US-Wahlkampf: American Türsteher: Das Chaos an der Grenze könnte Biden die Präsidentschaft kosten

Würden die USA heute ihren Präsidenten wählen, gewönne Donald Trump. Zum Verhängnis wird Joe Biden derzeit eine uramerikanische Emotion: die Angst davor, wer da Fremdes an die eigene Haustür klopft. Und vor allem, wie viele. 

Dass sich Amerikaner, über ein Budweiser gebeugt, über Einwanderungspolitik in die Haare bekommen, das hat 2024 schon etwas Altmodisches. Dreht sich die Welt dieser Tage nicht um Inflation, um die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, ja um den Kulturkampf? 

Umfragen zufolge wird Immigration das Thema im diesjährigen Präsidentschaftsrennen. 

Trump und sein Hofstaat machen die Biden-Regierung für die Rekordzahl an Migranten verantwortlich, zuletzt überquerten Hunderttausende pro Monat die Grenze. Die Demokraten werfen den Konservativen ihrerseits vor, den Grenzstreit als politisches Druckmittel zu missbrauchen. Mit anderen Worten: Wer die Hoheit über die Grenze gewinnt, ergattert womöglich die Schlüssel zum Weißen Haus. Infobox US-Wahl-NL

Donald Trump, der Grenzwertige 

Donald Trump hat ein schizophrenes Verhältnis zu Grenzen. Die Grenzen des Sagbaren, für die ist er taub. Die Grenzen der USA, die sind ihm heilig. Aus gutem Grund. Wer sich selbst am nächsten steht, für den ist der Abstand zu anderen das höchste Gut. Man erinnere sich: Es war kein glitzernder Wolkenkratzer in Manhattan, keinexklusiver Golfclub in Florida, sondern eine Mauer zu Mexiko, die zu Trumps Vorzeigeimmobilie wurde. Der Nachbar schicke nicht „seine Besten“, sondern Drogendealer und Vergewaltiger, erklärte er im Wahlkampf 2016. Einige davon seien „keine Menschen“, sondern „Tiere“, hetzte er vergangene Woche auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio.

Diese „Wir gegen die“-Rhetorik ist bis heute das trumpsche Leitmotiv. Nur er, der starke Mann, könne das Land vor dem, was da Böses kommt, beschützen. Auch wenn Trumps eigene Weste nicht mal mehr als eierschalenweiß durchgeht: Für diese Bedrohung macht der selbstinszenierte Messias seinen Erzfeind Joe Biden verantwortlich. PAID Analyse zu Bidens State of the Union7:44

Mission Gegenteil: Joe Bidens Versuch, seinen Vorgänger ungeschehen zu machen

Es stimmt: Noch nie zog es so viele Menschen in die USA. Allein im Dezember versuchten es 250.000, Tendenz fallend. Die Zahlen, wie viele Migranten illegal die US-Grenzen überquert haben, seit Biden das Weiße Haus übernommen hat, sind deutlich. Der konservative Sender „Fox News“ berichtet von mehr als sieben Millionen – ohne dabei allzu grob von linken Konkurrenzmedien abzuweichen.

Was die „Make America Great Again“-Meute gerne unterschlägt: Das Problem begann schon unter Trump. Seit Jahren schießen die Zahlen in die Höhe – bis die Corona-Pandemie die Sache zeitweilig löste. Damals griff die Trump-Regierung tief in die Trickkiste. Dank der obskuren „Title 42“-Regel konnten Bundesbehörden Migranten die Einreise verweigern, wenn die Gefahr bestand, dass sie Krankheiten einschleppen. Weil Title 42 nicht aus dem Immigrations-, sondern aus dem Gesundheitsrecht kommt, konnten Behörden Menschen je nach Herkunft innerhalb von Stunden ausweisen. Ein solides Werkzeug, von dem auch Biden Gebrauch machte, bis die Regel im Mai 2023 auslief.

Das soll nicht heißen, dass die Demokraten völlig unschuldig am Schlamassel sind. Als der Demokrat Biden 2021 übernahm, bestand sein erster Reflex darin, jeden Flecken Orange großzügig zu überpinseln. Die Ära Trump sollte nicht nur ungeschehen gemacht, sondern am liebsten umgekehrt werden. „Wir haben so viele Einwanderungsmaßnahmen von Trump rückgängig gemacht, dass es sehr lange dauern würde, sie aufzuzählen“, sagte Alejandro Mayorkas, Bidens Heimatschutzminister damals. 

So stoppten die Demokraten nicht nur den Mauerbau, sondern beschlossen zwischenzeitlich, dass Migranten nicht mehr in Mexiko ausharren müssen, bis ihr Status geklärt ist. Außerdem galt fortan Bandengewalt als legitimer Fluchtgrund. Das Argument ist allerdings dermaßen dehnbar, dass die ohnehin schon massiv unterfinanzierten Gerichte zusehends in Asylanträgen untergingen. Bis heute warten Millionen Fälle auf Bearbeitung. 

