Manal El Daoud: Berliner Unternehmerin: „Der Ramadan-Kalender ist ein deutsches Produkt“

Die Berlinerin Manal El Daoud hat den Ramadan-Kalender in Deutschland groß gemacht. Im Interview erzählt sie von der Empörung der Extremisten und ihrem Leben als Geschäftsfrau mit Kopftuch.

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30 Türchen bis zum Zuckerfest: Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland Kalender, die – ähnlich wie Adventskalender – die Tage im muslimischen Fastenmonat Ramadan bis zum Zuckerfest zählen. Manal El Daoud, 38, verkauft ihre Kalender zum Beispiel bei Kaufland, dm und über ihren Online-Shop. Seit dem Start im Jahr 2016 haben sich die Verkaufszahlen nach Unternehmensangaben verdoppelt.

Frau El Daoud, Ihren Ramadan-Kalender gab es zuerst bei Kaufland. Wie haben Sie damals den Einkäufer von einem Produkt überzeugt, das fast niemand kannte?
Es war tatsächlich sehr schwer, ihm klarzumachen, dass das eine Marktlücke ist. Dabei ging es vielen Kindern so wie meinen: Sie wünschten sich einen Kalender mit Süßigkeiten für den Ramadan, ähnlich wie einen Adventskalender. Der Einkäufer hat sich dann bei einer muslimischen Kollegin erkundigt, blieb aber skeptisch. Wir haben 2018 also ganz vorsichtig mit 60 Kalendern pro Markt begonnen, in knapp 300 Filialen in ganz Deutschland. Nach drei Tagen fragte er, ob wir nachliefern können, weil sämtliche Kalender ausverkauft waren.

Zugleich gibt es um Ihre Kalender viel Aufregung: Die einen kritisieren die Kommerzialisierung religiöser Feste, die anderen fürchten den Untergang des Abendlandes und wittern „Islamisierung“. 
Ich bin selbst Muslima und praktiziere meine Religion, aber ich bin offen für alles. Es gibt überall diese Radikalen, im Christentum ebenso wie im Islam. Die melden sich dann auf Social Media, ich nenne sie die Social-Media-Polizei. Aber erstens war auch im Christentum der Adventskalender einfach ein kommerzielles Produkt, das irgendwann jemand erfunden hat. Und zweitens haben wir uns von einem Hodscha in Ägypten…

Das ist ein islamischer Religionsgelehrter.
… eine Fatwa, also eine Art Zertifikat oder Siegel, geben lassen. Er hat uns ganz klar geschrieben, dass die Kalender nach den religiösen Regeln erlaubt sind. Was soll denn auch dabei sein? Man macht den Kindern eine Freude und bringt ihnen spielerisch den Islam bei. Zu dieser Ansicht stehe ich seit Jahren und gehe auf die Kommentare erst gar nicht mehr ein.

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Sie werden auch von Rechten angefeindet. 
Vor allem in den ersten Jahren war das ganz schlimm. Ich habe Morddrohungen bekommen und wüste Beschimpfungen des Propheten, wirklich unter der Gürtellinie und unangenehm. Auch bei Kaufland gingen Emails ein, dass sie jetzt boykottiert werden. Ein AfD-Politiker fotografierte den Kalender und postete ihn bei Facebook. Als wir dieses Jahr in den dm-Drogeriemärkten gestartet sind, habe ich wieder Hassmails bekommen. Das ist der Grund, wieso ich mein Gesicht bei Interviews nicht zeige und mich nicht fotografieren lasse. Ich will auf der Straße nicht erkannt werden.

Die Leute sehen in mir eine Hartz IV-Empfängerin.“

Was lösen solche Beschimpfungen bei Ihnen aus?
Am Anfang haben sie mich sehr verletzt. Mittlerweile bin ich etwas abgestumpfter. Trotzdem ist es ein Thema, das mich in den letzten Jahren immer beschäftigt. Ich habe an der TU Berlin studiert und ein Unternehmen gegründet. Aber solange ich ein Kopftuch trage, werde ich immer die Kopftuchtante sein. So werde ich auch oft genannt. Die Leute sehen in mir eine Hartz IV-Empfängerin. Das Kopftuch heißt für sie: Ich bin dumm und stehe hinterm Herd. Ich werde damit nie als Geschäftsfrau anerkannt. Auf Messen wollen die Leute sich nicht einmal mit mir fotografieren lassen.

Wie sehr besorgen Sie die guten Umfrageergebnisse der AfD?
Ich bin gebürtige Palästinenserin. Als ich eineinhalb war, floh meine Familie vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Deutschland. Wenn die AfD an die Macht kommt, werden wir dann wieder Flüchtlinge? Diese Vorstellung macht mir Angst. Viele, die ich kenne, gehen im Kopf schon die Frage durch, wohin sie auswandern könnten. Wohin soll ich als Palästinenserin gehen? Ich bin überall fremd. Das belastet mich sehr.

Was ist der Ramadan-Kalender für Sie?
Für mich ist er ein Symbol der Integration.

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In welche Ländern exportieren Sie?
Unser stärkster Auslandsmarkt ist Dubai, also die Vereinigten Arabischen Emirate. Da haben wir auch immer den Exklusivkalender. Er sieht etwas anders aus als der deutsche, orientalischer, und es ist die berühmte Moschee von Abu Dhabi zu sehen. In Dubai ist Prestige sehr wichtig. Da kommt unser Kalender gut an. 

Wie sieht es zum Beispiel mit der Türkei oder anderen mehrheitlich muslimischen Ländern aus?
Dorthin exportieren wir nicht. Mit Ausnahme von Dubai muss man sagen: Der Ramadan-Kalender ist ein deutsches Produkt – wie ein Berliner Döner. Hier in Deutschland kennen wir Adventskalender und haben eine Vorstellung davon, wie ein Ramadan-Kalender aussehen könnte. Wir verstehen die Idee dahinter. Das ist in der Türkei nicht so. Wir haben das Produkt öfter mal vorgestellt, aber nie einen passenden Abnehmer gefunden.

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