigen auch noch bei seinen juristischen Problemen den Rücken gestärkt. Ein US-Präsident genieße bei Handlungen, die zu seinen verfassungsmäßigen Kernaufgaben zählen, absolute Immunität und könne lediglich für Aktivitäten in einem privaten Zusammenhang strafrechtlich belangt werden, entschied die konservative Mehrheit der Richter, die zum Teil von Trump selbst ins Amt gehoben wurden.

Donald Trumps Spiel auf Zeit geht auf

Das historische Urteil wird vom Trump-Lager erwartungsgemäß gefeiert. „Ein großer Sieg für unsere Verfassung und Demokratie. Stolz, ein Amerikaner zu sein“, kommentierte der Ex-Präsident die Entscheidung auf seiner Online-Plattform Truth Social. Zwar haben die Richter dem Republikaner nicht die von ihm geforderte vollständige Immunität zugesichert, dennoch stellt das Urteil Trumps Anklägern in seinen diversen Prozessen hohe Hürden in den Weg. Und es sorgt dafür, dass das Verfahren gegen den 78-Jährigen im Zusammenhang mit der Erstürmung des US-Kapitols mit ziemlicher Sicherheit erst nach den Wahlen am 5. November stattfinden kann.STERN PAID 28_24 Biden Titel 6.05

Trump wird vor dem Bundesgericht in Washington beschuldigt, auf mehreren Wegen versucht zu haben, den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2020 zu kippen. So soll er Druck auf Staatsbeamte, das Justizministerium und den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence ausgeübt haben, die Ergebnisse nicht zu zertifizieren, er soll sich mit anderen zusammengetan haben, um dem Kongress Listen mit falschen Wahlmännern aus Swing States vorzulegen und er soll seine Anhänger ermutigt haben, am 6. Januar zum US-Kapitol zu marschieren, um die Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu verhindern.

Der Supreme Court hat das untergeordnete Bundesgericht nun aufgefordert zu prüfen, inwieweit sich die 45-seitige Anklageschrift auf „offizielle“ oder „inoffizielle“ Handlungen bezieht und welche Teile der Anklage überhaupt zulässig sind. Das wird den Rechtsstreit deutlich in die Länge ziehen – zur Freude von Trump. Der Republikaner spielt in allen seinen juristischen Auseinandersetzungen auf Zeit, denn nach einem Wahlsieg könnte er die Bundesjustiz anweisen, alle Verfahren gegen sich einzustellen. Mit dem Herauszögern des Washingtoner Prozesses bis nach der Präsidentschaftswahl haben die Republikaner also ein wichtiges Ziel erreicht.

Anhörung könnte für Trump zu Mini-Prozess werden

Doch die Anordnung des höchsten US-Gerichts zur Überprüfung der Anklageschrift könnte Trump und seinen Unterstützern auch auf die Füße fallen. Denn sie gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, in einer Art Miniprozess, bei dem die Fakten gründlich beleuchtet werden, einen Großteil ihrer Beweise gegen Trump vor einem Bundesrichter und der Öffentlichkeit auszubreiten.

Die Behörde könnte dabei nicht nur Zeugen wie Pence oder den ehemaligen Generalstaatsanwalt William Barr aufrufen, um über Trumps Handlungen nach der Wahl 2020 auszusagen, sondern auch Anwälte und Wahlkampfhelfer, die an Fälschungsversuchen beteiligt waren, sowie Staatsbeamte, die von Trump unter Druck gesetzt wurden. Die Gerichtstermine könnten wie ein regelrechter Prozess gegen Trump aussehen, bei dem nur die Geschworenen fehlen, um ein Urteil zu fällen  – und das womöglich kurz vor der Wahl 2024.1. Juli: FS Trumps juristische Probleme 9:44

Zwar ist noch nicht klar, wann die Anhörungen stattfinden oder wie lange sie dauern werden. Doch sollte die zuständige Bundesrichterin Tanya Chutkan an ihrer Praxis festhalten, Verfahrensfragen schnell zu behandeln, und die Überprüfungen bereits für September oder Oktober ansetzen, würden diese über mehrere Tage oder vielleicht sogar Wochen die heißeste Phase des Präsidentschaftswahlkampfes begleiten.

„Die sehr schlechte Nachricht für Donald Trump und für den Kandidaten Trump bei dieser Entscheidung heute – sehr, sehr schlecht – ist: Mike Pence wird in einen Bundesgerichtssaal gehen, seine rechte Hand heben, einen Eid ablegen, die Wahrheit zu sagen, und im September gegen Donald Trump in diesem Fall aussagen“, prognostizierte Lawrence O’Donnell, Moderator und politischer Analyst beim linksliberalen Sender MSNBC . Die Anhörungen werden „genau wie eine Anklage“ ablaufen, sagte O’Donnell. „Man wird diese unglaubliche 6.-Januar-Anhörung-auf-Steroiden sehen, möglicherweise für sechs bis acht Wochen, vielleicht im September, Oktober.“

„Das wird politisch nach hinten losgehen“

Der politische Kommentator Van Jones sieht noch eine andere Ebene, auf der die Entscheidung der Obersten Richter Trump schaden könnte. Im US-Sender CNN erklärte Jones, dass er eine stärkere Mobilisierung des linken Lagers beobachte: „Das wird politisch nach hinten losgehen“, sagte Jones über das Immunitäts-Urteil. „Denn was ich jetzt von der Linken sehe: Wenn man dachte, dass die Leute durch das, was letzte Woche bei Bidens Auftritt passiert ist, entmutigt waren, so sind sie jetzt empört und haben Angst, dass Donald Trump ins Amt kommt und ein völlig verrückter Diktator sein wird.“Kommentar zu Trumps Immunität, 2045

Präsident Biden forderte die Wählerinnen und Wähler in einer kurzfristig anberaumten Ansprache im Weißen Haus auf, einen solchen Alleinherrscher zu verhindern: „Diese Nation wurde nach dem Prinzip gegründet, dass es in Amerika keine Könige gibt“, sagte Biden. „Jeder von uns ist vor dem Gesetz gleich. Niemand, niemand steht über dem Gesetz, nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten“. Das amerikanische Volk müsse jetzt tun, was das Gericht nicht getan habe: ein Urteil über Donald Trumps Verhalten fällen, forderte der 81-Jährige. Es müsse entscheiden, ob es Donald Trump noch einmal die Präsidentschaft anvertrauen will, „jetzt, wo es weiß, dass er noch ermutigter sein wird, zu tun, was immer er will, wann immer er es tun will“.

Quellen: MSNBC News, „New York Times“, „Roll Call“, „Raw Story“, Weißes Haus, Youtube

Verwandte Beiträge