Giorgia Meloni ist die Regierungschefin der postfaschistischen Partei, die Italien regiert. Sie zeigt Zunehmend weniger Hemmungen und setzt die Säge an – an der Demokratie, den Frauenrechten, der Medienfreiheit. Auch die Geschichte der Mussolini-Zeit will sie neu schreiben.
Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist dabei, das Land grundsätzlich umzumodeln. Nichts wird ausgespart. Dazu gehört auch eine Verfassungsreform, die eine Direktwahl des Regierungschefs einführen soll, besser: der „Chefin“. Wobei diese Bezeichnung für Frau Meloni ein Affront ist, denn sie mag keine gendergerechte Sprache. Meloni besteht darauf, „Il Presidente del Consiglio“, „der“ Regierungschef genannt zu werden.
Die vorgeschlagene Direktwahl des Regierungschefs soll dem Parlament viele Befugnisse entziehen. Die direkt gewählte Regierungschefin wäre wegen sehr komplizierter Vorschriften für Misstrauensabstimmungen praktisch nicht abwählbar, sie bliebe also für die vollen fünf Jahre der Legislaturperiode im Amt. Geplant ist auch ein satter Bonus an Parlamentssitzen für die Partei mit den relativ meisten Stimmen. Melonis Vorwand ist, Italien eine stabile Regierung geben zu wollen. Dafür soll alle Macht in der Exekutive konzentriert und der Staatspräsident als unabhängige Kontrollinstanz weitgehend entmachtet werden.
Noch ist diese Reform nicht verabschiedet, dazu bedarf es einer Volksabstimmung. Bis dahin arbeiten Meloni, ihre Minister und deren Verbündete weiter daran, das Land von der „ideologischen Hegemonie der Linken“ zu befreien. So nennen sie das, während sie Italien auf national-souverän umzukrempeln versuchen. Das glückt ihnen nur leidlich, ist teils peinlich dilettantisch und oft auch ein Familienunternehmen.
„Italy first“ – alles Käse
Melonis Schwester Arianna gehört zur Parteiführung der Fratelli d’Italia. Ihr Ehemann Francesco Lollobrigida, weitläufig verwandt mit Gina „nazionale“ Lollobrigada, wollte als „Minister für Lebensmittel-Souveränität“ alle Restaurants in Italien verpflichten, italienische Käsesorten im Menü anzubieten: „Italy first“, lautet das Motto auch beim Käse. Das Ansinnen scheiterte am Einspruch der italienischen Küchenchefs. Lollobrigida zog daraufhin in den Krieg gegen alkoholfreien Wein – und brauchte damit die Weinbauern gegen sich auf.
Ebenfalls blamiert hat sich Melonis Regierung auf ihrem Feldzug mit einem neuen Ministerium, das typisch italienische Produkte schützen und fördern soll: Es bekam den englischen Namen „Il Ministero del Made in Italy“ verpasst. Für den im gleichen Atemzug eingeführten neuen Schultyp eines Gymnasiums, das die Produkte des „Made in Italy“ lehren sollte, schrieben sich nur 375 Jungen und Mädchen ein. Ein Flop, die Schülerinnen und Schüler sind schlauer als ihr Bildungsminister Giuseppe Valditara.
Aus dem Staatsfernsehen wird Giorgia-Meloni-Funk
Deutlich weniger zum Lachen aber ist der Versuch der Meloni-Regierung, die Kontrolle über die Medien zu gewinnen. „Wir bemerken“, so die Juristin und Universitätsdozentin Vitalba Azzolini, „dass die Regierung alle Stimmen der Kritik aus dem Fernsehen entfernt. Die Talkshows haben nur noch weichgespülte Gäste, die zwar dagegen sein dürfen, aber wenn sie mit Fakten argumentieren, werden sie nicht wieder eingeladen. Wir sehen eine schleichende Gleichschaltung der Medien.“
Das Staatsfernsehen Italiens, Radiotelevisione Italiana RAI, wird direkt von der politischen Mehrheit des Parlamentes kontrolliert und hat einen Marktanteil von über einem Drittel. Hier ist der politische Durchgriff unmittelbar. Die Präsidenten der beiden Parlamentshäuser Italien ernennen die Direktoren und eine parlamentarische Kommission kontrolliert jede Entscheidung. In Italien beaufsichtigen die Politiker die Journalisten, nicht umgekehrt.
Traditionell waren die drei Staats-Sender RAI 1, 2, 3 nach Proporz aufgeteilt. RAI 1, mit dem größten Zuschaueranteil, wird der Regierungsmehrheit übergeben, RAI 2, gemischt, und nur RAI 3, der kleinste Sender, darf der linken Opposition folgen. Doch selbst diese relativ eingeschränkte Meinungsfreiheit scheint der Meloni-Regierung zu weit zu gehen. Die Regierung schöpft alle Instrumente aus, um tief in die Arbeit der Sender hineinzuregieren – und um Vertrauensleute mit einträglichen Posten bei den Sendern zu versorgen.
Knapp ein Viertel des italienischen TV-Marktes, nach Zuschaueranteilen berechnet, steht bereits indirekt unter Kontrolle der kleinsten der drei Regierungsparteien: Der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist nicht nur Gründer der Partei Forza Italia, seinen Erben gehört auch die Mediengruppe Mediaset. Lieblingsthema der Mediaset-Sender und -Zeitungen ist: Forza Italia.
