Kollision mit Frachter: Nach Brückeneinsturz in Baltimore: Sechs Vermisste vermutlich tot

Ein Frachter rammt eine Autobahnbrücke in den USA und bringt sie zum Einsturz. Die Behörden in Baltimore nehmen an, dass das Unglück sechs Bauarbeiter das Leben gekostet hat. 

„Wir werden unsere aktiven Such- und Rettungsbemühungen einstellen“: Mit diesen Worten nahm ein Vertreter der US-Küstenwache am Dienstagabend (Ortszeit) jede Hoffnung, dass nach dem Einsturz einer Autobahnbrücke in Baltimore im Bundesstaat Maryland noch Überlebende zu finden sein könnten. Aufgrund der Länge der Zeit, die mit der Suche verbracht worden sei, und der Wassertemperatur „glauben wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht, dass wir eine dieser Personen noch lebend finden werden“, sagte Shannon Gilreath von der Küstenwache.

In der Nacht zuvor hatte ein riesiges Containerschiff einen der Stützpfeiler der Francis Scott Key Bridge gerammt. Videoaufnahmen in Onlinediensten zeigten, wie das voll beladene Containerschiff gegen einen der Brückenpfeiler rammte. Auch der spektakuläre Einsturz der beleuchteten Brücke in den Patapsco-Fluss ist zu sehen.PAID STERN 2020_02 „Meine Brücke soll 1000Jahre stehen“ 10.18

Zwar hatte die Schiffsbesatzung vor dem Zusammenprall noch einen Notruf abgesetzt, was womöglich Leben rettete – denn Beamte an Land stoppten den Verkehr und verhinderten so, dass weitere Autos auf die Brücke gelangten. Trotzdem brachen große Teile der mehr als 2,5 Kilometer langen Brücke in sich zusammen, da tonnenschwere Stahlträger durch die gewaltige Krafteinwirkung wie dünner Draht verbogen, Menschen und Autos in die Tiefe gerissen wurden.

Zwei Menschen wurden gerettet

Das unter singapurischer Flagge fahrende, rund 290 Meter lange Containerschiff „Dali“ war nach Angaben von Marylands Gouverneur Wes Moore „mit acht Knoten, also mit rasanter Geschwindigkeit“ auf die Brücke zugesteuert – das sind etwa 15 Kilometer pro Stunde. 

Nach Angaben des Verkehrsministers von Maryland, Paul Wiedefeld, befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks acht Bauarbeiter auf der Brücke, die dort Schlaglöcher reparierten. Zwei Menschen konnten gerettet werden. Eine Person wurde laut US-Medien zunächst in ein Krankenhaus eingeliefert und kurze Zeit später wieder entlassen. Die verbliebenen sechs Menschen galten über viele Stunden hinweg als vermisst.Baltimore FS 17.20

Gegen 1.40 Uhr (Ortszeit) am Dienstag waren offiziellen Angaben zufolge erste Notrufe eingegangen. Wenige Minuten später kamen die ersten Einsatzkräfte am Unglücksort an. Über den ganzen Dienstag hinweg suchten Polizisten und Rettungskräfte im Wasser, aus der Luft und an Land nach den sechs Vermissten. Dabei kam neben Dutzenden Tauchern auch Infrarot- und Sonartechnik zum Einsatz. Zunächst wurden auf diese Weise fünf Fahrzeuge im Wasser identifiziert, darunter drei Autos und ein Betonmischer. Menschen wurden aber nicht gefunden.

Brückeneinsturz: Behörden sehen keine Hinweise auf Terroranschlag

Die Vermissten lebend zu finden, wurde mit voranschreitender Zeit immer unwahrscheinlicher. US-Medien berichteten unter Berufung auf einen örtlichen Behördenmitarbeiter, dass das Wasser an der Stelle rund 15 Meter tief sei und es starke Strömungen gebe. Die Wassertemperatur lag demnach bei etwas unter zehn Grad.

