Autorin Julia Rosenkranz: Wie erklärt man den eigenen Kindern, dass man Krebs hat?

Nicht nur die Diagnose, sondern auch das berührende Instagram-Video von Prinzessin Kate rührt viele Menschen. Der stern hat mit einer Mutter von drei Kindern gesprochen, die ein ganz ähnliches Schicksal – und ein Kinderbuch darüber geschrieben hat.

Die Frage, wie spricht man als Mutter mit seinen Kindern über Krebs, bewegt seit der Veröffentlichung des Instagram-Videos von Prinzessin Kate viele Menschen. Sie haben im vergangenen Jahr genau zu dem Thema ein Kinderbuch geschrieben. Wie haben Sie Ihren Kindern vermittelt, dass Sie Krebs haben?
Ich habe nach meiner Diagnose einen ganzen Stapel fürchterlicher Prospekte und Bücher bekommen. Wir sind eine Buchfamilie und obwohl sie so schrecklich waren, haben sich meine Kinder daran geklammert. Für sie war dieser Buchweg und zu sehen, wie ich dann vielleicht aussehe, ein Zugang. Sie waren damals noch klein, zwei und vier Jahre alt, da redet man nicht darüber, dass ich vielleicht nicht wieder gesund werde. Das überschreitet die Fähigkeiten in dem Alter.

Heute ist es tatsächlich anders. Meine Töchter sind jetzt neun, sieben und fast zwei. Da bin ich einfach ehrlich und wir sagen, wie es ist. Was passiert, welche Behandlungen anstehen, und versuchen, das so gut, wie es geht, aufzufangen. 

Julia Rosenkranz Bio

Können Sie einschätzen, wie gut Ihre Kinder jetzt, beim zweiten Mal, damit zurechtkommen?
Dass es das zweite Mal ist, spielt keine Rolle, dafür waren sie beim ersten Mal zu klein. Dass es sie nicht belastet, würde ich nicht sagen, es ist einfach belastend. Aber ich finde, sie kommen damit ganz gut klar. Das liegt aber auch daran, dass wir von Anfang an auch unser ganzes Umfeld eingebunden haben. Wir haben der Schule Bescheidgesagt, dem Kindergarten und Freunden. Nicht, weil ich das mit allen teilen wollte. Aber ich finde, dass es für die Kinder ganz wichtig ist, dass sie an jeder Stelle, wo sie sich aufgenommen und wohl fühlen, die Möglichkeit haben, über alles zu sprechen. Und so hat auch das Gegenüber die Chance, sich darauf einzustellen und sich seine Antworten zu überlegen. Das findet ja nicht nur bei und zu Hause statt, ganz im Gegenteil.

Das ist frei nach der alten These: Es braucht ein ganzes Dorf, oder?
Aber mindestens! 

Die Belastung für Körper und Geist ist bei einer Chemotherapie immens. Wie schafft man es trotzdem, so viel Abstand zu gewinnen, dass man darüber noch reden kann und seiner Rolle als Mutter und im Falle von Prinzessin Kate, im Amt nachzukommen?
Ich habe das Video nicht gesehen, aber verschiedene Artikel darüber gelesen. 

„Als Mama einmal unsichtbar war“ von Julia Rosenkranz (Autorin) und Nele Palmtag (Illustratorin), Klett Kinderbuch, 32 Seiten, 16 Euro. (u.a. erhältlich bei Amazon, Thalia und buecher.de)
© Klett Kinderbuch

Wie hält man das aus, wenn dann auch noch so viel über einen spekuliert wird?
Das Gute daran, dass ich nicht Prinzessin Kate bin, ist, dass ich im Zweifel alle Rollen aufgeben kann. Das habe ich schon in der ersten Therapie gelernt: Das ist keine Entscheidung, sondern passiert von ganz allein. Gerade, wenn es einem zum ersten Mal passiert. Man kann plötzlich keine einzige Rolle auch nur ansatzweise erfüllen: weder Mutter noch Frau noch Kollegin noch irgendwas. Man wird so auf den letzten Rest, der noch da ist, reduziert, dass man damit erstmal klarkommen muss. 

Ich musste jetzt bei der Wiedererkrankung auch nicht aufrechterhalten, da wusste ich das schon vorher. Ich war in einigen Punkten stabiler, weil ich wusste: Das muss ich versuchen, mir zu erhalten. Da ist aber tatsächlich die Mutterrolle gar nicht die erste. Überhaupt nicht. 