Umdeutung der Probleme
Wohin diese Gleichschaltung führt, lässt sich beispielhaft am der Frauenpolitik und am Umgang mit der Geschichte des Landes sehen. Da findet im wichtigsten TV-Talk des Staatsfernsehens RAI bei „Bruno Vespa“ eine Diskussion über Abtreibung statt mit sieben Männern ganz unter sich. Diese rechtfertigen dann auch, dass ab sofort Gruppen ultrakatholischer Abtreibungsgegner Zugang zu den Beratungszentren für Frauen erhalten. Dabei sind diese Aktivisten berüchtigt für ihre rabiaten Methoden, mit denen sie Frauen von einer Unterbrechung der Schwangerschaft abhalten wollen.
„Die italienische Rechte will die Frauen kontrollieren, dafür ist ihnen jedes Mittel recht“, sagt die Schriftstellerin Dacia Maraini über die erste Regierung Italiens, die von einer Frau geführt wird. Immer mehr Frauen erheben ihre Stimmen gegen die Meloni-Regierung, weil die Rechte immer vehementer die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 194 fordert. Als sei die extrem niedrige Geburtenrate Italiens Schuld der Frauen und nicht der frauen- und familienfeindlichen Bedingungen: kaum Betreuungsplätze für Kleinkinder, so gut wie keine finanzielle Unterstützung für Mütter.
Statt an diesen Realitäten zu arbeiten, arbeitet die Meloni-Regierung lieber an deren Deutung durch die Medien. Auch sonst sind die Probleme mannigfaltig: Das Wirtschaftswachstum ist mager, die Staatsverschuldung enorm. Die Beschäftigungsquote von knapp 64 Prozent liegt am unteren Ende des EU-Spektrums. Viele gut ausgebildeter Jugendliche verlassen Italien, viele Industriebetriebe ebenfalls. Zugleich sinkt die Einwohnerzahl des überalterten Landes Jahr für Jahr in den Dimensionen einer Großstadt
„Über all diese drängenden Probleme soll nicht geredet werden, stattdessen soll die kapillare Kontrolle der Medien die Meloni-Erzählung verankern: Alles ist gut, wir sind besser als die Vorgängerregierungen, Probleme gibt es nicht“, sagt Dozentin Azzolini. Und wer nicht spurt, dem wird der Knüppel gezeigt. Die Meloni-Mehrheit brachte jüngst einen Gesetzesentwurf ein, wonach Journalisten bei einer Verurteilung wegen „Diffamierung“ gar mit Gefängnisstrafen belegt werden könnten. Nach heftigen Protesten zog die Meloni-Partei den Vorschlag erst einmal wieder zurück, aber die Richtung ist klar.
Der Geist des Faschismus spukt weiter
Für einen Eklat sorgte nun der Umgang mit dem Schriftsteller Antonio Scurati, Autor eines Bestsellers über Benito Mussolini. Ihm wurde verboten, anlässlich des Tages der Befreiung vom Nazi-Faschismus, am 25. April einen Monolog zu halten. Aus dem faktisch zensierten Text zu zitieren, ist erhellend. Scurati zieht darin eine Parallele von der Ermordung des letzten Politikers, der es noch 1924 wagte, öffentlich gegen Mussolini zu sprechen, Giacomo Matteotti, und der dafür im selben Jahr von Mussolinis Schergen ermordet wurde, zu den Massakern, die 1944 von deutschen Truppen unter Mitwirkung der italienischen Faschisten verübt wurden. Die maßgebliche Mitverantwortung italienischer Faschisten für die Ermordung der rund 20.000 Zivilisten ist extrem gut dokumentiert, wird aber im italienischen Fernsehen totgeschwiegen.
Scurati: „Diese beiden gleichzeitigen traurigen Jahrestage – Frühjahr ’24, Frühjahr ’44 – verkünden, dass der Faschismus während seiner gesamten historischen Existenz – nicht nur am Ende oder gelegentlich – ein unauslöschliches Phänomen systematischer mörderischer und massakrierender politischer Gewalt war. Werden die Erben dieser Geschichte dies endlich einmal anerkennen? Leider deutet alles darauf hin, dass dies nicht der Fall sein wird. Die postfaschistische Regierungsgruppe, die die Wahlen im Oktober 2022 gewonnen hat, hatte zwei Wege vor sich: ihre neofaschistische Vergangenheit zu verleugnen oder zu versuchen, die Geschichte neu zu schreiben. Sie hat sich zweifelsohne für den zweiten Weg entschieden.“
Wo Europa Schlagseite nach rechts hat
Tatsächlich lügt die Meloni-Regierung die Geschichte um. Anlässlich der Gedenktage wird an die Judenverfolgung erinnert, an die Opfer der nazideutschen Besatzung. Der Beitrag der italienischen Faschisten zu diesen Massakern bleibt aber unerwähnt. Kein Wunder, war Giorgia Meloni doch Jugendfunktionärin der politischen Nachfolgeorganisation der italienischen Faschisten, des „Movimento Sociale Italiano“. Das MSI steht in der direkten politischen Nachfolge der Mussolini-Teilrepublik von deutschen Gnaden, der „Repubblica Sociale Italiano“.
Scurati: „Das Wort, das der Premierminister sich weigerte auszusprechen, wird immer noch auf den dankbaren Lippen aller aufrichtigen Demokraten klingen, ob sie nun der Linken, der Mitte oder der Rechten angehören. Solange dieses Wort – Antifaschismus – von denen, die uns regieren, nicht ausgesprochen wird, wird das Gespenst des Faschismus weiterhin das Haus der italienischen Demokratie heimsuchen.“ Worte, die im italienischen Staatsfernsehen nicht mehr ausgesprochen werden dürfen. Die Verbrechen der (eigenen) faschistischen Diktatur haben eine Blutspur der Massaker hinterlassen, von Libyen über Äthiopien, den Balkan durch ganz Italien. All das soll es nun nie gegeben haben. Das ist das Meloni-Italien: italienischen Käse essen und die Vergangenheit vergangen sein lassen. Und wehe dem, der dagegen aufbegehrt.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de