Konventionelle Kuhmilch ist nicht mehr cool: Zukunftsforscher Tristan Horx hat sich die Gewohnheiten der Generation Z genauer angesehen. Ein Gespräch über Konsumveränderungen, Pflanzenmilch und die Bedeutung von Kuhfladen.
Herr Horx, hatten Sie heute Milch in Ihrem Kaffee?
Ja, ich hatte einen Kaffee aus der French Press mit Kuhmilch. Und Joghurt hatte ich auch schon.
Pflanzendrinks werden immer beliebter, der Konsum von Kuhmilch geht zurück, um rund vier Prozent im Vergleich zu 2022. Der Konsum von Pflanzendrinks hingegen ist um zwölf Prozent gestiegen. Woran liegt das?
Das liegt an der Individualisierung des Konsums. Die sozialen Medien zwingen förmlich die jüngeren Zielgruppen zur Selbstdarstellung. Das ist ein Grund, der sicherlich mitspielt. Hinzukommt, dass unsere Gesellschaft immer diverser wird und manche rein genetisch betrachtet Kuhmilch nicht gut vertragen. Dann gibt es ökologische Bedenken und am Ende ist es natürlich auch eine Art Kulturkampf.
Es wird um Milch gekämpft?
Der deutsche Kulturkampf endet und fängt mit der Bratwurst an. Und entlang dieser Linie sieht man das auch sehr schön. Ob man Milch trinkt, oder eben nicht, ist zum Identifizierungsmerkmal eines gewissen Milieus geworden. Früher war Milch und der Konsum von tierischen Produkten eine Form von Status, wenn zweimal die Woche sechs Liter Milch vor der Tür standen, signalisierte das, es gehe einem gut – vor allem in der Nachkriegszeit. Damals ging es darum, so viele Kalorien wie möglich aufzunehmen. Das ist jetzt natürlich umgedreht. Heute kann sich jeder Milch leisten – und dadurch wandelt sich auch das Image. Dann ist Quantität nicht mehr entscheidend, sondern Qualität. Cool ist heute, wer gute Kuhmilch trinkt, also Qualität statt Quantität, oder eben Erbsen-, Cashew- oder Mandelmilch. Gerade auch, weil die jüngere Generation, also die Generation Z, unglaublich gesundheitsbewusst ist. STERN PAID 49_21 Einfach Essen „Coco Anjela“ 13.54
Glauben Sie, dass der Haferdrink die Kuhmilch irgendwann ersetzen wird?
Natürlich nicht, das halte ich für eine Illusion, aber es entsteht eine Dynamik, die die Milchbranche dazu zwingt, wieder ein bisschen back to the roots zu gehen. Und das ist gesund und auch marktklärend.
Meine Oma hat früher immer gesagt, dass ich meine Milch trinken soll, damit ich groß werde. Ist ihr Rat mittlerweile überholt?
Damals ging’s ums Kalzium. Das stimmt zwar noch, aber jetzt verschiebt sich der Milchkonsum zu etwas, das wir alle dringend brauchen, nämlich Eiweiß. Man sieht es sehr stark in den Bereichen Fitness und Gesundheit, die jetzt mit sogenannten Fitness-Joghurts auf das Milcheiweiß setzen. Was früher vielleicht der Schluck Milch direkt aus der Flasche war, ist heute der Verzehr von Joghurts und Joghurt-Getränken wie Ayran.
Sie haben es vorher schon angedeutet, dass sich die jüngere Generation, die Gen Z, anders ernährt. Was trinkt die denn?
Sie trinkt vor allem keinen Alkohol mehr, der Konsum ist stark rückläufig. Was immer mehr aufkommt, sind fermentierte Getränke wie Kombucha oder Kefir. Auch in anderer Form sind fermentierte Produkte beliebt, beispielsweise als Milchgarum.
Milchgarum, das ist neu.
Es baut auf einem Nebenprodukt der Milchindustrie auf: Molke. Und wurde von einem Start-up entwickelt. Es wird zum Geschmacksverstärker und hat einen ganz starken Umami-Geschmack – und kann Bouillon und Salz beispielsweise beim Kochen ersetzen. Eigentlich ist es das neue Maggi.
