Prozess in Halle: Björn Höcke, die Unschuld aus Thüringen, und seine „Finanzministerin“

Der dritte Verhandlungstag gegen den Thüringer AfD-Anführer brachte einige neue Beweisanträge, aber kaum Fortschritte. Sogar die Auskunft über sein Gehalt gestaltete sich für Höcke eher schwierig.

Aber nein, das möchte sich Björn Höcke nicht antun. Er wolle, so lässt er über seinen Verteidiger ausrichten, nichts zu seinem Leben oder seiner Familie mitteilen, zumal das meiste sowieso bekannt sei. Das Hohe Gericht möge das bitte verstehen. 

Doch der Vorsitzende Richter Jan Stengel versteht es nicht. Die Lebensumstände eines Angeklagten müssten nun mal in eine Hauptverhandlung eingeführt werden, sagt er mit verlässlich brummig-freundlicher Stimme. Falls sich der Angeklagte nicht mehr zur Person äußern wolle, was natürlich sein gutes Recht sei, dann müssten Zeugen geladen werden, um banale Fragen wie zum Beispiel diese zu klären: „Ist er in den Kindergarten gegangen oder nicht?“ In der Folge werde man dann halt noch ein paar Tage mehr benötigen.

Nun lässt sich ohne jede Übertreibung behaupten, dass sich die Angelegenheit Höcke vor dem 5. Senat des Landgerichts Halle auch so schon arg in die Länge zieht. Schließlich ist dies bereits der dritte Verhandlungstag eines Prozesses um drei Worte.

Höcke Prozess Halle

Auch einige Hardcore-Höckianer sind da

Immerhin, die anfängliche Aufregung hat sich gelegt. Vor dem Justizzentrum sind keine Demonstranten zu sehen und auch kaum noch Polizeibeamte. Drinnen, im Saal X.01, bleiben etliche leer. Neben den immer noch recht zahlreichen Journalisten hören nur noch ein paar Schüler und sonstige Interessierte zu, dazu sind einige Hardcore-Höckianer wie der Sachsen-Anhalter Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider erschienen.

Tatsächlich dürften im Saal die Lebensdaten des Angeklagten wohlbekannt sein. Höcke wurde 1972 in Nordrhein-Westfalen geboren und wohnt seit 2008 in Thüringen. Dort wurde er 2013 zum Landeschef der AfD gewählt, übernahm 2014 den Fraktionsvorsitz, gründete 2015 den völkischen Flügel und ist nun schon zum dritten Mal der Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl. 

Und: Seit dem 18. April dieses Jahres steht Höcke in Halle wegen des „Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ vor Gericht. Und, wie gesagt, es zieht sich.

An Verhandlungstag 1 hatte die Verteidigung derart viele Anträge gestellt, dass Staatsanwalt Benedikt Bernzen erst nach harten Wortgefechten dazu kam, die kurze Anklageschrift zu verlesen. Sie lässt sich so zusammenfassen: Björn Uwe Höcke habe 2021 auf einer AfD-Kundgebung in Merseburg „Alles für Deutschland!“ skandiert – und dies im Bewusstsein des Umstands, dass es sich dabei um die Parole der Sturmabteilung der NSDAP handelte.   

Am zweiten Verhandlungstag eine knappe Woche später äußerte sich der Angeklagte zu den Vorwürfen. Er habe, sagte Höcke, nicht gewusst, dass der letzte Teil seines Satzes „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland!“ ein SA-Spruch war. „Ich bin tatsächlich völlig unschuldig!“, beteuerte er. „Mit Nationalsozialismus“ habe er „nichts, aber auch gar nichts am Hut“.  

Björn Höcke (zweiter von links) am Freitag im Gerichtssaal des Justizzentrums Halle zwischen seinen Verteidigern Ulrich Vosgerau (links) and Philip Mueller (dritter von links).
© Hendrik Schmidt

Doch genau das nimmt ihm die Staatsanwaltschaft nicht ab. Um die Nähe Höckes zum NS-Gedankengut zu belegen, bringt Bernzen am Freitag zusätzliche Beweisanträge ein. So sollen gleich mehrere Videos im Gerichtssaal abgespielt werden. Das erste zeigt Höcke, wie er im Februar 2020 an einer Neonazi-Demonstration in Dresden teilnimmt und „Wir wollen marschieren!“ skandiert. Das zweite dokumentiert seine Rede im Oktober 2016 in Gera, in der im Zusammenhang mit der Verurteilung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck von „schreiender Ungerechtigkeit“ spricht. Und das dritte Video zeigt ihn im vergangenen Dezember in Gera, wie er auf einer AfD-Veranstaltung die Anklage gegen sich kritisiert, dann „Alles für…“ ruft und das Publikum gestisch auffordert, den Satz zu vollenden.

