Katastrophenjahr 2023: Die Deutsche Bahn – zwischen Betrug und Selbstbetrug

Für die Deutsche Bahn war 2023 ein Katastrophenjahr. Doch schlimmer noch ist der Ausblick: Aus der versprochenen Generalsanierung wird eine Dauerbaustelle ohne Aussicht auf Besserung.

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Als kürzlich im ICE bei voller Fahrt nach Hamburg die Lautsprecher knackten, ahnten viele Fahrgäste nichts Gutes: Heute leider keine Heißgetränke im Speisewagen, oder Ausfall der Klimaanlage in den vorderen Waggons, so was in der Art – man kennt die Durchsagen ja inzwischen. Doch nein, es ertönte Musik, „Happy Birthday to you“. Der Zugführer habe Geburtstag und das ganze Team wolle gratulieren, sagte der Zugbegleiter – die Erleichterung der Gäste war förmlich mit Händen zu greifen.  

Seit Monaten schon hat man als Vielfahrer den Eindruck, die Zugbegleiter auf der Strecke und die Mitarbeiter an den Serviceschaltern sind die letzten, die den Ruf der Bahn retten: Oft werden sie bestürmt von aufgebrachten Passagieren, die ihre Anschlusszüge bereits verpasst haben oder absehbar verpassen werden, und die in Erfurt, Kassel-Wilhelmshöhe oder Hamm stranden. Und trotzdem versehen sie ihren Dienst, versuchen zu helfen, wo es noch geht, und manchmal gönnen sie sich und allen um sie herum sogar die nötige Portion Galgenhumor.  

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Denn anders als mit Sarkasmus ist kaum noch zu ertragen, was der Vorstand der Deutschen Bahn an diesem Donnerstag als Bilanz des Jahres 2023 vorgelegt hat: Mehr als jeder dritte Fernzug war im vergangenen Jahr verspätet unterwegs (wenn er denn überhaupt fuhr – ausgefallene Verbindungen werden in dieser Statistik ja bekanntlich gar nicht berücksichtigt). Kaputte Weichen, Schienen oder Bahnschwellen, defekte Signale und Bahnübergänge, marode Brücken, über die die Züge nur mit Tempo 30 zuckeln dürfen – was vor zehn Jahren der Berliner Skandalflughafen BER war, der weltweit für Mitleid und Spott sorgte, ist inzwischen die Deutsche Bahn: ein Symbol für Überheblichkeit, Missmanagement und Inkompetenz.  

Die Deutsche Bahn kennt keine Schuldigen

Zur Misere der Deutschen Bahn gehört auch, dass nicht einen allein die Schuld dafür trifft, oder wenigstens allein die Unternehmensführung. Nein, beim Staatskonzern wirken seit vielen Jahren schon Management und die jeweiligen Bundesregierungen und ihre Verkehrsminister auf eine besonders verhängnisvolle Art zusammen, die stets zwischen Betrug und Selbstbetrug changiert. Dutzendfach vollmundig angekündigte Strategie- und Investitionsprogramme, geschönte Statistiken, Jubelprojekte, die bestenfalls mit zehn Jahren Verspätung fertig werden – die Ergebnisliste dieser organisierten Verantwortungslosigkeit ist lang und schauderhaft.    

Nun könnte man meinen, die mehr als 2 Mrd. Euro Netto-Verlust, die das Bahn-Management für das abgelaufene Geschäftsjahr am Donnerstag verkündete, seien der Tiefpunkt. Ab jetzt gehe es wieder aufwärts, denn das war auch die Botschaft, die Bahnchef Richard Lutz mehrfach bei der Präsentation der Zahlen bemühte. Doch so schnell wird die Wende zum Besseren kaum gelingen, im Gegenteil. 

Doch nicht so viel Sanierung? 

Was der Bahn-Vorstand vor kaum mehr als einem halben Jahr noch als größtes Sanierungsprogramm in der Bahn-Geschichte verkaufte – je nach Zeitraum und Berechnung zwischen 42 und 87 Mrd. Euro für die Modernisierung der Schienen und Brücken – schrumpft nun Monat für Monat zusammen: Gesichert sind momentan nur die Investitionen für dieses und das nächste Jahr, von 40 besonders dringenden Sanierungsprojekten sind damit gerade mal drei einigermaßen gewiss. Statt 4000 Schienenkilometern, die modernisiert werden müssten, werden so nur 425 in einen besseren Zustand versetzt. Und die Kostensteigerungen, die sich schon jetzt bei den drei (!) Projekten ankündigen, sind dabei noch gar nicht enthalten.  

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Was erst nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr fertig werden soll, muss noch auf weiteres Geld hoffen. Verräterisch war, was Lutz am Donnerstag auf Nachfrage erklärte: Wenn das Geld knapp werde, werde man priorisieren, „genauso wie wir es die letzten 20 Jahren bei Bedarf an Projekten immer gemacht haben“. Für Bahnreisende dürfte das mehr nach einer Drohung klingen als nach Aussicht auf bessere Zeiten. 

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