Bezahlkarte für Asylsuchende: Brandmauer ade? CDU stimmt AfD-Antrag im Dresdner Stadtrat zu – Kritik von Merz

Mit Stimmen aus der CDU-Fraktion hat der Dresdner Stadtrat die Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende beschlossen – und damit einen AfD-Vorstoß unterstützt. Die CDU räumt ein Versäumnis ein.

Deutlicher Riss in der viel beschworenen Brandmauer: Der Stadtrat der sächsischen Landeshauptstadt Dresden hat einem AfD-Antrag zur Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber zugestimmt und erhielt dafür auch Stimmen der CDU-Fraktion. Das geht aus einer Aufzeichnung der Stadtratssitzung von Donnerstagabend hervor. 

Dabei fiel die Entscheidung mit 33 zu 32 Stimmen denkbar knapp aus. Auch die Fraktionen der FDP und der Freien Wähler unterstützten den Antrag. Vor der Abstimmung hatte Thomas Lehmann (CDU) dargestellt, dass seine Fraktion den Antrag auch deshalb befürworte, weil er befürchte, dass die Einführung einer geplanten bundesweiten Bezahlkarte sich noch lange hinziehen könnte. 

Kritik aus den eigenen Reihen

CDU-Fraktionschefin Heike Ahnert stellte am Freitag die Genese des Falles dar. „Die CDU-Fraktion hat versucht, ihren eigenen Antrag vom November letzten Jahres gestern zur Abstimmung zu bringen. Dafür hat es im Stadtrat keine Mehrheit gegeben“, sagte sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (DPA). So sei nur die aktuelle Stunde mit dem Antrag der AfD geblieben, zu dem sich die CDU-Fraktion verhalten musste. „Ja, es wäre besser gewesen, wir hätten unseren Antrag im Stadtrat beraten können, anstatt dem AfD-Antrag zuzustimmen. Es wäre besser gewesen, hätte es einen eigenen Antrag dazu aus der Mitte des Stadtrates gegeben. Das muss der gemeinsame Anspruch der Fraktionen der Mitte für die Zukunft sein. Und so werden wir es auch handhaben“, ergänzte Ahnert.STERN PAID 37_23 AfD Sonneberg 18.25

Der Dresdner CDU-Kreis-Chef Markus Reichel kritisiert die Vorgehensweise der Stadtratsfraktion seiner Partei: „Eine solche Bezahlkarte wird von der CDU schon seit geraumer Zeit auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefordert und deren Einführung beschleunigt […] Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich, warum ein derartiger Antrag nicht von der CDU-Fraktion im Dresdner Stadtrat eingebracht wurde. Da hätte es einer Zustimmung zum AfD-Antrag nicht bedurft“, führt er in einem Statementaus.

Im vergangenen Jahr hatte CDU-Chef Friedrich Merz nach einer Debatte über die „Brandmauer“ zur AfD in der Kommunalpolitik klargestellt: „Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“ Am Freitag kritisierte er das Verhalten seiner Parteifreunde in Dresden scharf. „Die Entscheidung ist in der Sache richtig, im Verfahren inakzeptabel“, sagte er in Berlin. „Das war ein Fehler. Und wir werden über alles Weitere mit den Betroffenen sprechen.“ Die CDU habe immer gesagt, dass sie AfD-Anträgen egal in welchen Parlamenten nicht zustimmen werde. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte immer wieder klar Stellung gegen die AfD bezogen und eine Zusammenarbeit mit ihr strikt abgelehnt.

Bröckeln der Brandmauer berührt Glaubwürdigkeit

„Brandmauern haben einen hohen symbolischen Wert, weil sie eine Distanzierung von der AfD bedeuten. Das ist für die CDU besonders wichtig, um nicht in den Ruf zu geraten, mit der AfD zu kooperieren“, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer der DPA. Bislang sei das auch die bundespolitische und landespolitische Parteilinie gewesen. Ereignisse wie die Entscheidung im Dresdner Stadtrat hätten immer eine Rückwirkung auf die Glaubwürdigkeit.

Vorländer: „Wenn AfD und Freie Wähler auf kommunaler Ebene erstarken, werden sich auch Stadtparlamente oder Kreistage neu orientieren müssen, um überhaupt entscheidungsfähige Mehrheiten zustande zu bekommen. Da ist es nicht gänzlich auszuschließen, dass in der einen oder anderen Weise auch mit der AfD abgestimmt wird. Der Unterschied besteht aber darin, dass der Antrag im Dresdner Fall von der AfD selbst kam.“ Generell habe sich die CDU auch in den Städten bisher an ihre Linie gehalten, Anträgen der AfD nicht zuzustimmen. „In Dresden ist eine Grenze überschritten worden. Das ist eine neue Dimension.“Bezahlkarte Verzögerung 21.30

Der Antrag der AfD-Fraktion sieht vor, dass in einem Modellversuch eine Bezahlkarte die bisherigen Bargeld-Zahlungen für Asylbewerber ablöst. Mit der Karte sollen nur Zahlungen innerhalb Deutschlands möglich sein, zudem soll es weitere Einschränkungen bei der Nutzung geben. 

„Gemeinsame Sache mit den Nazis“

Seitens der Bundesregierung liegt zwar ein Kabinettsbeschluss zur Bezahlkarte für Flüchtlinge vor. Allerdings ist unklar, wann die bundesweite Regelung im Bundestag beschlossen wird. In manchen Bundesländern sind einzelne Kommunen schon vorgeprescht und haben eigene Bezahlkarten eingeführt. 

Ahnert erinnerte daran, dass es zur Einführung der Bezahlkarte einstimmige Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Bundesregierung gibt. „Was aufgeschrieben und beschlossen wurde, ist nichts anderes als diese parteiübergreifende Vereinbarung. Städte und Landkreise sind die unmittelbar Verantwortlichen für die Umsetzung dieses Projekts. Deshalb ist es auch richtig, dass ein Stadtrat über dieses wichtige Thema berät.“

Linke-Fraktionschef André Schollbach zeigt sich via Instagram verärgert: „Die CDU hat nun alle Hemmungen fallen lassen und macht ganz offen gemeinsame Sache mit den Nazis.“

Der sächsische Verfassungsschutz stuft den Landesverband der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Neben CDU, AfD, FDP und Freien Wählern gehören noch SPD, Grüne, Linke sowie die Dissidenten-Fraktion zum Dresdner Stadtrat. Dresden ist mit circa 570.000 Einwohnern nach Leipzig und vor Chemnitz die zweitgrößte Stadt Sachsens.

Quellen: Sitzungsstream, CDU-Dresden, Verfassungsschutz Sachsen, mit DPA

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