EM 2024: Die Krux mit den Gruppendritten: Warum die Regelung problematisch ist und nicht geändert wird

Es war eine Änderung bei der EM mit Konfliktpotential: Seit 2016 qualifizieren sich vier der sechs besten Gruppendritten für die Endrunde. Auch bei der Europameisterschaft in Deutschland sorgt das wieder für Ärger. 

Die Europameisterschaft 2016 sorgte schon im Vorfeld für Kontroversen. Erstmals gingen 24 statt 16 Teams bei der EM in Frankreich an den Start – aufgeteilt in sechs Gruppen mit jeweils vier Teams. Doch die Anzahl der Teams sorgte gleich für ein Problem. Weil die Uefa erstmals ein Achtelfinale einführte, mussten 16 der 24 Teams die K.o.-Runde erreichen. Das übliche Prozedere, dass die beiden Gruppenbesten weiterkommen, reichte nicht mehr aus, vier der sechs Gruppendritten mussten das Achtelfinale komplettieren. 

„Der sportliche Wert einzelner Spiele, aber auch des gesamten Wettbewerbs sinkt“, sagte der damalige Bundestrainer Joachim Löw im Vorfeld. Auch der damalige Teammanager Oliver Bierhoff warnte davor, den Fußball nicht „beliebig werden zu lassen“.

Die neue Regelung wurde bereits bei der ersten EM ad absurdum geführt: Albanien musste als Dritter der Gruppe A drei Tage warten, bis feststand, dass das Team nicht ins Achtelfinale kommen würde. „Schuld“ daran war Portugal, das in der abschließenden Gruppe F in einer verhältnismäßig leichten Gruppe mit mäßigen Leistungen drei Mal unentschieden spielte und sich als letztes Team für das Achtelfinale qualifizierte.

So unterschiedlich sind die Turnierbäume 10.45

EM 2024: Regelung für Gruppendritte gibt Raum für Absprachen

PlatzTeamSpieleTorePunkte1Rumänien23:232Belgien22:133Slowakei22:234Ukraine22:43

Auch bei der EM 2024 ist vor den abschließenden vier Spielen am Mittwoch die Regelung in der Kritik. Dass nicht alle zwölf Spiele parallel stattfinden können, ist verständlich – bringt aber den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung mit. Ein Blick in die Gruppe E reicht, um das Problem deutlich zu machen. Rumänien, Belgien, die Slowakei und die Ukraine haben nach zwei Spielen jeweils drei Punkte. Da die erstplatzierten Rumänen auf den drittplatzierten aus der Slowakei treffen, reicht beiden Mannschaften ein Unentschieden, um das Achtelfinale zu erreichen – unabhängig vom Ergebnis der anderen Partie.

Bei Fußballfans werden bei so einer Konstellation die Alarmglocken schrillen und Erinnerungen an die WM 1982 wecken. Damals hatten in der spanischen Stadt Gijón sowohl Deutschland als auch Österreich mit dem 1:0 der DFB-Auswahl die nächste Runde erreicht – zulasten von Algerien, das die Gruppenphase zuvor bereits beendet hatte. Das Spiel ging als Schande von Gijón in die Geschichte ein. Fortan fanden die finalen beiden Spiele einer Gruppe immer parallel statt. 

Sowohl Rumänien als auch die Slowakei beteuerten vorweg, dass es keinerlei Absprache geben werde. „Ich kommentiere diese Aussagen in der Presse nicht. Wir sind Profis, wir wissen, dass ein Unentschieden uns helfen könnte, weiterzukommen. Das bedeutet aber gar nichts“, erklärte Francesco Calzona, Nationaltrainer der Slowakei, auf der Pressekonferenz vor der Partie. Bereits am Dienstagabend reichte Slowenien gegen die bereits qualifizierten Engländer ein Unentschieden, um in die nächste Runde kommen, ebenso den Dänen gegen Serbien. Am Ende endeten beide Spiele 0:0, Dänemark und Slowenien jubelten über den Einzug ins Achtelfinale.

