Heute vor 25 Jahren: Tod im Tunnel – die Feuerkatastrophe vom Mont Blanc

Am 24. März 1999 fängt ein Lkw im Mont-Blanc-Tunnel Feuer. Der Brand breitet sich rausch aus, die Menschen in ihren Autos haben keine Chance, dem giftigen Rauch und Temperaturen von bis zu Tausend Grad zu entkommen. 39 Menschen sterben.

Es ist ein Mittwochmorgen gegen 10.45 Uhr, als der 57-jährige Belgier Gilbert Degraves mit seinem 40-Tonnen schweren Lkw die Mautstelle auf der französischen Seite des Mont-Blanc-Tunnels passiert. Der Laster ist beladen mit Margarine und Mehl, die für eine Lebensmittelfabrik in Mailand bestimmt sind.

Der 11,6 Kilometer lange Mont-Blanc-Tunnel ist der tiefste Tunnel der Welt und liegt 2478 Meter unterhalb des Gipfels des mit 4810 Metern höchsten Berg Europas. Als hier am 19. Juli 1965 nach vier Jahren Bauzeit die ersten Autos durchrollten, hatten Franzosen und Italiener ein Jahrhundert-Projekt abgeschlossen. Erst dieser Tunnel ermöglichte den ganzjährigen Straßenverkehr über die Alpen zwischen Chamonix auf der französischen und Aosta auf der italienischen Seite. Der Tunnel verfügt über 18 Feuerschutzräume – alle 600 Meter einen – und 77 Nottelefone.

Tunnelsensoren waren wegen Fehlalarms abgeschaltet

Nach rund zwei Kilometern im Tunnel steigt hinter dem Führerhaus von Degraves Lkw weißer Rauch auf, den er jedoch erst bemerkt, als er bereits in der Mitte des Tunnels ist. Der Berufskraftfahrer schaltet den Warnblinker an. Gegen 10.52 Uhr ist der Qualm schon so dicht, dass er die Tunnelsensoren auslöst, die auf schlechte Sicht im Tunnel reagieren. Der Fahrer stoppt schließlich den Lkw und steigt aus. Schnell bildet sich ein Stau. Dann steht plötzlich das Führerhaus in Flammen und brennt lichterloh. Der Fahrer flüchtet in Richtung der italienischen Seite aus dem Tunnelschacht.

Um 10.54 Uhr erreicht ein Anruf von einem Nottelefon den italienischen Kontrollraum. Die Sensoren hatten nur den Alarm auf der französischen Seite ausgelöst, auf der italienischen Seite wurde er am Vortag aufgrund eines Fehlalarms abgeschaltet. Endlich wird der Tunnel für weitere Fahrzeuge gesperrt und die Rettungskräfte machen sich auf den Weg.

Einsatzkräfte stehen an der französischen Einfahrt zum Mont-Blanc-Tunnel
© Pascal_George

Als der Rauch immer stärker wird, drehen die ersten Autos, die von Italien in den Tunnel gefahren waren, wieder um. Ein Mitarbeiter im Kontrollraum, der das Szenario über Kameras beobachtet, pumpt ihnen frische Luft entgegen. Ein fataler Fehler: Der mörderische Rauch schießt mit 4,5 Metern pro Sekunde über die Autos hinweg, die hinter dem brennenden Laster stehen. Schon bald ist die komplette französische Seite des Tunnels mit dem Qualm gefüllt.

Augenzeuge: „Es gab sechs Explosionen, ganz dicht nacheinander“

Der Rauch schwärzt die Videokameras der Überwachungsanlage. Die Rettungskräfte wissen nicht, dass viele Menschen in ihren Autos hinter dem brennenden Lkw eingeschlossen sind. In Panik versuchen einige von ihnen wegzufahren. Doch wegen des fehlenden Sauerstoffes versagen die Motoren. Einige wenige verlassen ihre Fahrzeuge, um die Feuerschutzräume aufzusuchen. Die meisten verlieren jedoch aufgrund des dichten, giftigen Qualms nach wenigen Minuten das Bewusstsein.

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Als die italienischen Retter bis auf wenige Meter an den Lkw herankommen, knallt es plötzlich. „Es gab sechs Explosionen, ganz dicht nacheinander“, erinnert sich ein Augenzeuge in einer TV-Dokumentation über das Unglück. „Es machte einfach nur bäng, bäng, bäng, bäng, bäng, bäng. Ganz schnell. Das waren wirklich mächtige Explosionen.“

Bei dem Feuer im Mont-Blanc-Tunnel kamen 39 Menschen ums Leben, viele von ihnen eingeschlossen in ihren Fahrzeugen
© Gerard Malie

