Entwaldungsrichtlinie: Per Verordnung will die EU Bäume retten – erreicht beim Kaffeeanbau in Äthiopien aber das Gegenteil

Ende des Jahres tritt die EU-Entwaldungsrichtlinie in Kraft. Die Verordnung soll auch verhindern, dass bei der Kaffee-Produktion Bäume abgeholzt werden. Bauern in Äthiopien werden aber vor schier unlösbare Probleme gestellt.

Asafa Munkura bahnt sich mühsam den Weg durch den dichten Bewuchs auf seiner Farm. Er schiebt die Blätter der Maispflanzen zur Seite, huscht zwischen Zuckerrohrstängeln und Bananenstauden hindurch, bis er im hinteren Teil des Feldes ankommt. Hier im Schatten alter Feigen- und Avocadobäume wachsen Kaffeebüsche, die er in den vergangenen 15 Jahren selbst gepflanzt hat. „Der Kaffee mag keine pralle Sonne, und schon gar nicht in dieser Höhe“, sagt der weißhaarige Mann. Seine Farm in der Region Sidama im Süden von Äthiopien liegt 1800 Meter über dem Meer. 

Munkura hat lange als Angestellter bei der Stadtverwaltung von Aleta Wendo gearbeitet, kümmerte sich dort um soziale Probleme der angrenzenden Gemeinden. Dann ging er in Frührente und begann sich um das Stück Land zu kümmern, das ihm seine Eltern hinterlassen haben. „Das müsste etwa ein Hektar sein“, schätzt der 65-Jährige. „Ich habe hier inzwischen etwa 800 Kaffee-Büsche gepflanzt und jede Menge anderes Zeugs.“ 

Asafa Munkura zwischen Kaffeesträuchern
© Andrzej Rybak

Vergangenes Jahr hat er 1200 Kilo rote Kaffeefrüchte geerntet, alles mit der Hand. Die lieferte er bei einer lokalen Kooperative ab, für etwa 40 Cent pro Kilo. Dort wurden seine Bohnen zusammen mit der Ernte von fast 2000 ähnlichen Bauern entfleischt, gewaschen und auf Sonnenbetten getrocknet. Die Kooperative exportierte den gesamten Kaffee ins Ausland. 

Kaffee ist in Äthiopien Teil der nationalen Identität

„Der Kaffee ist bei uns Familientradition“, erzählt Munkura und schneidet dabei mit einer langen Machete das Unkraut, das nach dem letzten Regen überall hochgeschossen ist. „Schon meine Urgroßeltern haben hier Kaffeebohnen angebaut.“ 

Kaffee ist in Äthiopien viel mehr als eine Frucht. Im Land ihres Ursprungs ist die Kaffeebohne und das aus ihr gebraute Getränk ein Kulturgut und Teil der nationalen Identität. Für viele Farmer in Jimma, Sidama oder Harar steht die Pflanze im Mittelpunkt des täglichen Lebens – und ist zudem ihre Haupteinnahmequelle. 

Auch das Land verdient gut mit seinem Kulturgut. Kaffee macht etwa ein Drittel der äthiopischen Exporterlöse aus und ist damit die wichtigste Devisenquelle. Die Europäische Union nimmt etwa ein Drittel der äthiopischen Bohnen ab. Der größte Importeur ist Deutschland – etwa die Hälfte des nach Europa exportierten äthiopischen Kaffees landet hier. 

Die Branche hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt und Äthiopiens Wirtschaftswachstum angekurbelt. Die Zukunft der äthiopischen Kaffeeanbaus ist heute aber gefährdet. Schuld daran, so hört man immer Land immer häufiger, sei auch EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (EUDR), die vergangenes Jahr verabschiedet und Ende 2024 in Kraft treten soll. Die EUDR verbietet den Verkauf von Rindfleisch, Kaffee, Kautschuk, Kakao, Palmöl und anderen Produkten, wenn die Importeure nicht nachweisen können, dass sie von nicht abgeholzten Flächen stammen. 

