TikTok-Postings: Gefährderansprache an 16-Jährige: Die Polizei hat mit Kanonen auf Spatzen geschossen

In Ribnitz-Damgarten hat die Polizei bei einer 16-jährigen Schülerin eine so genannte Gefährderansprache durchgeführt. Sie hatte rechte Botschaften gepostet. Die Polizei ist übers Ziel hinausgeschossen – hat den Rechten einen Dienst erwiesen. 

Keine Frage, das Mädchen driftete offenbar ab. Nach rechts. Auf TikTok postete die 16-jährige Gymnasiastin aus Ribnitz-Damgarten laut Polizeiangaben acht Bilder. Zeigte sich im Hoodie, auf den die Initialen HH eingestickt waren – für „Heil Hitler“ oder für „Helly Hansen“? Unter dem Bild der Deutschlandfahne prangte die Zahl 1161  – der Zahlencode für „Anti-Antifa“. „In Deutschland wird Deutsch gesprochen!!“, stand unter dem zweiten Bild. Mit zwei roten Ausrufezeichen. Daneben flatterte wieder die Deutschlandfahne. 

Das Mädchen postete laut Polizei auch die Fahne von Hansa Rostock, einem Fußballclub, der immer mal wieder Schlagzeilen macht, weil seine Fans durch Rassismus und Gewalt auffallen. Für das Mädchen „der beste Club der Welt“. Bei einigen Posts ist die Polizei nicht sicher, ob sie überhaupt von ihr stammen. „Nutzername lässt die Vermutung zu, dass es die gleiche Person sein könnte“, schreibt die Pressestelle der Polizeiinspektion Stralsund. „Heimat freiheit tradition, multikulti Endsttation“, wird da gefordert. 

Das Mädchen ist 16 Jahre alt. Politische Verwirrtheit gehört bei Teenagern zum Normalzustand. Wie holt man sie da raus? Indem man mit ihnen diskutiert, sie Referate halten und argumentieren lässt, vielleicht? Dazu rät jedenfalls die Bundeszentrale für politische Bildung. Sie mahnt, „Jugendliche realistisch und differenziert“ einzuschätzen. Klare Kante zeigen, aber im Gespräch bleiben.

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Der Schulleiter holte die Polizei. Warum redete er nicht mit der Schülerin? Warum fuhr er gleich ein solch großes Geschütz auf? Gegenüber der Presse will er sich nicht mehr äußern. „Die Schulleitung hatte die Polizei verständigt, da sie den Verdacht hatte, dass die vorliegenden Informationen möglicherweise strafrechtliche Relevanz hätten“, erklärt die Pressestelle der Polizei seine Motive. 

Screenshots waren Meinungsfreiheit 

Die Staatsgewalt kam also in die Schule, sah sich die Bilder an und konnte nichts Strafbares finden. „Wir haben diese Screenshots als freie Meinungsäußerung gewertet“, schreibt die Pressestelle. „Der Jugendlichen wurde kein Tatvorwurf gemacht, da die Prüfung der vorliegenden Informationen keine strafbare Relevanz ergab.“

Nun hätten die Polizisten abziehen können. Dem Schulleiter überlassen sollen, wie er weiter vorgeht. Doch die Polizei entschied anders: Das Mädchen wurde aus dem Unterricht geholt. Ihr wurden, wenn auch offenbar freundlich, wie die Polizei versichert, die Leviten gelesen. „Gefährderansprache“ heißt das im Fachjargon. Damit will die  Polizei Straftaten verhindern. Verdächtige sollen gewarnt sein. Achtung, Achtung, die Polizei hat dich im Visier. Wenn du was anstellst, wissen wir, wer es gewesen ist, und es droht Strafe. Bei drohender häuslicher Gewalt hat die Polizei in Bayern gute Erfahrungen damit gemacht, prügelnde Ehemänner durch mahnende Worte zur Räson zu bringen.

Allerdings gibt es auch für Gefährderansprachen Grenzen, die das Polizeigesetz zieht. Bürger haben das Recht, von der Polizei in Ruhe gelassen zu werden, wenn sie sich nichts zuschulden kommen lassen. In Niedersachsen erlaubt das Polizeigesetz Gefährderansprachen bei Minderjährigen nur, wenn die Eltern oder die gesetzlichen Vertreter dabei sind. Generell gilt, dass Gefährderansprachen nur durchgeführt werden dürfen, wenn „Tatsachen“ vorliegen, die „die Annahme“ rechtfertigen, „dass eine Person in einem überschaubaren Zeitraum die öffentliche Sicherheit stören wird“. Nur dann kann „die Polizei diese Person über die geltende Rechtslage informieren und ihr mitteilen, welche Maßnahmen die Polizei im Fall einer bevorstehenden oder erfolgten Störung ergreifen wird.“

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Störung der öffentlichen Sicherheit? Durch ein paar deutschtümelnde Bilder bei TikTok? Ja, die Anti-Antifa-Aktivisten spähen politische Gegner aus und bedrohen sie. Aber die Polizei hätte viel zu tun, wenn sie alle Leute ansprechen wollte, die so einen Dreck posten. 

