Christian Böttger über Tarifeinigung: Experte: „Strategisch und medial ist das für die Bahn ein kleines Fiasko“

Der erbitterte Kampf zwischen den Tarifpartner Deutsche Bahn und GDL findet nach fünf Monaten und insgesamt sechs Streiks ein Ende. Bahn-Experte Christian Böttger ordnet den Abschluss ein und spricht über mögliche Folgen für Bahnkunden.

Herr Böttger, endlich gibt es einen Abschluss zwischen GDL und Bahn. Wie ordnen sie den ein?
Die GDL hat Ihre Kernforderung, die 35-Stunden-Woche bei gleichem Lohn, durchgesetzt. Die Deutsche Bahn hat über Monate versucht, mit einer Medienkampagne die GDL unter Druck zu setzen und ist damit, wie auch in den letzten Tarifrunden, gescheitert. Strategisch und medial ist es für die Deutsche Bahn AG ein kleines Fiasko. Vom wirtschaftlichen Volumen betrachtet ist das aber keine Katastrophe, denn die Reduzierung der Wochenarbeitszeit ist über mehrere Jahre gestreckt. Offen bleibt, ob man genug Lokführer findet, denn den Mangel gibt es schon jetzt: Die Berliner Verkehrsbetriebe mussten Ihren Busverkehr aufgrund von Personalmangel schon um 6 % ausdünnen, bei vielen anderen Betrieben ist es ähnlich.

Welche Folgen hat es für die Kunden, wenn die Möglichkeit der 35-Stunden-Woche für Lokführer eingeführt wird?
Nun, pünktlicher wird die Bahn dadurch in jedem Fall nicht werden. Aber im Ernst: Kurzfristig wird sich nichts ändern, langfristig wird sich zeigen, ob das hilft, den Lokführerberuf attraktiver zu machen. Aber unmittelbare Folgen hat das für die Kunden nicht.

Gleichzeitig bietet die Bahn Lokführern, die 40 Stunden arbeiten, mehr Gehalt. Werden sich die Preise nicht erhöhen?

Da gibt es momentan zu viele Fragezeichen, um etwas vorherzusagen. Es gibt einfach zu viele Probleme. DB-Cargo ist durch jahrelanges Missmanagement völlig ruiniert, das merkt die Öffentlichkeit kaum, weil private Wettbewerber das Geschäft übernehmen. Sichtbar ist vor allem der Regionalverkehr, der zwei Drittel der gefahrenen Trassenkilometer ausmacht. Sowohl die DB als auch die Wettbewerber, die inzwischen etwa 30 % der Verkehre fahren, verlieren Geld wegen Personalmangel und schlechter Infrastruktur. Da tut sich ein großes Finanzloch auf. Hinzu kommt das Deutschlandticket, das keine neuen Kunden bringt, Milliarden kostet und nicht stabil finanziert ist. Anstatt vor steigenden Preisen Angst zu haben, muss man sich um die Zukunft des Regionalverkehrs in Deutschland Sorgen machen.

Zur Person

Nun hat die DB am vergangenen Donnerstag ihre Zahlen für das Jahr 2023 vorgestellt…
…und offenbar bis zur letzten Minute an den Zahlen herumgedreht: Zwischen der Prognose zum Jahresende und der Vorlage der Zahlen ist der Verlust um rund eine Milliarde Euro gestiegen. In privaten Großunternehmen würden für solche Änderungen Köpfe rollen. Ich wundere mich darüber, wie stumm der Eigentümer das hinnimmt. 

In jedem Fall zeigt sich: Die Bahn ist in einem sehr schlechten Zustand. Kann man es sich da leisten, die Lokführer bei gleichem Lohn weniger arbeiten zu lassen?
Ich halte nichts von diesem Argument. Denn das dahinterliegende Prinzip lautet ja: Dem Unternehmen geht es schlecht, wir greifen uns nun eine Gruppe heraus, die das ausbaden muss. Das Management bekommt derweil flotte Boni.

STERN C Deutsche Bahn 18:03

Die Manager der Bahn haben für 2023 keine Boni erhalten.
Aber ihre Grundgehälter wurden erhöht, ihre Verträge wurden verlängert – und das bei wirklich dramatisch schlechter Leistung. Im Übrigen hat man im Verwaltungsbereich nicht den Eindruck, dass die Bahn sparen muss. Dort wird das Geld mit vollen Händen ausgegeben. In der Zentrale haben Sie die Zahl ihrer Verwaltungsangestellten verdreifacht. Es gibt interne Papiere, die zeigen, dass im Verwaltungsbereich eine Milliarde Euro eingespart werden könnten.

Oder die Lokführer könnten ihre bisherige Arbeitszeit halten.
Wenn ich wirklich sage, dem Unternehmen geht es schlecht und in der Konsequenz den Leuten weniger zahle, dann finde ich einfach keine Mitarbeiter mehr. Das gilt im Übrigen auch für den Vorstand. Einem, der den Turnaround schafft, muss man auch viel zahlen, um ihn zu halten. Aber an der Verwaltung sparen heißt, Prozesse effizienter zu gestalten, nicht, Leuten weniger Geld zu zahlen. 

Laut Bahn wurden 2023 zehntausende neue Mitarbeitende bei der DB angestellt. 
Und gleichzeitig ist die Produktivität der DB Cargo um etwa 20 % gesunken, seit Jahren sinkt die Produktivität auch in anderen Sparten. Das sind verheerende Zahlen. Das alles zeigt wieder: Es braucht in der Verwaltung nicht unbedingt mehr Personal, es braucht bessere Strukturen.

Sollten aus ihrer Sicht nun Verwaltungskräfte zu Lokführern umgeschult werden?
Das wäre keine schlechte Idee. Nur sind das jetzt nicht die Leute, die man einfach so zu Lokführern umschulen kann. Es werden ja auch viele politische Versorgungsfälle bei der Bahn aufgefangen, beispielweise Bürgermeister mit Burn-out. 

Kommentar Streikrecht GDL

War es für die Bahn gar nicht so schwer, wie sie behauptet hat, den Forderungen der GDL nachzukommen?
Man muss es schon sagen: Schichtarbeiter sind besonders belastet. Und so hoch sind die Kosten, die durch die 35-Stunden-Woche entstehen, nicht. Eine Stunde Arbeitszeitverkürzung für Lokführer kostet pro Jahr wohl weniger als ein Tag Streik. Zudem soll die Reduktion über Jahre gestreckt werden. Vor allem, wenn man das über mehrere Jahre streckt, dann sind das um die zwei Prozent mehr Lohn im Jahr. Das ist nicht viel.

Wieso hat die Bahn dann nicht schneller nachgegeben?
Die DB hatte einfach keinen Einigungswillen, weil man die GDL im Wettkampf mit der Konkurrenzgewerkschaft EVG nicht stärken wollte. 

Es klingt als überrascht sie der Ausgang der Tarifverhandlungen nicht.
Nun, die GDL hat eine loyale Basis und eine klare Strategie. Die DB AG versucht seit Jahren, die Tarifkonflikte mit der GDL durch Diffamierung und öffentlichen Druck zu gewinnen. Sie scheitert jedes Mal, aber lernt nicht daraus.

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