Während internationale Umweltschutzorganisationen die Verordnung als historischen Erfolg feiern, wird sie in den Produzenten-Ländern meist als „Vorschlaghammer-Gesetz“ kritisiert, das vor allem die kleinen Farmer in Armut stürzen könnte statt die Abholzung der Wälder zu stoppen. Vor allem in Äthiopien könnte die neue Verordnung den Kampf ums Überleben verschärfen, die Verordnung zeigt das Dilemma im Umgang mit Lieferketten, sei es beim deutschen Lieferkettensorgpfaltspflichtengesetz oder auch hier: Das Bemühen auf Seiten der Abnehmerseite zur Verbesserung der sozialen Lage in den Produzentenländern kann unter Umständen dort das Gegenteil bewirken. 

„Es ist ein Versuch, in einem technologisch noch rückständigen Land ein komplexes Digital-Verfahren durchzusetzen, das selbst viele Europäer überfordern würde“, sagt Walid Bagersh, ein äthiopischer Kaffeeexporteur und Besitzer der Trarara-Kaffeerösterei in Addis Abeba. „Diese Verordnung zielt auf Großbetriebe in Vietnam oder Brasilien, wo die meisten Kaffeeplantagen aus dem Urwald geschlagen wurden und als riesige Monokulturen funktionieren. In Äthiopien ist sie falsch am Platz.“ 

Kaffeehändler Walid Bagersh im Labor seiner Rösterei in Addis Abeba
© Andrzej Rybak

In ganz Äthiopien bauen vier bis fünf Millionen Kleinbauern Kaffee an. In den sechs wichtigsten Anbau-Regionen im Süden und Osten des Landes sind Kaffeebüsche, die manchmal gut drei Meter Höhe erreichen, in jedem Garten zu finden. Weitere zehn Millionen Menschen waschen, trocknen, sortieren und transportieren die Bohnen. 

Die Kaffeefarmer roden die Bäume äußerst selten, denn sie spenden Schatten und steigern somit die Produktivität der Kaffeepflanzen. 

„Die meisten Bauern bewirtschaften weniger als ein Hektar Land und kommen vielleicht auf 500 Kilo Kaffeebohnen im Jahr“, sagt der Kaffeehändler. „Sie benutzen Bio-Kompost, spritzen keine Pestizide, ernten mit der Hand. Unsere Art, Kaffee anzubauen, ist sicherlich weit weniger umweltschädlich.“

In Äthiopien gibt es keine Plantagen, in denen die Büsche ordentlich in gleichen Abstand zueinanderstehen. In der Kaffa-Region, woher der Kaffee stammt, wachsen sie oft wild unter großen Bäumen, die immerhin noch etwa 30 bis 40 Prozent des ursprünglichen Baubestandes darstellen. In Sidama wird Kaffee zusammen mit Zierbananen, Zuckerrohr, Mais und Avocado angebaut. Die hochwachsenden Zierbananen, dessen Stamm-Mark ein wichtiges Grundnahrungsmittel ist, und die Avocado-Bäume beschatten den Kaffee. 

Den Bauern fehlt das Wissen und die Technik

Für die Millionen von Kleinbauern stellt die EU-Verordnung und vor allem die Anforderungen darin eine schwer zu überwindende Hürde dar. „Sie haben weder die Technik noch die Kompetenz, um die komplexen Daten zu sammeln, die für die Zertifizierung ihres Feldes notwendig sind“, sagt Bagersh, dessen Familie seit Generationen den Kaffee exportiert. Viele äthiopischen Bauern sind Analphabeten, oft dreschen sie ihr Getreide wie vor 1000 Jahren, in dem sie ihre Kühe über die Ähren stundenlang im Kreis laufen lassen. 

„Die EU müsste die spezifischen Merkmale eines jeden Landes bei der Verordnung stärker berücksichtigen und nicht alle Produkte über einen Kamm scheren“, sagt Bagersh. „Sonst wird Europa Millionen von äthiopischen Bauern, die es seit Jahrzehnten mit Entwicklungshilfen aufpäppelt, wieder in Existenznot stürzen.“ Auch Bagershs moderne Kaffeerösterei, die auch Kunden in Deutschland beliefert, wäre gefährdet. 