Ayran, Kefir, Lassi und jetzt auch noch Milchgarum. Sind das die neuen Trend-Produkte?
Diese Produkte liegen im Trend, aber es wandelt sich durchgehend. Das kommt auch daher, dass die jüngere Generation, vor allem auch in Deutschland, eine immer höhere Diversität haben und die meisten Regionen auf dem Planeten mit Milch schon immer unterschiedliche Sachen gemacht haben. Es gibt heute viel mehr Auswahl und was sich durchsetzt, wird sich zeigen. Der Weg von einem interkulturellen Ernährungsaustausch auf dem Schulhof bis hin zu einem viralen Video auf Tiktok ist im Vergleich zu früher gar nicht mehr weit. Das geht bei der Gen Z relativ schnell, deshalb ist diese Jugend auch für die Industrie und die Trendforschung so interessant. Über Tristan Horx
Kritische Konsumentinnen und Konsumenten stellen die Milchproduktion immer wieder in Frage. Sei es wegen ökologischen Standards oder der Transparenz. Muss sich die Milchwirtschaft neu aufstellen?
Sie muss sich zurückbesinnen und auch mehr hinterfragen. Wenn Konsumkategorien immer diverser werden, gibt es auch mehr Nischen. Die Milchindustrie verspürt jetzt einen Druck, von Quantität zurück zur Qualität zu gehen. Ich begrüße diese Dynamik. Es ist immer gut, wenn eine Branche ein bisschen Gegenwind erfährt. Gerade in dem Kontext Konsum von Milch und Fleisch ist man gleich in der vegetarisch-vegan Debatte. Man darf nicht so schnell in gut und böse einteilen, sondern man muss es differenzierter angehen.
Wie schädlich ist denn die Kuh fürs Klima?
Das ist ja das Lustige: Es wird immer nur über die Schädlichkeit diskutiert, ums Methan. Dabei können Kühe nur so viel Methan beziehungsweise CO2 abgeben, wie sie vorher aus ihrem Futter aufnehmen. Der Kreislauf schließt sich auf der Wiese, die CO2 speichert. Das ist bei fossilen Brennstoffen anders – das hier gebundene CO2 setzen wir Menschen einfach frei. Für Kühe gibt’s dazu verschiedene Experimente wie Algen im Futter, das den Methanausstoß reduziert. Aber natürlich funktionieren Kuh-Fürze – auch in den Medien – sehr gut. In dem Diskurs werden einfach sehr viele Dinge vermischt und oft ist er zu einseitig.
Beim Thema Kuhmilch wird oft die Tierhaltung kritisiert. Wie könnte eine optimale Milchwirtschaft aussehen?
Man sieht es an der ökologischen Bewegung: Zurück zu den Wurzeln. Der Konsum von Weidemilch und Alpenmilch ist im Aufschwung. Massentierhaltung ist ein Zustand, den man nicht tolerieren dürfte. Der Idealzustand ist Qualität statt Quantität und da bewegt es sich gerade hin. Aber Kühe sind auch wichtig für die hiesigen Ökosysteme. Kuhfladen sind ein wichtiger Bestandteil Deutschlands.
Wieso denn das?
Wenn man sich die ökologischen Kreisläufe anschaut, was die brauchen, um zu funktionieren und auch der Boden. Da ist der Kuhfladen als Nährstoffgeber ein elementarer Bestandteil. Das Gold der Weide, gewissermaßen. Pflanzenmilch_2020
Was halten Sie von Bio-Siegeln wie Demeter, Naturland oder Bioland?
Gütesiegel sind eine tolle Angelegenheit, aber man sollte genau darauf gucken, wer dahinter steckt. Es gab auch schon mal Fälle von Greenwashing und dann war das Gütesiegel hinfällig. Das verwässert dann alle Gütesiegel. Ich würde mir eine Stärkung von Gütesiegeln von Externen aber sehr wünschen.
Kaufen Sie sich heute noch einen Ayran?
Vielleicht (lacht). Ein bisschen Milch ist noch drin.