„Caren Miosga“: Rechte in Sachsen und die Frage: Wie soll man mit ihnen umgehen?

„Hilft Reden gegen Radikale?“, das war die Frage, um die es sich bei Caren Miosga drehte. Beantworten sollte sie Sachsen Ministerpräsident Kretschmer. Der schwärmte von alten Zeiten, den stabilen Sachsen – und von „Ally McBeal“. 

In Dresden wurde am Freitag der SPD-Europabgeordnete Matthias Ecke brutal zusammengeschlagen und liegt mit einem Jochbeinbruch, zudem weiteren Schädelverletzungen im Krankenhaus. Ebendort kam es zu einem Angriff auf ein Team der Grünen, auch in Essen wurden zwei Politiker der Grünen tätlich angegriffen. Wie sollte man auf diese extremen Fälle reagieren, oder anders gesagt: Was kann man tun, um die immer aggressivere Stimmung zu entschärfen und derlei Bedrohungsszenarien zukünftig zu verhindern – das war die Grundfrage am Vorabend im Polittalk von Caren Miosga in der ARD.

Zu Gast bei Caren Miosga waren:

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident SachsensElisabeth Niejahr, Geschäftsführerin „Demokratie stärken“, Gemeinnützige Hertie-StiftungIlko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Publizist

In der ersten halben Stunde gab es das fast schon traditionelle Zweier-Gespräch. Zuhause in Sachsen setzt Ministerpräsident Kretschmer auf Bürgernähe und Austausch, den Aufschwung der AfD zu 35 Prozent potentieller Wählerstimmen konnte er damit jedoch auch nicht verhindern. Ein Zeichen der Zeit? „Früher waren Parteien Gegner, aber keine Feinde“, beschwor Kretschmer die vermeintlich guten alten Zeiten, konnte seinen Anteil am raueren Ton im Hier und Jetzt jedoch kaum entkräften. 

Grüne zu Angriff in Dresden 18.10

„Diese Regierung zerstört die Demokratie„, zitierte Miosga den Ministerpräsidenten aus dessen regelmäßig harscher Kritik an der Ampelkoalition und regte etwas mehr Nachdenklichkeit beim CDU-Mann an. So richtig darauf einsteigen wollte der nicht, bekräftigte stattdessen seinen Standpunkt. „Demokratie ist ein Diskursraum“, es könne nicht sein, dass alle vier Jahre gewählt wird und die Politiker in der Zwischenzeit machen können, was sie wollen, ätzte er ein weiteres Mal Richtung Ampelkoalition.

Dabei sollte es ja eigentlich um etwas anderes gehen, nämlich die Haltung gegenüber den Radikalen und jenen rechtsextremen Strömungen, die immer mehr in den Mainstream rücken. Eine Entwicklung, die vor dem Hintergrund jenes Biedenkopf-Zitats von 1990, nach dem alle Sachsen immun gegen rechts seien, umso drastischer erscheint. Stattdessen gab es erst noch einige Häppchen Autobiografisches über Michael Kretschmer, der in Görlitz aufgewachsen ist und aus einer Vertriebenen-Familie stammt. Oberschüler, Abi auf dem zweiten Bildungsweg, Fan von Berlin, unter den ersten Vertrauten als Parlamentsneuling Jens Spahn und Julia Klöckner, mit denen im Berliner Büro am Wein genippt und „Ally McBeal“ geschaut wurde, um sich vom anstrengenden Politikalltag zu erholen.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer zu Gast bei „Caren Miosga“

Zunächst ging es dann noch einmal um Russland, die Ukraine und Kretschmers Vorschlag, den Krieg „anzuhalten“. Der Ministerpräsident ein Putin-Versteher? „Die Frage ist: Wie kommt dieser Krieg zu einem Anhalten? Wie hört das Sterben auf? Wie können wir das Geld, das wir jetzt für Waffenlieferungen geben, damit Menschen sich gegenseitig umbringen und kämpfen, so einsetzen, dass wir es, wie etwa Israel mit einem Raketenabwehrschirm, trotz dieses unkalkulierbaren Nachbars sicher machen“, erläuterte Kretschmer. 

STERN PAID 09_2024 IV Kretschmer 0.00

„Das ist mein Hauptansatzpunkt und das hat nichts damit zu tun, dass ich Putin verstehe oder dass ich das sogar richtig finde. Ich halte es für falsch, es ist ein Riesenverbrechen, es ist nur die Frage, wie geht man damit um.“ Ein Aspekt, der Kretschmers Sichtweise befeuert: die sächsischen Wurzeln. „Sächsinnen und Sachsen haben ein ziemlich klares Gefühl dafür, wie Russland ist, wie brachial dieses Land auch sein kann, welche Größe, welche Kraft es auch hat und deswegen sind die, so wie ich, ich bin ja auch Sachse, der festen Überzeugung, dass man es über diesen Weg der Diplomatie versuchen. Mit einer strategischen Zeitkomponente werden diese Dinge sich auch klären.“

Nach einigen O-Tönen von einer Veranstaltung zum 1. Mai in Aue, bei der man Kretschmer u.a. eine Beteiligung an der Konsens-Verschiebung vorwarf, wurde die Gesprächsrunde um Elisabeth Niejahr, Geschäftsführerin von „Demokratie stärken“, und den Historiker und Publizisten Ilko-Sascha Kowalczuk erweitert. Kowalczuk thematisierte die fehlende Aufarbeitung der DDR-Geschichte als einen Aspekt der heutigen Gemengelage, da Stimmen aus den extrem rechten Lagern immer lauter von einer vermeintlichen Diktatur in der Bundesrepublik reden. Mit der Historie der SED-Diktatur sei „sehr nachlässig“ umgegangen worden, eine Aufarbeitung hätte nicht stattgefunden, was u.a. zu den kruden Vergleichen von heute geführt hätte. 

Wurde der Rechtsextremismus in Sachsen kleingeredet?

Ein weiterer Aspekt, so Kowalczuk: „Faschismus und Rechtsextremismus werden in Sachsen kleingeredet. Das Problem gibt es massiv seit 1990, die sächsische Landesregierung unter Biebenkopf hat jedoch mehr oder weniger schweigend zugeschaut. Jetzt erleben wir dieses Wegschauen in der Mitte der Gesellschaft, es fehlt eine starke Zivilgesellschaft in Ostdeutschland.“ Elisabeth Niejahr nahm auch die Parteien in die Pflicht: „Ein Beispiel sind die Bauern-Demos, bei denen ich mir ein viel härteres Einschreiten aller Parteien gewünscht hätte. Wenn dort Galgen gezeigt werden, dann sind das genau die Gewöhnungseffekte, die gefährlich sind. Das fördert eine Verrohung und senkt die Schwelle zum Handeln immer weiter.“

TV-Kritik Caren Miosga

Das sei ja auch die Strategie der AfD, merkte Kowalczuk an, das Unsagbare immer sagbarer zu machen:. „Nicht die Gesellschaft rückt nach rechts, sondern der rechte Sprech rückt in die Mitte der Gesellschaft. Das ist ein Misstand, den eben nicht nur die AfD und andere Faschisten, sondern eben auch zunehmend Konservative betreiben.“ Seine Forderung? „Da würde ich von Demokraten erwarten, dass sie massiv dagegen steuern.“

Verwandte Beiträge