Großbritannien hat Ruanda zum sicheren Drittstaat erklärt und schiebt Flüchtlinge künftig in den zentralafrikanischen Staat ab. Doch wie läuft das eigentlich genau ab?
Das britische Oberhaus als zweite Kammer hat das Gesetz für erleichterte Abschiebungen von Asylsuchenden nach Ruanda nach langem Widerstand gebilligt. Damit erklärt Großbritannien das ostafrikanische Land zum sicheren Drittstaat und ermöglicht so die Abschiebung von Asylsuchenden. Das Gesetz soll Menschen von der gefährlichen Fahrt in Schlauchbooten über den Ärmelkanal abschrecken und das Geschäftsmodell von Schleusern zerstören.
Was steht im britischen Gesetz über Abschiebungen nach Ruanda?
Das Gesetz sieht vor, dass Asylbewerber, die über illegale Wege ins Vereinigte Königreich kommen, nach Ruanda abgeschoben werden – egal, woher sie kommen. In Ruanda wird ihr Antrag bearbeitet und dort können sie sich niederlassen, wenn ihr Antrag auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus erfolgreich ist. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.
Ausgenommen davon sind Menschen, die für die britischen Streitkräfte gearbeitet haben, also etwa afghanische Übersetzer.Infokasten Ruanda
Das Abkommen mit Ruanda sieht auch vor, „einen Teil der schutzbedürftigsten Flüchtlinge Ruandas“ im Vereinigten Königreich neu anzusiedeln. Auf welcher Grundlage diese Flüchtlinge ausgewählt werden sollen, regelt das Abkommen aber nicht. Das Vereinigte Königreich darf auch die Rückkehr aller nach Ruanda abgeschobenen Personen verlangen.
Wie sollen die Abschiebungen praktisch funktionieren?
STERN PAID Ruanda Genozid IV 0830Der britische Premier Rishi Sunak hoffte lange, dass noch im Frühjahr ein Abschiebeflieger nach Ruanda abhebt. Am Montag sprach er aber von zehn bis zwölf Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes – das wäre im Juli. Nach Sunaks Angaben gibt es einen Vertrag mit einem kommerziellen Anbieter, sodass die Regierung nicht auf Maschinen der Royal Air Force zurückgreifen muss. Auch ein Flugplatz stehe bereit. Zudem gibt es laut der Zeitung „Daily Express“ Überlegungen, Asylsuchende schon vorab mit regulären Flügen nach Ruanda auszufliegen. Die Zeitung „Times“ berichtete, Sunaks Regierung wolle ähnliche Abkommen mit Armenien, der Elfenbeinküste, Costa Rica und Botswana ausloten.
Warum Ruanda?
Mehrere Länder und auch Inseln wurden für die Asylpläne diskutiert, berichtete die „Times“ 2022, doch Ruanda sei besonders vielversprechend gewesen. Das Land hat bereits Erfahrung mit Geflüchteten und habe seine Gastfreundschaft unter Beweis gestellt, so Christiano d’Orsi, Dozent am südafrikanischen Forschungslehrstuhl für internationales Recht (SARCIL) an der Universität von Johannesburg. Ende 2021 hielten sich laut UNHCR rund 127.000 Flüchtlinge in Ruanda auf, viele von ihnen aus der Demokratischen Republik Kongo und Burundi. Die ruandische Regierung hat erklärt, dass sie dazu beitragen möchte, das globale Asylsystem auf eine barmherzige Weise zu verwalten.Herkunftsländer Flüchtlinge Deutschland 2023 6.21
Es ist jedoch anzunehmen, dass auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielen. Eine Sprecherin der ruandischen Regierung gab an, dass die von Großbritannien bereitgestellten Gelder im Land investiert und Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Obwohl noch keine Asylsuchenden in Ruanda angekommen sind, hat das Land bereits mehr als 240 Millionen Pfund (mehr als 270 Millionen Euro) von London erhalten, berichtete die BBC. Laut einem Bericht des britischen Nationalen Rechnungsprüfungsamtes wird die Gesamtsumme 370 Millionen Pfund betragen. Wenn 300 Menschen nach Ruanda geschickt werden, erhält die Regierung in Kigali demnach 120 Millionen Pfund sowie Zahlungen in Höhe von 20.000 Pfund pro umgesiedelter Person. Sunak erklärte, dass der Plan für Ruanda „langfristig buchstäblich Milliarden sparen“ werde.
