Ausbreitung der Vogelgrippe: Neue Pandemie? „Auf diese Gefahr sollten wir vorbereitet sein“

In den USA erkranken immer mehr Kühe am Vogelgrippe-Virus. Könnte daraus eine Pandemie erwachsen? Gesundheitspolitiker der Ampel dringen im stern darauf, sich zu wappnen.

Kühe in den USA erkranken derzeit massenhaft an der Vogelgrippe: 129 Milchviehherden in zwölf Bundesstaaten sind inzwischen betroffen. Vereinzelt wurden Fälle bekannt von Menschen, die sich an Kühen mit dem sogenannten H5N1-Erreger angesteckt haben. 

Durch die rasante Ausbreitung könnte auch eine Übertragung zwischen Menschen näher rücken. Droht etwas mehr als vier Jahre nach dem Ausbruch von Corona die nächste Pandemie? 

Janosch Dahmen, Gesundheitspolitiker der Grünen im Bundestag, zeigt sich besorgt. „Bei der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 unter Milchkühen ist es inzwischen wiederholt, wenn auch zu überwiegend milden Krankheitsverläufen bei Menschen gekommen“, sagte Dahmen dem stern. Das Virus habe theoretisch das Potential, sich so weiterzuentwickeln, dass es zu einer Pandemie kommen könnte. Die starke Verbreitung biete dem Erreger zudem zur Zeit viele Gelegenheiten, sich zu verändern und anzupassen. „Besonders eine, wenn auch unwahrscheinliche, Kombination mit anderen Influenza-Viren wäre als Mutation verheerend“, sagte Dahmen.

Pandemie? „Notfallpläne für Impfstoffproduktion anpassen“

Der Parlamentarier fordert, sich darauf entsprechend vorzubereiten. „Wir müssen beispielsweise die Milchvieh-Bestände in Europa systematischer als bisher überwachen und bestehende Abwassermonitor-Systeme auf H5N1 ausweiten“, sagte Dahmen. „Auch sollten wir unsere Notfallpläne für eine mögliche Impfstoffproduktion anpassen – für den Fall, dass wir die Impfstoffe anpassen und die Produktion schnell hochfahren müssen.“ 

Kindermedizin in der Krise Florian Hoffmann Divi Interview 06:15

Außerdem fordert er, die USA darin zu „bestärken“, den laufenden Ausbruch wirkungsvoll einzudämmen. Am Umgang der USA mit der Verbreitung des Virus gab es wiederholt Kritik, vor allem was eine effektive Überwachung der Ausbreitung des Virus betrifft.

Andrew Ullmann, Gesundheitspolitiker der FDP, zeigt sich weniger alarmiert als sein Kollege: „Noch bin ich nicht sonderlich besorgt“, sagte Ullmann dem stern. „Wir sollten nicht grundsätzlich bei jedem Erreger in Panik verfallen.“ Doch auch er weist darauf hin, dass der Erreger potentiell gefährlich werden könnte, wenn er von Mensch zu Mensch übertragen wird. „Auf diese Gefahr sollten wir wissenschaftlich, medizinisch sowie politisch vorbereitet sein.“ 

Ullmann fordert deshalb ein Pandemieabkommen auf globaler Ebene und die lückenlose Umsetzung internationaler Gesundheitsvorschriften, „damit Informationen schnellstmöglich ausgetauscht und auf neue Ausbrüche koordiniert reagiert werden kann“. Außerdem spricht sich Ullmann für eine Enquete-Kommission in Deutschland aus, um Lehren aus der Coronapandemie zu ziehen. Derzeit verhandelt die Ampel darüber, in welcher Form diese Aufarbeitung stattfinden soll. Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit eine Kombination aus einem Bürgerrat und einer, wie von Ullmann geforderten, Enquete.

Corona-Bürgerrat 06.50

Zur Zeit bewertet die Weltgesundheitsorganisation das Risiko von H5N1 für Menschen noch als gering: Es gebe keine Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Andere Wissenschaftler allerdings zeigen sich zunehmend besorgt: „Es scheint fast wie eine Pandemie, die sich in Zeitlupe ausbreitet“, sagte Scott Hensley, Professor für Mikrobiologie an der Universität von Pennsylvania, der Nachrichtenagentur Reuters. „Momentan ist die Bedrohung ziemlich gering, aber das könnte sich schlagartig ändern.“

Virologe Drosten: „Kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein“

Auch der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, warnte im Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“: Alles könne zwar glimpflich ablaufen, da das Virus mehrere Schritte zur Anpassung brauche, vielleicht sei es vorher schon unter Kontrolle. „Aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen.“ Aufgrund mangelnder Daten wisse man noch nicht, wie häufig sich Menschen anstecken, die mit infizierten Kühen zu tun haben. 

„Man würde sich wünschen, dass in den USA jetzt entschlossen vorgegangen wird. Mit Quarantäne“, sagte Drosten. „Dass man also versucht, die infizierten Bestände zu isolieren; schaut, wo Menschen Kontakt hatten, ob sie Antikörper im Blut haben. Über bestimmte Hygienemaßnahmen nachdenkt. Und auch darüber, Kühe zu impfen.“ 

Aufgrund der jüngsten Entwicklungen ergreifen einige Länder bereits Schutzmaßnahmen. Die USA und die EU haben sich laut Reuters Dosen eines „präpandemischen“ Grippeimpfstoffs gesichert, welcher für Risikogruppen wie Landwirte verwendet werden könnte. Finnland bietet als erstes Land Landwirten, Tierärzten und Mitarbeitern in Pelz- und Geflügelfarmen eine Impfung an.

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