Am Dienstagabend teilte dann der Vertreter der Küstenwache mit, dass die aktive Suche nach Überlebenden eingestellt werde. „Wir gehen von einer Such- und Rettungsaktion zu einer Bergungsaktion über“, sagte Roland Butler von der Polizei in Maryland. Die Strömung und Trümmerteile im Wasser seien gefährlich für die Rettungskräfte. Man wolle deren Gesundheit nicht aus Spiel setzen. Ein Vertreter der Polizei erklärte, über Nacht würden weiterhin Schiffe unterwegs seien. Am frühen Morgen würden dann erneut Taucher ins Wasser geschickt. Es gehe dabei jedoch nur noch um die mögliche Bergung von Leichen.

Hinweise auf eine vorsätzliche Tat oder gar einen Terroranschlag gibt es Behörden zufolge nicht. US-Präsident Joe Biden sprach von einem „schrecklichen Unfall“. Ersten Erkenntnissen zufolge könnte ein Problem mit der Stromversorgung die Ursache gewesen sein. „Unmittelbar vor dem Vorfall hatte das Schiff ‚Dali‘ kurzzeitig den Antrieb verloren. Infolgedessen war es nicht in der Lage, den gewünschten Kurs beizubehalten und kollidierte“, erklärte die Seeverkehrsbehörde von Singapur. Die Crew habe in einem letzten, verzweifelten Versuch, den Aufprall zu verhindern, „Anker geworfen“, erklärte die Schifffahrtsbehörde in Berufung auf Berichte der Charterfirma.

Baltimore wichtiger Hafen für die USA

Die Vorsitzende der Behörde für Transportsicherheit NTSB, Jennifer Homendy, äußerte sich zunächst nicht zu den möglichen Ursachen. „Die NTSB spekuliert nicht, wir liefern Fakten“, sagte sie. Bei den Untersuchungen würden sich zwei Dutzend Ermittler sowohl die Bauweise der Brücke als auch das Schiff und dessen Historie genau anschauen. Von besonderer Bedeutung sei dabei der sogenannte Schiffsdatenschreiber. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Brückenstruktur fehlerhaft gewesen sei, sagte Gouverneur Moore. „Die Brücke entsprach voll und ganz den Vorschriften.“

Die 22-köpfige Besatzung ist laut Singapurs See- und Hafenbehörde in Sicherheit. Das dänische Reedereiunternehmen Maersk bestätigte, es habe das Schiff von der Chartergesellschaft Synergy Group gemietet und darauf Fracht von Kunden transportiert. Die „Dali“ hatte nach Angaben von Singapurs Hafenbehörde im vergangenen Jahr zwei Inspektionen bestanden. 

Wie US-Medien unter Berufung auf die Küstenwache berichteten, wurden Vorkehrungen getroffen, um Umweltschäden so gering wie möglich zu halten. Demnach war auf dem Wasser ein Ölschimmer zu sehen. Verkehrsminister Pete Buttigieg teilte zudem mit, man stelle sich auf Lieferkettenprobleme ein. Diese beträfen nicht nur die Region um Baltimore, „sondern die gesamte US-Wirtschaft“. Die zuständige Behörde setzte den Schiffsverkehr in den Hafen bis auf Weiteres aus, größere Frachter wurden in einen Hafen des benachbarten Bundesstaats Virginia umgeleitet.Experte hält Brückeneinsturz für unwahrscheinlich 16.09

Wie US-Präsident Biden erklärte, handelt es sich beim Hafen von Baltimore um eine der wichtigsten maritimen Anlaufstellen der USA – insbesondere für den Import und Export von Autos und Kleinlastern. Demnach werden rund 850.000 Fahrzeuge pro Jahr darüber verschifft. Rund 15.000 Arbeitsplätze hängen davon ab. Biden will den Wiederaufbau der Brücke mit Geld vom Bund finanzieren. Gouverneur Moore rief den Notstand aus, um Hilfsmaßnahmen der Regierung von US-Präsident Joe Biden im nahegelegenen Washington zu ermöglichen.

Auf die Frage, ob Amerikanerinnen und Amerikaner sich um die Stabilität der Brücken des Landes sorgen müssten, entgegnete Buttigieg: „Ich kenne keine Brücke, die dem direkten Aufprall eines Schiffes dieser Größe standhält.“ Man müsse jedoch aus dem Unglück die richtigen Schlüsse ziehen und daraus lernen.

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