Demokratieförderung: Wer kann Wahlhelfer? So will ein Jugend-Projekt für Demokratie begeistern

Das Hamburger Haus Rissen bildet junge Erstwähler zu Wahlhelfern aus. Der Job soll klar machen: Demokratie ist nicht einfach da, sondern muss gestaltet werden. Funktioniert das? Ein Gespräch mit der Projektleiterin Manja Jacob.

Frau Jacob, was lernen Jugendliche bei dem Projekt „Erstwahlprofis“? 
Wir bilden junge oder neu eingebürgerte Menschen dazu aus, bei einer ihrer ersten Wahlen als Wahlhelfer zu arbeiten. Das Projekt ist damit ein Startschuss für demokratisches Engagement. Die Teilnehmenden lernen zunächst, warum Wahlen so wichtig sind und alle Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben sollten. Außerdem vermitteln wir ihnen, wie Wahlen in Deutschland ablaufen und welche Wahlrechtsgrundsätze gelten. Viel wichtiger als diese Theorie ist aber die Praxis: Im anschließenden Rollenspiel wird ein Wahllokal nachgebaut und die Teilnehmenden lernen, was am Wahltag vor Ort passiert und was zu tun ist.

Passiert denn da so viel? Es gibt ein paar Kabinen, Wahlurnen und die Stimmzettel, und dann gibt man halt seine Stimme ab und geht wieder.
Viele halten es für selbstverständlich, dass Wahlen einfach stattfinden und alles funktioniert. Sie wissen gar nicht, wie dringend die Wahlämter bundesweit Helferinnen suchen. Denn damit eine demokratische Wahl reibungslos funktionieren kann, braucht es engagierte Menschen, die die wahlberechtigten Personen in Empfang nehmen, die Stimmzettel aushändigen, den Wahlvorgang kontrollieren, ein Wählerverzeichnis führen und danach dann auch die Stimmzettel auszählen. Klar, das alles wirkt auf den ersten Blick vielleicht nicht aufregend. Aber man kann auch politische Inhalte so vermitteln, dass sie Interesse wecken und Spaß machen. Deshalb nutzen wir neben dem Rollenspiel noch weitere aktivierende Methoden wie ein Puzzle oder ein Quiz. 

Manja Jacob, 39, leitet das Projekt „Erstwahlprofis“ im Haus Rissen: Das Hamburger „Institut für Internationale Politik und Wirtschaft“ ist ein gemeinnütziges Unternehmen. Jacob ist dort Bereichsleiterin für Politische Jugendbildung. Sie betreut mit ihrem Team neben dem Erstwahlprofis-Projekt auch Angebote zu verschiedenen anderen Themen wie Kinderrechten, sozialer Ungleichheit und Klimawandel.
© Haus RissenWie erreichen Sie, dass das Training praxisnah ist? 
Wir spielen verschiedene Situationen durch, die in einem Wahllokal passieren können: Was macht man zum Beispiel, wenn eine Mutter mit einem kleinen Kind kommt – darf das mit in die Wahlkabine? Oder wie geht man damit um, wenn jemand im falschen Wahllokal gelandet ist? Und was ist zu tun, wenn eine Person mit den Briefwahlunterlagen wählen möchte?

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Und dann arbeiten die Erstwahlprofis am Wahltag auch tatsächlich im Wahllokal? 
Ja, das ist das Ziel. Man kann sich nach dem Seminar als Wahlhelfer registrieren lassen und bekommt dafür von der jeweiligen Stadt oder Gemeinde auch eine Aufwandsentschädigung oder ein so genanntes „Erfrischungsgeld“. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind nach diesem Seminar wirklich gut ausgebildet und können sich zu Recht als Profis bezeichnen – dies bestätigen uns auch die zuständigen Behörden seit Jahren. Das ist ein weiterer Aspekt dieser Workshops: Das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden wächst! Sie übernehmen als Wahlhelferinnen eine Aufgabe mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Sie tragen zum Gelingen von Demokratie bei. Darauf können sie zurecht stolz sein. 

Demokratie funktioniert nicht von allein – oft ist es diese Erfahrung im Projekt „Erstwahlprofis“, die bei Jugendlichen das Interesse für politische Entscheidungen weckt
© Haus Rissen

Sie wollen mit dem Projekt die Wahlbeteiligung von jungen Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte erhöhen und ein nachhaltiges Interesse für die Demokratie wecken. Funktioniert das?
Ja, das zeigen die Feedbacks der Teilnehmenden. Die sagen zum Beispiel, dass sie vorher nicht politisch interessiert waren und erst durch das Seminar verstanden haben, wie wichtig Wahlen sind. Oder dass sie erkannt haben, dass Demokratie ohne Beteiligung nicht funktioniert. Viele Erstwahlprofis werden außerdem zu Multiplikatoren, weil sie durch ihre Begeisterung andere Menschen in ihrem sozialen Umfeld dazu motivieren, wählen zu gehen. Auch das ist ein wichtiges Ziel des Projekts. 

Wahlhelfer_Mitmachen

Das Erstwahlprofi-Projekt wurde 2016 ins Leben gerufen. Anfangs gab es nur Seminare in Hamburg, inzwischen gibt es sie auch in anderen Bundesländern. Wie wird sich das Projekt weiterentwickeln? 
Mittlerweile wurden schon über 1300 Erstwahlprofis ausgebildet. Um mehr Menschen zu erreichen, haben wir vom Haus Rissen vor zwei Jahren begonnen, bundesweit so genannte „Train-the-trainer“-Seminare anzubieten. Wir kooperieren mit interessierten Leuten aus Bildungseinrichtungen und bringen ihnen bei, wie sie diese Erstwahlprofi-Workshops bei sich vor Ort durchführen können. Seit 2023 können sie sich innerhalb dieser Kooperationen das Wissen auch über unsere digitalen Projektplattform aneignen und die Seminare mit einem Baukasten-System individuell gestalten. Auf diese Weise wollen wir noch mehr Menschen erreichen und ihnen zeigen: Jede Wählerin und jeder Wähler kann einen Unterschied machen. Jeder kann zum Gelingen von Demokratie beitragen.

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