Kritiker argumentieren zudem, dass sich der ruandische Präsident Paul Kagame mit dem Asylabkommen dem Westen als Partner präsentieren möchte. Kagame regiert den ehemaligen Genozid-Staat seit mehr als 20 Jahren autokratisch und wird beschuldigt, Menschenrechte zu verletzen und die Opposition im Land zu unterdrücken. Das britische Asylabkommen könnte daher als Teil von Kagames Ansatz gesehen werden, als verlässlicher Partner des Westens wahrgenommen zu werden – und menschenrechtliche Bedenken verstummen zu lassen.
Gibt es Vorbilder?
Die Menschenrechtsbeauftragte der UNO nannte das Abschiebe-Abkommen einen „weltweit gefährlichen Präzedenzfall“. Doch ähnliche Modelle gibt es durchaus.
Das bekannteste stammt wohl aus Australien. Das Land führte im Oktober 2001 die „Pacific Solution“ ein, zu deutsch die „pazifische Lösung.“ Demnach werden Bootsflüchtlinge im Pazifik abgefangen, und in Lager auf die benachbarten Inselstaaten Papa-Neuguinea und Nauru gebracht. Zwischen 2008 und 2012 wurde das Abkommen ausgesetzt, dann angesichts steigender Flüchtlingszahlen wieder aufgenommen. Im Juli 2013 verschärfte die Regierung das umstrittene Gesetz nochmals: Seitdem können sich selbst Menschen mit einem positiven Asylbescheid nicht mehr in Australien ansiedeln. Die Internierung von Asylsuchenden wurde von Menschenrechtsorganisationen und dem UNHCR vielfach und scharf angeprangert.
„The Migration Observatory“ der Universität Oxford vergleicht das Ruanda-Abkommen außerdem mit Beispielen aus Israel und Dänemark. Israel schob zwischen 2013 und 2018 Menschen mir eritreischer und sudanesischer Staatsangehörigkeit nach Ruanda ab. Auch Dänemark unterzeichnete eine Absichtserklärung über eine migrationspolitische Zusammenarbeit mit Ruanda.
Auch das Abkommen zwischen EU und der Türkei auf einem ähnlichen Prinzip: Seit 2015 werden Menschen, die versuchen über Griechenland in die EU zu flüchten, in die Türkei zurückgeschickt und ihre Anträge dort bearbeitet.
Was sagen die Kritiker?
Das Abkommen wird vielfach bemängelt. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk kritisiert das umstrittene Vorhaben: Es bedrohe die Rechtsstaatlichkeit und stelle „weltweit einen gefährlichen Präzedenzfall“ dar. Die Spitzen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und des UN-Menschenrechtsbüros haben Großbritannien aufgerufen, das neue Gesetz zu überdenken. Zusätzlich äußerte der oberste Gerichtshof in London deutliche Zweifel daran, dass Ruanda ein sicherer Drittstaat sein könne.
Die rechtspolitische Sprecherin des Vereins „Pro Asyl„, Wiebke Judith sagt auf Anfrage des stern: „Durch das Abkommen werden Menschenrechte ausgehebelt und Politik über geltendes Recht gestellt.“ Sie betont, das mehrere Gerichte das Vorhaben bereits stoppten: Der Europäischen Gerichtshof für Menschenreche im Juni 2022 und der britischen Supreme Court im November 2023. Nun schränkt die britische Regierung mit dem neuen Gesetz die Klagemöglichkeiten ein und setzt für die betroffenen Geflüchteten die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft.“ Judith sagt weiter: „Was da gerade passiert, gab es in diesem Ausmaß noch nie.“
Quellen: DPA, AFP, „Daily Express“, Abkommen zwischen UK und Ruanda (PDF), Bericht des britischen Nationalen Rechnungsprüfungsamtes, UNHCR, „Times“, „The Week“, „The Conversation„, BBC (1), BBC (2), „i“, Deutsche Welle, Briefing vom Europäisches Parlament,Stiftung Wissenschaft und Politik Aktuell,Bundeszentrale für politische Bildung, Pro Asyl .