Sondern eher die Selbsterhaltung?
Ja, genau. Je mehr Kraft ich darein stecke und je besser mir das gelingt, um so besser kann ich auch noch Mutter sein oder andere Rollen besetzen. 

Was muss Ihr Mann auffangen oder dieses ganze „Dorf“, das Sie eingeweiht haben? Die schaffen es nicht, eine Mutter zu ersetzen, oder?
Nein, mein Mann muss, ehrlich gesagt, mehr auffangen, als ein Mensch allein überhaupt auffangen kann. Das ist tatsächlich eigentlich nicht zu schaffen. Aber faktisch ist es so, dass der Partner einen zweiten Menschen komplett ersetzen muss. Das sind so „Kleinigkeiten“ wie einkaufen, Kinder zum Hobby fahren, saubermachen und, und, und. Das summiert sich natürlich und zudem arbeitet er auch noch voll. Die finanzielle Ebene gehört natürlich auch dazu, er kann nicht sagen „Dann lasse ich das jetzt mal und kümmere mich um die Familie“. Das geht über die Grenzen einer einzelnen Person hinaus, das schafft man nur eine zeitlang. Entsprechend müssen auch viel mithelfen, Freunde, Verwandte, Nachbarn. Das greift schon alles ziemlich gut, aber das ändert nichts daran, dass der Partner völlig überbelastet ist. 

Das Interessante an der Mutterrolle, die man so ein bisschen aufgibt, ist, dass die Kinder mehr tragen müssen als viele andere Kinder. Aber: Sie tragen einen auch mit, wenn man das zulässt. Sie können mich wirklich trösten. Am Anfang denkt man, das klingt so negativ, wenn man die Mutterrolle nicht mehr so erfüllen kann, aber ich finde, es füllt sich dann auch von der anderen Seite. Zwar kann man sagen „Oh, aber das sind doch Kinder!“, aber daraus entsteht etwas Neues, was auch wirklich gut ist, auch für die Kinder. Zumindest fühlt es sich für uns als Familie gut an! Obwohl sie noch Kinder sind, können sie viel einbringen. 

Wie zeigt sich das?
An ganz schlechten Tagen, egal ob körperlich, seelisch oder emotional, können sie mich gut auffangen, trösten oder mithelfen. Das ist natürlich nicht immer so, sie müssen dann auch wieder Kinder sein, aber das hilft uns allen sehr. 

Kate Deborah James

Kinder lernen dann oft sehr schnell, selbstständiger zu sein, ist das in Ihrer Familie so?
Definitiv. Sie sind darauf auch angewiesen. Aber das ist nicht unbedingt negativ. Der Raum, den man vielleicht vorher geschützt hat, obwohl es vielleicht gar nicht mehr nötig war, lässt sie dann im positiven Sinne wachsen. 

Sie haben drei Töchter, da gibt es vermutlich viele Haare zu flechten, oder?
Absolut! Und viele Diskussionen über die Notwendigkeit des Anziehens zu führen!

Mögen Ihre Kinder Ihr Buch?
Jaaa! Aber das heißt nicht, dass es leicht ist, es mit ihnen anzugucken. 

Charles George Vergleich16:12

Ist es schon übersetzt worden, könnte man es schon mal an den Palast schicken?
Nein, aber das ist eine gute Idee! Geben Sie das mal weiter!

Welche Frage hätte ich Ihnen noch stellen sollen?
Was vielleicht zum Verstehen des Buch noch ganz gut ist, ist, dass ich selbst als Kind das auch erfahren habe, weil mein Papa auch Krebs hatte. Ich kenne das tatsächlich von beiden Seiten, nicht nur aus dieser Mama-Erwachsenen-Perspektive. Mir ist es vor allem aus der Kinderperspektive wichtig,  dass man einen Raum für all die unangenehmen Gefühle finden kann. Ich finde es super, wenn das Buch unangenehm ist, genau das soll es sein. Wenn man zusammen so ein Buch anguckt, kann man zusammen die Traurigkeit erleben oder zusammen nicht weiterlesen können. Dafür ist es da. 

Wie ist es Ihnen als Kind ergangen?
Wir haben nicht so offen darüber gesprochen, wie wir beide das tun. Damit blieb ganz viel ungesagt. Ich hatte wenig Raum, damit umzugehen, wollte den aber auch nicht aufmachen, weil ich gespürt habe, dass meine Eltern das überfordert. Früher kamen so große emotionale Brocken einfach nicht auf den Tisch, da hat selten jemand gesagt, dass er sich schlecht fühlt. Wäre aber vielleicht mal gut gewesen, hätte ich mir gewünscht!

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