All diese Aufzeichnungen, sagt der Staatsanwalt, seien bedeutsam für die Strafzumessung. Denn sie verdeutlichten „die Gesinnung, die aus der Tat spricht“. Dasselbe gelte auch für Höckes jüngsten Äußerungen auf dem sozialen Netzwerk X, wo er in Bezug zu seiner Anklage erklärte, dass in der Bundesrepublik einige Strafgesetze darauf abzielten, „Deutschland davon abzuhalten, sich selbst zu finden“.

Die Verteidigung hält die Anträge größtenteils für unbegründet bis überflüssig. Zwar ließe sich die Teilnahme an der Dresdner Demonstration als „sehr ungehörig“ betrachten, sagt Anwalt Philip Müller, aber sie sei mehr als ein Jahrzehnt her und habe im Übrigen nichts mit der Anklage zu tun. Das Video von Gera wiederum dürfe nicht eingeführt werden, weil es bekanntlich Gegenstand einer separaten Anklage durch die Hallenser Staatsanwaltschaft sei. Und die von seinem Mandanten geübte Kritik an bestimmten Straftatbeständen sei einfach eine „Meinung, die man haben kann“. 

Trotz des Widerspruchs in der Sache hat die Verteidigung ihren Ton gemäßigt. Nachdem Rechtsanwalt Müller zu Prozessbeginn noch einen drohenden „Machtmissbrauch durch die Justiz“ beschwor und insinuierte, dass das Gericht nach der „massiven Vorverurteilung“ Höckes durch Öffentlichkeit und Medien befangen sei, tritt er nun verbindlicher auf. Dazu passt, dass er eine ausgedruckte E-Mail der Sachsen-Anhalter AfD vorlegt. Sie soll belegen, dass Höcke nichts damit zu tun hatte, dass die „Alles für Deutschland“-Rede bis vor kurzem über eine Internet-Plattform der Landespartei abrufbar war. Vielmehr habe sein Mandant die Landespartei gebeten, das Video aus dem Netz zu nehmen. 

Richter: „Nicht, dass wir keinen Bock hätten…“

Und weil Höcke die Unschuld aus Thüringen gibt und offenkundig dann doch nicht will, dass seine frühere Kindergärtnerinnen als Zeugen einbestellt wird, erzählt er ein wenig über sein Leben. Nachdem er geschildert hat, wie ihm „nachgestellt“ und in seine „Privatsphäre eingedrungen“ worden sei, referiert er seinen Bildungsweg von, genau, dem Kindergarten bis hin zum Lehrerstudium in den Fächern Geschichte und Sport. Danach schildert er seine Tätigkeit an verschiedenen hessischen Schulen und beschreibt eher kurz seine Politikkarriere. 

Dann wird es mal wieder seltsam. Wie hoch denn das aktuelle Einkommen sei, stellt Richter Stengel die erwartbarte Standardfrage an einen Angeklagten. Höcke zögert. Er bekomme als Fraktionschef die doppelte Abgeordnetendiät, antwortet er. Aber wie viel genau? Höcke zögert noch länger. „Meine Frau ist die Finanzministerin“, sagt er schließlich. Netto seien es, vielleicht, 9000 Euro, einschließlich Kindergeld.

Nach dieser Offenbarung am frühen Mittag ist auch dieser Verhandlungstag absolviert. Das Gericht werde jetzt erst einmal über die Beweisanträge entscheiden, sagt Stengel und leistet sich eine Feinunze Ironie: „Nicht, dass wir keinen Bock hätten – aber ne, Herr Höcke, das muss ja rechtsstaatlich sein!“ Die Anregung der Verteidigung, dass ja am Nachmittag „noch ganz viel Zeit“ wäre, um voranzukommen, fegt der Vorsitzende Richter routiniert beiseite: „Ne, es ist Freitag!“ Er bekomme sonst noch Ärger mit dem Personalrat…

Angesichts dieser Fortschritte darf bezweifelt werden, ob beim nächsten Verhandlungstag am 14. Mai das Urteil fällt. Immerhin hat das Gericht bereits zu Protokoll gegeben, dass nur eine Geldstrafe in Betracht komme. Bis zur Entscheidung, die wohl in jedem Fall angegriffen wird, hat der Angeklagte dann womöglich auch seine Finanzen sortiert. 

Zur Hilfestellung: Ausweislich der Bekanntmachungen des Thüringer Landtag beträgt die aus Steuermitteln finanzierte Grundentschädigung von Björn Höcke monatlich 13.096,24 Euro.  

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