Es sind die Reifen, die explodieren und wie Geschosse durch die Luft schießen. Die Feuerwehrleute ziehen sich zurück, retten unterwegs noch einige Menschen aus den Fahrzeugen. Das Feuer hat inzwischen auch auf andere Autos übergegriffen. Neben dem Volvo des Belgiers hat noch ein weiterer Lastwagen Margarine geladen. Margarine hat einen sehr hohen Energiegehalt. Geschmolzen ist sie fast so gefährlich wie Benzin. Und zwei weitere von den insgesamt 14 Lkw, die im Tunnel gefangen sind, haben zudem große Mengen Polyethylen geladen. Sie lassen das Inferno noch schlimmer wüten. Selbst erfahrene Experten sind überrascht davon, dass ein mit Margarine und Mehl beladener Laster so stark brennen kann, wie ein mit 30.000 Liter Benzin beladener Tanker.

Feuer im Mont-Blanc-Tunnel brennt drei Tage

Im Tunnel herrscht inzwischen eine Temperatur von mehr als Tausend Grad. Eine grausame Hitze, denen auch die Schutzräume nicht gewachsen sind. Über dem Brandherd schmilzt die Stahlverstärkung der Betondecke auf einer Länge von rund 100 Metern, tonnenschwere Steinbrocken krachen auf die Fahrzeuge. Irgendwann ist es auch den Feuerwehrleuten nicht mehr möglich, zum Brandherd vorzudringen.

Das Feuer wütet drei Tage lang. Von den Opfern bleibt kaum mehr übrig als Zahnreste, Asche und Eheringe. Das letzte Opfer kann erst fünf Monate nach der Katastrophe identifiziert werden. Als Ursache vermuten Brandschutztechniker einen weggeworfenen Zigarettenstummel, der den Luftfilter des Volvo FH12 entzündet haben dürfte.

Ausgebrannte Fahrzeugwracks stehen nach dem Feuer im Mont-Blanc-Tunnel
© STR

In einem nachfolgenden Prozess müssen sich insgesamt 16 Beschuldigte wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der damalige Präsident der französischen Tunnelgesellschaft ATMB, Rémy Chardon, erhält zwei Jahre Haft auf Bewährung und die Tunnelgesellschaften werden zu Geldstrafen von insgesamt 300.000 Euro verurteilt.

Der Fahrer des Lastwagens erhält ebenfalls eine Bewährungsstrafe von vier Monaten. Den Richtern erklärt er, er habe alles getan, was er tun konnte. Auch im Prozess sechs Jahre nach der Katastrophe wisse er nicht, was er in einer ähnlichen Situation besser machen könnte. „Ich konnte nichts anderes tun“, so Degrave, der 2002 in einem Interview mit dem stern erklärte, er habe das Gefühl, die Justiz versuche ihn zum Sündenbock zu machen. Sein damaliger Chef floh wegen der Sache nach Ecuador. „Es stellte sich heraus, dass er mich illegal arbeiten ließ. Daraufhin zogen sich Gewerkschaften und Verbände von mir zurück. Mir stehen keinerlei Ansprüche auf Unterstützung zu“. Eine Verantwortung an der Katastrophe bestritt er.

2001 wurde die Gedenkstätte für die 39 Menschen, die bei dem Feuer ums Leben kamen, in der Nähe des Mont-Blanc-Tunnels eingeweiht

Rückblickend hätte nach Angaben von Experten rasches und entschiedenes Handeln Dutzende Menschenleben gerettet. Es vergingen neun kostbare Minuten, bis die Ampeln an den Enden des Tunnels auf rot geschaltet wurden. Wäre das früher passiert, hätten mindestens acht, möglicherweise aber bis zu 22 Menschen gerettet werden können.

Das Unglück legt den Mont-Blanc-Tunnel rund drei Jahre lang komplett lahm und löst weltweit eine Diskussion über Sicherheitsvorkehrungen aus. Heute wird er für seine modernen Sicherheits- und Entlüftungsanlagen gelobt. Die Brandschutzräume wurden neu konzipiert und bieten heute einen direkten Zugang zum Fluchttunnel unter der Fahrbahn. Mit dem neuen Belüftungssystem kann die Luft gezielt gelenkt werden und im Brandfall werden die giftigen Rauchgase automatisch aus dem Tunnel geblasen. An die Katastrophe von damals erinnert heute nur noch eine Gedenkstätte mit einem steinernen Mahnmal in der Nähe des Tunneleingangs.

Sehen Sie oben im Video: Es ist eines der ambitioniertesten Infrastruktur-Projekte weltweit: Keine zwei Autostunden von Hamburg entfernt entsteht der Fehmarnbelttunnel. Er könnte für neue Beziehungen von Zentraleuropa zu Skandinavien sorgen. Kritiker weisen jedoch auf ökologische Schäden hin.

Quellen: National Geographic, stern.de, atropedia.net

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