Schon jetzt gibt es Probleme, der Export nach Europa ist stark rückläufig. „Käufer zögern, unseren Kaffee zu kaufen, weil sie nicht sicher sind, ob wir die Anforderungen der EU-Verordnung erfüllen können“, sagt Tsegaye Anebo, Direktor der Gewerkschaft der Kaffeebauern von Sidama (SCFCU). „Sie wollten nicht empfindliche Geldstrafen riskieren, die bei der Einführung von nicht konformen Produkten in die EU drohen.“ 

Tsegaye Anebo ist Direktor der Gewerkschaft der Kaffeebauern von Sidama. Er kritisiert die EU-Entwaldungsrichtlinie.
© Andrzej Rybak

Die Regierung in Addis Abeba hat lange Zeit kaum etwas unternommen, um die Kaffeeproduzenten auf die neue europäische Verordnung vorzubereiten. 

Man ging offensichtlich davon aus, dass die EU Äthiopien eine Ausnahme gewähren würde. Nun läuft die Zeit davon: Addis Abeba hat wertvolle Monate vergeudet, heißt es in EU-Kreisen. Die Kaffeebauern in Kenia und Tansania seien ihren ostafrikanischen Nachbarn bei der Vorbereitung weit voraus.

Die Sidama-Gewerkschaft, zu der 67 Kooperativen mit fast 68.000 Bauern gehören, versucht nun selbst Initiative zu ergreifen. „Wir haben Hunderte von Handys gekauft und fast 700 junge Menschen unterrichtet, wie man die Geo-Ortungsdaten sammelt“, sagt Anebo. „Spätestens im August werden sie zu den Bauern unserer Kooperative gehen, um ihre Kaffeegärten zu vermessen.“ Das alles sei sehr aufwendig, koste viel Geld und „ist in fünf Monaten nicht zu schaffen“, klagt Anebo. „Wir brauchen eine Fristverlängerung, sonst bricht bei uns die ganze Kaffeebranche zusammen.“

Technik, die Äthiopien zurzeit nicht hat

Noch immer wissen die Zwischenhändler und Exporteure in Äthiopien im Detail, wie die neue Verordnung konkret umgesetzt wird. Klar ist nur, dass jeder Kaffeesack bis zu seinem Produzenten zurückverfolgt werden muss. Das computergestützte System muss dafür für jeden mit Geodaten registrierten Bauern einen QR-Code erstellen, der sein Produkt auf dem Weg nach Europa begleiten wird. „Um die Kriterien zu erfüllen, braucht es viel Technologie und Arbeitskräfte, die wir in Äthiopien einfach nicht haben“, klagt Anebo. „Wir brauchen mehr technische und finanzielle Unterstützung von der EU.“

Fünf Monate vor dem Stichtag gibt es aber auch auf Seiten der EU noch Probleme: Die Plattform, auf die die Bauern ihre Geodaten und andere Nachweise hochladen sollen, befindet sich noch immer im Aufbau. „Wir müssten doch ein paar Monate mehr Zeit bekommen, um zu verstehen, wie alles funktioniert und uns anzupassen“, sagt Anebo und schlägt ein Pilot-Phase vor. „Es gibt hunderte von Fragen, auf die wir keine Antwort wissen. Wir brauchen Zeit – die sofortige Androhung von Strafen ist nicht hilfreich.“

Auch Felix Ahlers, dessen Firma Solino in Bremen jährlich 200 Tonnen geröstete äthiopische Bohnen importiert, glaubt, dass das Land einen Aufschub braucht, um die Bauern nicht zu überfordern. „Die Lieferketten sind unglaublich fragmentiert, sie umfassen Millionen von Bauern und Tausende von Zwischenhändlern“, sagt Ahlers, der auch sein eigenes Geschäftsmodell bedroht sieht. „In so einem Umfeld eine funktionierende Kartierung und Nachverfolgung einzuführen, ist keine einfache Aufgabe. Eine einzige Kaffee-Lieferung nach Europa kann Bohnen von Tausenden von Bauern enthalten.“