Wirtschaftsmotor Immigration

Auch das stimmt: Die USA sind Einwanderungsland Nummer 1. Obwohl die US-Bevölkerung rund fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, lebt hier fast ein Fünftel aller Immigranten. Aber ist das so schlimm, wie es rechte Hetzer glauben machen wollen? Nein.

Zwar liegt die Arbeitslosenquote derzeit bei moderaten 3,9 Prozent (einer von Bidens Erfolgen, die nicht beim Wähler ankommen). Gebraucht werden aber vor allem Kellner, Reinigungskräfte, Pfleger oder Gärtner. Sprich: Stellen, die in der Regel von Immigranten besetzt sind. Die seien „wahrscheinlich ein Grund, warum die Wirtschaft im letzten Jahr so stark gewachsen ist“, erklärt Mark Zandi, Chefvolkswirt bei Moody’s Analytics gegenüber CNBC. Trotzdem ist die Angst verbreiteter denn je – inzwischen glauben vier von zehn Amerikanern, dass Ausländer ihre Jobs stehlen. 

Dabei sind sich Experten sicher, dass es ohne die in der Regel jungen Arbeitskräfte längst nicht mehr ginge, werden die gebürtigen US-Amerikaner doch immer älter und bekommen immer weniger Kinder. Am Ende entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ein Land, dass zu 99 Prozent aus Einwanderern und deren Nachfahren besteht, Angst vor Fremden hat. Gut, dass die Ureinwohner einst keinen Wahlkampf geführt haben, als die „Mayflower“ mit den Pilgervätern am Horizont auftauchte.

Zuwanderung hat unterm Strich „einen Nettonutzen für die Wirtschaft“, fasst es Analyst Jack Malde laut CNBC zusammen. Dass Immigration per se der Wirtschaft schadet, davon sind laut einer von „Bloomberg“ in Auftrag gegebenen Umfrage dennoch 64 Prozent der US-Bürger überzeugt. Sie irren, ja. Aber sie glauben es eben. Und aus Irrglauben gefühlte Fakten zu formen, darin hat es Trump zur Meisterschaft gebracht. Trump wichtigste Gefolgsleute 8.55

Bidens Kehrtwende

Laut dem Meinungsforschungsinstitut „Gallup“ ist für 28 Prozent der Wähler das Chaos an der Grenze wichtigstes und damit womöglich entscheidendes Wahlkampfthema. Biden bleibt also nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorne zu suchen. Er muss Trump auf seinem eigenen Terrain schlagen. 

Zuletzt war der 81-Jährige einen großen Schritt nach rechts gestolpert. Er hatte den Republikanern angeboten, das Asylrecht zu verschärfen, mehr Geld in den Grenzschutz zu pumpen und sogar Massenabschiebungen in Aussicht gestellt. Im Gegenzug sollten sie ihre monatelange Blockade bitternötiger Ukraine-Hilfen aufgeben. Diese hatten die Rechten als politische Geisel gehalten, um ihre Grenzfantasien auszuleben. Tatsächlich sind aber nicht alle Forderungen der Republikaner isolationistischer Populismus. Nur kommt eben Biden schnell an seine Grenzen. Den Konservativen allzu sehr entgegenzukommen, ließe ihn nicht nur schwach aussehen, sondern könnte auch seine Stammwählerschaft verärgern. 

Bidens Kompromiss scheiterte letztlich an der Kompromisslosigkeit der modernen US-Politik. „Mir wurde gesagt, dass mein Vorgänger Mitglieder des Kongresses im Senat angerufen hat, um sie aufzufordern, das Gesetz zu blockieren“, erklärte ein ungewohnt rauflustiger Biden Anfang März in seiner Rede zur Lage der Nation. Seine einzige Chance besteht darin, den Spieß umzudrehen. Biden muss unentschlossenen Wählern klar machen, dass es in Wahrheit Trump ist, der einer Lösung im Wege steht. Allerdings gehört es bekanntermaßen zu Bidens größten Schwächen, seine Stärken zu verkaufen. 

In kaum einem Bereich trauen die Wähler dem Amtsinhaber so wenig zu, wie in der Migrationspolitik. Wie das „Center for Immigration Studies“ berichtet, war das Thema Einwanderung unter Unentschlossenen vier Mal wichtiger als unter demokratischen Wählern. Nur kommt es im November genau auf erstere an. Denn wie immer wird das Rennen um das Weiße Haus in den sogenannten Swing States entschieden – Bundesstaaten wie Pennsylvania, Georgia und Michigan, die nicht eindeutig in demokratischen oder republikanischen Händen liegen. Würde heute gewählt, würde Trump Umfragen zufolge in allen Swing States gewinnen. Dessen „Mi Casa es mi Casa“-Gehabe macht einfach mehr her.

Quellen: „New York Times„; „Council on Foreign Relations„; „Center for Immigration Studies„; „Economist„, AP; CNBC; „Brookings Institute„; „Foreign Policy in Focus„; „Financial Review„; „Washington Post

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