Enge Grenzen für Gefährderansprachen

Gefährderansprachen sind ein probates Mittel, wenn eine Straftat zu befürchten ist. Das muss allerdings eine schwere Straftat sein, die sich zum Beispiel gegen „Leib, Leben, Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes“ richtet. Ein drohender Amoklauf wäre ein solcher Fall. Das war in Ribnitz-Damgarten aber offenbar nicht der Fall. Die Polizisten „erklärten der Schülerin, dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist“, betont die Pressestelle. „Auch ihre Posts wurden als freie Meinungsäußerung gewertet. Dies gilt jedoch nur so lange, wie keine Straftaten damit verübt werden.“ Die Polizisten erklärten der Schülerin, „wo sich dabei die Grenzen befinden“. Vermutlich ermahnten sie das Mädchen, keine Hakenkreuze zu posten und bloß nicht gewalttätig oder beleidigend zu werden. Und zogen wieder ab. 

Ihre eigenen Grenzen hatte die Polizei offenbar nicht im Blick. Die Pressestelle verschickt Mails, in denen die Posts des Mädchens genauestens beschrieben werden. Aber die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Gefährderansprache geschehen ist, lässt sie unbeantwortet. 

Keine Milieupflege durch die Polizei

Gerade Gefährderansprachen bei Jugendlichen sind ein sensibles Thema. Die Fachwelt – auch die Polizei – hat sich eingehend damit beschäftigt. Schon im Jahr 2012 formulierte die „Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe“ Mindeststandards, die unter Mitarbeit der Polizei erarbeitet wurden. Angesprochen werden sollen vor allem „Vielfach- und Mehrfachtäter“ bei bevorstehenden „Großlagen“ wie Demonstrationen, Fußballspielen oder befürchteten „Amokbedrohungslagen“. Gefährderansprachen sind ein Mittel, um den befürchteten Ernstfall abzuwenden, keine Gesinnungsschnüffelei, wie die Vereinigung betont. „Es geht somit ausdrücklich nicht um ‚Milieupflege‘ oder allgemein gehaltene Gespräche bei Jugendschutzstreifen.“ Gefährderansprachen sollten am besten auch von Jugendsachbearbeitern durchgeführt werden, also Polizeibeamten, die sich mit Jugendlichen auskennen. Ob das in Ribnitz-Damgarten geschehen ist, lässt die Pressestelle der Polizei ebenfalls offen.

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In Berlin, einem Brennpunkt der Jugendkriminalität, hat die „Clearingstelle Polizei und Jugendhilfe“ gute Erfahrungen mit Gefährderansprachen bei Jugendlichen gemacht – allerdings vor allem, um Opfer zu schützen. „Die Gefährderansprache ist ein wichtiges Mittel, um Menschen – in der Regel Jugendliche – davor zu schützen, (erneut) Opfer einer brutalen Gewalttat zu werden. Sie hilft Menschen darauf zu vertrauen, vom Rechtsstaat, hier vertreten durch die Polizei, auch geschützt und nicht Opfer eines ‚Rechts des Stärkeren‘ zu werden.“ Bei der Polizei gibt es also durchaus ein Problembewusstsein für Gefährderansprachen mit Jugendlichen.

In Ribnitz-Damgarten hat die Polizei offenbar mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Den Rechten hat sie damit einen Dienst erwiesen. Sie nutzen den Fall nun, um das falsche Narrativ zu verbreiten, dass die Polizei in diesem Land ausrückt, um schon Schüler auf Linie zu bringen. Der Landtag beschäftigt sich mit dem Fall. Der Schulleiter wird laut Presseberichten bedroht. Vor dem Gymnasium wacht die Polizei. Ob die Beteiligten je wieder miteinander arbeiten können? Ob das Mädchen je wieder von ihrem Weg abkommt? 

Sicher haben alle es gut gemeint: Der Schulleiter, die Polizei. Schließlich kann man dem erstarkenden Rechtsextremismus nicht tatenlos zusehen. Wehret den Anfängen. Stimmt. Aber manchmal ist das Gegenteil von gut eben nicht schlecht, sondern nur gut gemeint. 
 

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