In Äthiopien mehr als nur ein Produkt: Kaffeebohnen
© Andrzej Rybak

In dem kleinen Dorf Hunkute in Sidama haben die Kaffeefarmer noch gar nichts von der EU-Verordnung gehört. „Ich habe kein Handy und keinen Computer“, sagt Adele Tsure, Kaffeebäuerin und Mutter von sechs Jungs. GPS-Ortung, Satelliten-Bilder, Blockchain – für die Frau sind das Begriffe aus einer anderen Welt. Im vergangenen Jahr wurde ihr Dorf gerade erst an das Stromnetz angeschlossen, Wasser muss sie aber immer noch von einem zwei Kilometer entfernten Brunnen holen. Internet gibt es nur sporadisch und dann auch so schwach, dass selbst eine WhatsApp-Nachricht nicht verschickt werden kann. 

„Warum sollen die Händler meinen Kaffee nicht mehr kaufen wollen?“, fragt sie erstaunt. „Bei uns ist doch alles sauber, organisch, wir werden jedes Jahr kontrolliert.“ Noch nie hat sie einen großen Baum fällen lassen. „Unser Feuerholz kommt von den Eukalyptus-Bäumen, die wir entlang der Straße immer wieder nachpflanzen.“

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In ganz Sidama wird der Kaffee meist biologisch angebaut. Die Kooperativen haben sogar mehrere internationale Preise gewonnen. Jedes Jahr finden Kontrollen statt. „Warum kann die Entwaldungsverordnung nicht altmodisch auf dem Boden umgesetzt werden?“, fragt Mangasha Ontamo, Direktor der Kooperative in Aleta Wendo. „Die Kontrollen der Entwaldung könnten doch mit der des organischen Anbaus verknüpft werden.“

Auch in Europa gibt es Leute, die die Entwaldungsverordnung kritisch betrachten. Einerseits, weil sie neue Bürokratie und hohe Kosten in den EU-Ländern verursachen dürfte. Andererseits, weil sie die Kleinbauern auf der ganzen Welt, insbesondere in Afrika, bestrafen könnte. „Wir müssen eine seriöse Bewertung durchführen, wie sich das Gesetz auf Kleinbauernfamilien auswirkt, die Kaffee anbauen“, sagt Maria Naranjo, die an der Universität Wageningen in den Niederlanden über grüne Wirtschaft und Landnutzung forscht.

Die EU will den Wald schützen – könnte ihn aber in Äthiopien zerstören

Gut gemeint also heißt im Bereich von komplexen System wie bei Lieferkettenketten nicht immer auch gut. Sollte Europa den äthiopischen Kaffee aufgrund des neuen Gesetzes zurückweisen, dürfte der brasilianische oder vietnamesische Kaffee stärker nachgefragt werden – somit würde dessen Preis steigen. 

Die Verordnung könnte sogar zu mehr Entwaldung führen. Wenn die Bauern ihren Kaffee nicht mehr verkaufen können oder der Preis zu stark fällt, müssen sie sich Alternativen zuwenden, die eine komplette Abholzung erfordern könnten. „Mit dem Kaffee können sich viele Familien ein kleines aber solides Einkommen erwirtschaften“, sagt Gewerkschaftsboss Tsegaye Anebo. „Eine in den Hunger gedrängte Bevölkerung könnte dagegen die verbliebenen Wälder in Ackerland umwandeln, um andere Nutzpflanzen wie Mais anzubauen.“ In Sidama breitet sich zunehmend der Anbau der Kaupflanze Khat aus, die in muslimischen Ländern sehr beliebt ist und gute Gewinne verspricht. Khat braucht keine Bäume, um zu gedeihen. 

Lieferkettengrant

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