Ein Mitarbeiter einer Kieler Kirchengemeinde soll Mitte der 90er Jahre sexuelle Übergriffe auf christliche Pfadfinder begangen haben. Die Kirche will die Fälle aufklären und sucht nach Betroffenen.
„Was wir bisher wissen, macht uns erschrocken und auch wütend“, sagte die Pröpstin des Kirchenkreises Altholstein, Almut Witt. Ein Mitarbeiter der Kieler Kirchengemeinde Pries-Friedrichsort, der sich seit 1985 in der Jugendarbeit engagierte, soll Mitte der 90er Jahre sexuelle Übergriffe auf minderjährige christliche Pfadfinder begangen haben. „Wir wissen, dass junge Menschen damals Hilfe gesucht haben und der Mitarbeiter daraufhin die Kirchengemeinde verlassen musste“, sagte Witt am Donnerstag in einem Pressegespräch in der Kompass-Kirchengemeinde. Sie kündigte an, Anzeige gegen den Betroffenen zu erstatten, der noch in Kiel wohnen soll.
Erst durch Recherchen der „Kieler Nachrichten“ hatte die Pröpstin vor 14 Tagen von den Vorgängen vor knapp 30 Jahren erfahren. Seitdem versucht sie gemeinsam mit der Kirchengemeinde und den St. Michael-Pfadfindern, die Vorgänge zu rekonstruieren. Der betroffene Mitarbeiter habe die Übergriffe auf Jugendliche damals nicht bestritten, worauf seine Anstellung Ende November 1997 aufgelöst worden sei. Die Auflage sei gewesen, dass er aus dem Stadtteil wegzieht und eine Tätertherapie macht. Angeblich auf Wunsch der Betroffenen sei damals keine Strafanzeige gestellt worden. „Wir können heute nicht ausschließen, dass dabei Druck auf die Jugendlichen ausgeübt wurde“, so Witt.
Eine anonyme Mail an die Leitung des Pfadfinderstamms St. Michael hatte die aktuellen Vorwürfe ins Rollen gebracht. Diese Mail enthalte schwere Anschuldigungen, sagte die Pastorin der Kompass-Kirchengemeinde, Anna Benkiser-Eklund. Der Beschuldigte soll in einem Freizeitlager Jugendliche in ihrem Schlafsack belästigt und gegen ihren Willen berührt haben. „Aber wir müssen damit rechnen, dass auch Dinge passiert sind, die darüber hinausgegangen sind.“ Zu der Frage, ob auch der Suizid eines Pfadfinders damals in Verbindung mit sexualisierter Gewalt gestanden habe, gebe es unterschiedliche Äußerungen. Beide Positionen seien glaubwürdig, sagte Benkiser-Eklund.
Gemeinsam mit der Kirche wolle man jetzt Licht ins Dunkel bringen, sagte Jessica Schlottke vom Landesvorstand des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP). Daher rufe man Betroffene auf, sich zu melden. Zu Beginn dieses Jahres habe die VCP bundesweit eine Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Auftrag gegeben. Möglicherweise sei das der Anlass für die anonyme Mail gewesen. Schlottke kündigte an, Eltern und Mitglieder der Pfadfinder umfassend zu informieren und auch Gelegenheit zu Fragen zu geben.
„Wir möchten den Betroffenen zuhören, ihnen helfen und wollen den Vorwürfen auf den Grund gehen“, sagte Pröpstin Witt. Es könne auch schon früher Vorfälle gegeben haben. „Wir stehen bei der Aufarbeitung noch ganz am Anfang.“