Bürgergeld: Bringt es wirklich etwas, Totalverweigerern das Bürgergeld zu streichen, Herr Wolff?

Die CDU schlägt eine „Neue Grundsicherung“ statt Bürgergeld vor, mit härteren Sanktionen gegen arbeitsunwillige Leistungsempfänger. Arbeitsmarkt-Experte Joachim Wolff hält davon wenig. Er plädiert stattdessen für eine Kooperation auf Augenhöhe, wie sie die Bürgergeldreform ursprünglich vorsieht.

Herr Wolff, Sie untersuchen seit vielen Jahren, wie sich Maßnahmen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende auswirken. Nun schlägt die CDU vor, „Totalverweigerer“ hart zu sanktionieren. Wie blicken sie auf diesen Vorstoß?
Aus Studien wissen wir, dass Leistungsminderungen dazu führen können, dass Personen schneller Arbeit aufnehmen. Aber in manchen Fällen gehen sie dann schlechtere Arbeitsverhältnisse ein, als sie ihrem Potenzial nach könnten. In extremen Fällen, bei der vollen Streichung des Regelbedarfs oder aller Leistungen, bedeutete das, dass Menschen ihre Rechnung nicht mehr zahlen konnten. Ihnen wird der Strom abgeschaltet, sie haben kein Warmwasser mehr. Und das behindert sie dabei, sich zu bewerben.

Die sogenannten „Totalverweigerer“, hat sich herausgestellt, machen nur eine kleine Gruppe aus unter den Erwerbssuchenden. Genaue Zahlen hat die Bundesagentur für Arbeit nicht erhoben. Warum wird trotzdem über sie diskutiert?
Weil die Regierung sparen muss. Auch in der Grundsicherung. Die Haushaltslage hat sich erschwert. Und das ist problematisch, denn das Bürgergeld wurde erst 2023 eingeführt. Es versucht, stärker auf die Leistungsberechtigten zuzugehen und mit ihnen einen Kooperationsplan aufzustellen, wie sie besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können. 

Seit 2005 beschäftigt sich Dr. Joachim Wolff damit, wie sich die verschiedenen Maßnahmen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende auswirken. Er ist Forschungsbereichsleiter im Bereich Grundsicherung und Aktivierung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Welche Konsequenzen hätte die „Neue Grundsicherung“ der CDU?
Sollte die Partei im kommenden Jahr gewählt werden, würde die Bürgergeldreform abgebrochen werden, bevor wir überhaupt beobachten und untersuchen konnten, ob das das neue System gut funktioniert oder nicht. Das wäre schade. Aber die Ampel-Regierung hat einen ähnlichen Vorschlag zu härteren Sanktionen gemacht, der jetzt beim Bundesrat liegt. 

Mit dem Wort „Totalverweigerer“ assoziiere ich Männer, die früher den Wehrdienst verweigert haben.
Den Wehr- und Zivildienst, ja, das waren die Totalverweigerer. Es ist zwar ein historisches Wort, aber ein neuer Begriff, der gar nicht zum Bürgergeld passt: Mit der Reform wollte man den Leistungsberechtigten stärker auf Augenhöhe begegnen.

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Laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2019 ist die Kürzung der Leistungen um hundert Prozent nicht möglich. Warum wird trotzdem darüber diskutiert?
Das ist nicht ganz richtig. Eine Passage im Urteil greift das Beispiel der Totalverweigerer auf, mit anderen Worten. Unter bestimmten Bedingungen, so steht es dort, sei ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen. Aber damit meinte das Gericht meines Erachtens nicht, anders als der Vorschlag der CDU gelesen werden könnte, dass der Entzug dauerhaft gelten solle.

Angenommen, das würde so durchgesetzt, welche Folgen hätte ein Entzug?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Leistungen dauerhaft gestrichen werden. Und wenn doch, würde dagegen sicher schnell geklagt werden. Für die Jobcenter würde das bedeuten, dass einige wenige Menschen tatsächlich aus dem Leistungsbezug rausfallen.

In den ersten elf Monaten 2023 gab es 201.465 Fälle, in denen Leistungen gekürzt wurden, 80 Prozent davon aufgrund von Versäumnissen. Nur 13.838 Menschen haben Arbeits- oder Weiterbildungsangebote verweigert. Das sind wenige.
Mit diesen Zahlen müssen wir vorsichtig umgehen. 2023 war ein Übergangsjahr, in dem das Bürgergeld eingeführt wurde. Das Sanktionsmoratorium, das bis Ende 2022 in Kraft war, hat in den ersten Monaten nachgewirkt. Und vorher war die Pandemie. In Bezug auf die Leistungsminderung hat Corona besondere Folgen gehabt. Vor einer Sanktionierung muss eine persönliche Anhörung stattgefunden haben, die war während vieler Monate nicht möglich. Da musste man die Prozesse zwangsläufig aussetzen. 

Lässt sich durch die Sanktionen an „Totalverweigerern“ wirklich Geld sparen?
Ich gehe davon aus, dass das nicht die einzige geplante Maßnahme ist, sondern dass die CDU dann alle Sanktionen noch einmal bearbeiten und sie grundsätzlich strenger gestalten würde.

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Macht es einen Unterschied, ob Leistungen „Bürgergeld“ oder „Neue Grundsicherung“ heißen, hat der Name eine spürbare Wirkung?
Bürgergeld klingt schon anders als Arbeitslosengeld. Arbeitslosengeld II war eigentlich auch kein guter Begriff, weil das an Personen ging, die gar nicht unbedingt arbeitslos waren. Sondern an Personen zum Beispiel, die gearbeitet haben, aber nicht genug Einkommen hatten, um ihre Existenz zu sichern. Doch, der Name spielt eine Rolle.

Vielfach wird argumentiert, dass sich Arbeit infolge der Reform nicht mehr lohnt. Stimmt das?
Im Regelfall bekommt man mehr raus, wenn man arbeitet, als wenn man nicht arbeitet. Die Frage ist nicht nur, ob das Mehr als Anreiz ausreicht, arbeiten zu gehen. Kann sein, dass das auch mal nicht der Fall ist. Aber Arbeit verspricht auch soziale Kontakte, Anerkennung und Wertschätzung. Arbeit lohnt sich in vielerlei Hinsicht.

Im Jahr 2023 haben nur 2,3 Prozent der Arbeitslosen, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, innerhalb eines Monats eine Beschäftigung aufgenommen. In den beiden Jahren davor waren es 2,7 Prozent. Ist das Bürgergeld doch attraktiver als ein Job?
Es ist zu früh, um das beurteilen können. Die Bürgergeldreform muss erst mal umgesetzt werden. Eine Reform braucht Zeit.

Welche Fortschritte wurden gemacht in der letzten Zeit bei den Versuchen, die Leute wieder in Arbeit zu bringen?
Gerade für die Personen, die besonders große Schwierigkeiten haben, wieder Arbeit zu finden, hat sich einiges verbessert. Nach langer Zeit ohne Arbeit sind viele von ihnen demotiviert oder haben gesundheitliche Probleme. Und da hat man durch das Teilhabechancengesetz etwas bewirkt: Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslose beschäftigen, wurden Lohnkostenzuschüsse gezahlt. Das hat funktioniert.

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