Radikale Islamisten: Wer steckt hinter den Kalifat-Protesten in Hamburg?

Islamisten laufen über den Hamburger Steindamm und fordern einen Gottesstaat. Dazu aufgerufen hat eine Gruppierung namens „Muslim Interaktiv“. Ihre Taktik ist perfide, der Verfassungsschutz bereits alarmiert.

Auch im Straßenprotest halten Islamisten sich an ihre eigenen Regeln. Als es am Samstagnachmittag auf dem Hamburger Steindamm um die Einführung eines Gottesstaats in Deutschland geht, stehen rund 80 verschleierte Frauen ganz am Ende des Demonstrationszugs, sichtbar getrennt von den hunderten grölenden jungen Männern vor ihnen. Doch auf ihre Plakate haben sie dieselben Botschaften gepinselt: „Deutschland = Wertediktatur“, „Kalifat ist die Lösung“. 

Mehr als 1000 Menschen prangern inmitten der Hansestadt eine angeblich islamfeindliche Politik aus Berlin an, eine vermeintliche Medienkampagne wider Allah in ganz Deutschland – das sich nun wiederum die Frage stellt: Wer geht hierzulande für die Scharia auf die Straße? 

 Kommentar Kailfat 12.41

Angemeldet hatte die Demo ein Mann, der der Gruppierung „Muslim Interaktiv“ (MI) nahesteht. Und auch wenn der Name dieser Organisation unverfänglich klingt und der Aufmarsch zumindest an diesem Wochenende friedlich blieb – hinter diesem Protest steckt ein System, das deutsche Geheimdienstbehörden seit einigen Jahren verstärkt auf den Plan ruft: Muslime als vom Westen und den Medien verfolgte Minderheit; die Opferrolle als Einstiegsnarrativ für eine demokratiefeindliche Ideologie; eine Gruppe, die Jugendliche im Netz bekehren will. 

Erst der Islamisten-Flashmob, dann die Razzia

Offiziell gegründet wurde „Muslim Interaktiv“ erst im März 2020. Das Logo: die Kaaba in Mekka, das Hochheiligtum der islamischen Welt, inmitten eines roten Bluttropfens. Bereits wenige Tage später organisierte die Gruppe eine Autokolonne durch die Hamburger Innenstadt. Angeblich, um der muslimischen Opfer des Anschlags in Hanau zu gedenken. Eigentlich, um von einer durch Politiker „verursachten Hetze innerhalb der Gesellschaft gegen Muslime zu sprechen“. 

Zwei Jahre später verglichen die Islamisten in einer Art Flashmob die Lage der Uiguren in China mit jener der Muslime in Deutschland. Im Februar 2023 lockte MI knapp 3500 Menschen auf die Straßen des Hamburger Viertels St. Georg, nachdem in Schweden ein Koran verbrannt worden war. Nach Ausbruch des Gazakriegs rief die Organisation zu einer verbotenen Spontankundgebung – wieder in Hamburg. Erst gab es israelfeindliche Parolen, dann flogen Steine und Flaschen auf Polizisten. Im Nachgang stürmte die Polizei im Rahmen einer Razzia zwei Wohnungen von Mitgliedern.

FAQ Islam

Der Hamburger Verfassungsschutz schreibt, die Gruppe nutze „die Instrumentalisierung gesellschaftlich relevanter Debatten und Diskurse, um die Grenzen zwischen demokratischem und extremistischem Engagement aufzulösen“. Denn die Sicherheitsbehörden sehen „Muslim Interaktiv“ eng verbandelt mit der seit 2003 in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir (HuT), der „Partei der Befreiung“. Sie gilt als gewaltorientiert, ruft zur Tötung von Juden und der Zerstörung Israels auf und fordert die Vereinigung aller Muslime in einem weltweiten Kalifat auf Basis der Scharia. In vielen arabischen Staaten ist HuT inzwischen ebenfalls verboten, aber immer noch aktiv. 

Auch MI-Anhänger wurden nach dem Freitagsgebet bereits vor der Hamburger Al-Nour-Moschee mit eindeutigen Flyern gesichtet. Darauf sollen „57 Herrscher“ muslimischer Staaten durch „1 Kalif“, also einen religiös-politischen Führer ersetzt werden. Die Elbmetropole gilt als Hauptsitz der Bewegung, zuletzt rief sie in einer Eventhalle im Hamburger Osten zum gemeinsamen Fastenbrechen.

Der Kopf der Gruppe studiert Lehramt in Hamburg

Den größten Zuspruch aber hat „Muslim Interaktiv“ im Internet, dort, wo sich junge, formbare potenzielle Neu-Anhänger tummeln. Der Tik-Tok-Account zählt mehr als 24.000 Follower, der Instagram-Kanal über 5000. Junge sportliche Männer treten dort in Kapuzenpullis auf wie Pop-Propheten. Ihr Anführer heißt Joe Adade Boateng, Rufname „Raheem“, ist 25 Jahre alt, nach eigenen Angaben 2015 zum Islam konvertiert und studiert an der Universität Hamburg Lehramt. Ob der Deutsch-Ghanaer einmal wirklich den Eid auf das deutsche Grundgesetz ablegt, um in den öffentlichen Dienst zu kommen? Auf TikTok scheint ihm die ultrakonservative Auslegung des Korans zumindest weitaus wichtiger zu sein. Halloween in Dubai? Alkohol in Saudi-Arabien? Baerbock auf Staatsbesuch in Israel? Zeichen des Bösen. Boateng trat auch bei der jüngsten Demonstration in Hamburg auf.

Pop-Prophet: Raheem Boateng auf der Islamisten-Demo in Hamburg
© Action Press

Die Behörden sind alarmiert. Der Hamburger Verfassungsschutz schreibt: „Die Gruppierung verzeichnet eine kontinuierliche Steigerung ihres Verbreitungsgrades, insbesondere bei der jüngeren Generation der muslimischen Community.“ Politiker verschiedener Parteien fordern von Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Bann der Bewegung, so wie sie es im November auch schon gegen die Terrororganisation Hamas und der ihr nahestehenden Gruppe Samidoun durchgesetzt hatte. 

In Sicht ist ein solches Betätigungsverbot derzeit noch nicht. Kurzzeitig gesperrte Instagram-Kanäle gingen schnell wieder online. Trotz der Träume vom Kalifat – in einem Positionspapier erkennt „Muslim Interaktiv“ offiziell den „Geltungsanspruch des Grundgesetzes“ an. Islamwissenschaftler attestieren der Gruppe eine gewaltfreie Strategie. Einen Aufruf zum Töten Ungläubiger wird man von Raheem Boateng wohl nicht hören. Viel lieber spielt er sich als Kämpfer gegen antimuslimischen Rassismus und für Gerechtigkeit auf. Die Hamburger Strafverfolgungsbehörden wollen nun dennoch prüfen, ob am Samstag auf dem Steindamm unter den Plakaten und Rufen der vielen Männer und wenigen Frauen auch solche dabei waren, die gegen das deutsche Gesetz verstoßen. 

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