Pandemie: RKI-Protokolle: Politik streitet über richtige Corona-Aufarbeitung

Die Veröffentlichung früherer Protokolle des RKI-Corona-Krisenstabs schreckt die Politik auf. Braucht es eine Aufarbeitung? Der Gesundheitsminister sagt: Die kommt jetzt. Jedenfalls ein bisschen.

In der Debatte um die Corona-Protokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) stellt sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach schützend vor die ihm unterstellte Behörde. „Das RKI hat damals, unabhängig von politischer Weisung, das Richtige getan“, sagte der SPD-Politiker am Montag.

Nach einem langen Rechtsstreit hat das RKI kürzlich Protokolle seines Corona-Krisenstabs herausgegeben. Das Onlinemagazin „Multipolar“ hatte darauf geklagt und veröffentlichte daraufhin die Unterlagen. Die mehr als 1000 Seiten geben einen guten Einblick in interne Besprechungen des Krisenstabs um den damaligen RKI-Präsidenten Lothar Wieler, allerdings sind sie teilweise geschwärzt.

Das Onlinemagazin „Mulitpolar“, das der Coronaleugner-Szene nahesteht, schließt daraus unter anderem, dass das RKI die Risikobewertung für Corona im März 2020 nicht aus eigener fachlicher Expertise erhöht habe. An der entsprechenden Stelle heißt es: „Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (Personenname geschwärzt) ein Signal dafür gibt.“ Das RKI weist diesen Vorwurf zurück ­– dem schließt sich Lauterbach nun an. 

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„Auch der sogenannten geschwärzte Mitarbeiter ist ein Mitarbeiter des RKIs, es gab also keine politische Weisung, auf die das RKI hier reagiert hätte“, sagte der Gesundheitsminister. Er verteidigt zudem die Entscheidung für eine strengere FFP2-Maskenpflicht im Winter 2020, auch deren wissenschaftliche Grundlage hatte das Onlinemagazin in Zweifel gezogen. „Es war von Anfang an klar: Wenn FFP-2-Masken falsch getragen werden, dass sie dann nicht so gut wirken“, sagte Lauterbach. Nachdem in der Bevölkerung jedoch das Tragen gelernt habe, hätten die FFP-2-Masken sehr viel geholfen. „Auch aus heutiger Sicht war das die richtige Entscheidung.“ 

FDP fordert Enquetekommission

Parteiübergreifend mehren sich nun Stimmen, die eine konsequente Aufarbeitung fordern. „Wir müssen alles offenlegen“, sagte der frühere NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im ZDF.  FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle bekräftigt nun die Forderung seiner Fraktion, die Entscheidungen der Pandemie im Bundestag kritisch zu überprüfen. 

„Die Politik bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn die massiven Grundrechtseinschränkungen der Corona-Zeit offen und transparent aufgearbeitet werden“, sagte Kuhle dem stern. „Eine parlamentarische Evaluation, etwa im Rahmen einer Enquete-Kommission, könnte nachhaltig dazu beitragen, entstandene Verletzungen zu heilen und mit Blick auf zukünftige Pandemien Fehler zu vermeiden.“ 

Lauterbach lehnt diesen Vorschlag ab. Der SPD-Politiker verweist auf eine Gruppe von mehr als 20 Wissenschaftlern, die nun einberufen werde und sich mit den Lehren aus der Covid-Pandemie beschäftigten soll. Auch die Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck seien Teil dieses Gremiums. „Dort wird am Thema Gesundheit und Resilienz intensiv gearbeitet“, sagte Lauterbach.

RKI-Protokolle? Grünen-Politiker warnt vor „Scheinskandal“

Auch Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen will die Corona-Erfahrungen auswerten – lehnt aber ebenfalls den FDP-Vorschlag ab. „Eine Enquetekommission oder gar ein Untersuchungsausschuss würde vor allem für parteipolitische Profilierung missbraucht werden“, sagte er dem stern. „Als Arzt und Politiker finde ich es vor dem Hintergrund der unzähligen Opfer falsch, die Aufarbeitung der Pandemie nun für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen.“

Dahmen warnt davor, dass es sich bei der Debatte um die RKI-Protokolle „offensichtlich um den Versuch handelt, einen Scheinskandal herbeizureden“.  Nach allen ihm bisher zur Verfügung stehenden Informationen bildeten die Dokumente die zum damaligen Zeitpunkt bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse ab. Manche Informationen seien mit dem heutigen Wissen bestätigt, zu anderen habe man Entwarnung geben können. „Daraus jedoch nachträglich einen Skandal abzuleiten, ist eher Ausdruck von Unkenntnis und dem Versuch weiterer Desinformationen, der mit redlichem Lernen aus der Pandemie nichts zu tun hat“, sagte Dahmen.

Auch das linke „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) fordert eine Aufarbeitung. „Eine Enquetekommission reicht nicht aus. Notwendig ist ein Untersuchungsausschuss, um die Zeit mit den größten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik zu beleuchten“, sagte Wagenknecht der dpa.

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