Tabelle der GruppendrittenPlatzLandSpieleTorePunkte1Niederlande34:442Slowakei22:233Slowenien32:234Ungarn32:535Kroatien33:626Tschechien22:31

Ähnlich wie Albanien 2016 könnte es bei dieser EM auch den Ungarn gehen und sie in letzter Minute aus der K.o.-Runde fliegen. Die Ungarn sind in der Bilanz aktuell das viertbeste Team bei den Gruppendritten und müssen auf das Duell zwischen Tschechien und der Türkei achten. Mit einem Sieg würden die Tschechen auf den zweiten Rang in ihrer Gruppe springen, die Türkei Dritter werden. Aber nur, wenn der tschechische Sieg mit drei Toren Unterschied ausfällt, würde die Türkei den Einzug in die K.o.-Runde verpassen – sonst wären die Ungarn nach drei Tagen des Wartens gescheitert, die Vorbereitung auf einen möglichen Gegner ohnehin schon arg verkürzt.

Wenn Geld wichtiger ist als Leistung: auch die Fifa ändert ihre Regeln

Eine Änderung der Regelung erscheint indes unwahrscheinlich. Eine Ausweitung auf 32 Teams für die Endrunde verwässert die sportlichen Leistungen noch mehr – und macht eine Qualifikation angesichts von 55 Verbänden in der Uefa nahezu unnötig. Eine Rückkehr auf 16 Teams wird die Uefa alleine aus kommerziellen Gründen nicht in Betracht ziehen, die Einnahmen durch die Steigerung von 16 auf 24 Teams stiegen von rund 1,4 Milliarden Euro (2012) auf nun kolportierte 2,4 Milliarden Euro. 

Zumal sich der jeweilige Uefa-Präsident bei einer Verkleinerung des Wettbewerbs einer Abwahl fast schon sicher sein dürfte. Die Erweiterung auf 24 Teams kam dadurch zustande, dass der damalige Uefa-Präsident Michel Platini vor der Wahl 2007 den kleineren und mittelgroßen Verbänden eine Vergrößerung des Teilnehmerfelds versprach.

Ode an den Nachmittag 1555

Neu ist die Problematik der Gruppendritten jedoch nicht. Die Fifa testete die Regelung bereits bei den Weltmeisterschaften 1986, 1990 und 1994 – ehe die Teilnehmerzahl 1998 erhöht wurde. 1986 reichten Bulgarien und Uruguay dabei bereits zwei Punkte, um das Achtelfinale zu erreichen (und dort auszuscheiden). Dass der Kommerz aber wichtiger als die Leistung und die Kritik ist, wird sich bei der WM 2026 in Nordamerika zeigen. Diese findet erstmals mit 48 Mannschaften in zwölf Gruppen statt, und die Fifa plant erstmals mit einem Sechzehntelfinale. 

Weil dafür 32 Teams nötig sind, qualifizieren sich acht der zwölf Gruppendritten für die K.o.-Runde. Auch durch die weitere K.o.-Runde weitet die Fifa die Anzahl der Spiele aus: Statt bislang 64 werden dann 104 Partien ausgetragen. „Wenn mehr Länder die Chancen auf die weltweite Bühne haben, werden sie mehr für die Entwicklung des Fußballs tun“, versuchte Arsène Wenger, Direktor bei der Fifa, die Ausweitung zu begründen. Dass die Fifa allerdings mit elf Milliarden Euro Einnahmen und damit vier Milliarden Euro mehr als bei der WM in Katar 2022 einnimmt, dürfte der ausschlaggebende Faktor gewesen sein.

Dass man mit minimalen Aufwand maximalen Ertrag holen kann, bewiesen die Portugiesen direkt bei der EM 2016. Das Team um Cristiano Ronaldo rumpelte sich nach den drei Unentschieden in der Vorrunde regelrecht durch die K.o.-Runde und profitierte von dem deutlich leichteren Turnierbaum. Am Ende wurden die Portugiesen Europameister – und brachten dabei das Kunststück fertig, aus den sieben Partien von der Vorrunde bis zum Finale nur eines (2:0 im Halbfinale gegen Wales) innerhalb von 90 Minuten zu gewinnen.

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