Süper Lig: Schlägereien, Korruption, Anschläge: Der türkische Fußball versinkt in Gewalt

Der Fußball in der Türkei versinkt im Chaos. Am Wochenende stürmten dutzende Fans von Trabzonspor nach dem Spiel gegen Fenerbahce das Feld und lieferten sich wüste Prügeleien mit Spielern und Offiziellen. Nicht zum ersten Mal sorgt die Gewalt im türkischen Fußball für Schlagzeilen.

Es waren Szenen, die an die traurigsten Hochzeiten der englischen Hooligan-Szene erinnerten: Am Wochenende feierten die Spieler von Fenerbahce Istanbul ihren späten 3:2-Auswärtssieg bei Trabzonspor auf dem Rasen. Da stürmten dutzende gegnerische Fans das Feld, es kam zu wüsten Schlägereien.

Der ehemalige BVB-Spieler Michy Batshuayi traf einen Fan der auf ihn zulief mit einem Tritt auf Brusthöhe, Rechtsverteidiger Bright Osayi-Samuel musste von seinen Mitspielern weggezerrt werden, als er auf zwei Fans einschlug, die auf dem Boden lagen. Ein Fenerbahce-Fan bewaffnete sich bei dem Platzsturm mit einer der Eckfahnen und musste von Sicherheitskräften gestoppt werden. Videos in sozialen Netzwerken zeigen das folgende Chaos.

Der Vorfall am Sonntagabend warf einmal mehr ein Schlaglicht auf das, was in der türkischen Süper Lig seit Jahren Normalität ist: blanke Gewalt – von und gegen Verantwortliche, Spieler, Trainer und Schiedsrichter. Acht Jahre vor der Europameisterschaft in der Türkei wirken Behörden und der nationale Fußballverband TFF hilflos. 

In der Türkei brach ein Präsident einem Schiedsrichter das Jochbein

Die Stimmung in türkischen Stadien ist so berühmt wie berüchtigt. In internationalen Spielen bekommen auch ausländische Mannschaften zu spüren, was es heißt, etwa bei Galatasaray oder Besiktas Istanbul zu spielen. „Hexenkessel“ ist dann meistens die Beschreibung der Wahl. Ein großer Teil der türkischen Fans ist das, wofür das Wort „fanatisch“ erfunden wurde. Die Atmosphäre in den Stadien ist oftmals hitzig bis feindselig. Die Rivalitäten in der Liga – und davon gibt es einige – sind eine Mischung aus sportlichem Wettbewerb und blankem Hass. Meinung zu Frankfurt Hooligans in Neapel

Und dieser Hass mündet immer öfter in körperlicher Gewalt – nicht nur unter Fans. Im Dezember kam es zum Eklat, als der damalige Präsident des Vereins Ankaragücü, Faruk Koca, dem Schiedsrichter Halil Umut Meler nach dem Spiel gegen Rizespor mit der Faust ins Gesicht schlug und ihm so das Jochbein brach. Der Referee taumelte zu Boden, während mehrere Personen weiter auf ihn eintraten. Mutmaßlicher Grund für die Attacke war Rizespors 1:1-Ausgleich in der siebten Minute der Nachspielzeit. 

Nach der Attacke stellte der Verband den Spielbetrieb vorübergehend ein, gegen Koca und zwei weitere Personen wurde Haftbefehl erlassen. Er trat kurz darauf als Präsident zurück und wurde lebenslang vom TFF gesperrt. Die Attacke erschütterte die internationale Fußball-Welt und dennoch war sie nur ein weiterer Höhepunkt in einer Reihe von Ausschreitungen im türkischen Fußball. 

Ende November 2022 fand während der WM in Katar das Zweitliga-Stadt-Derby Göztepe gegen Altay Izmir statt. Vor und während des Spiels gab es blutige Ausschreitungen der Anhänger auf den Tribünen. Gäste-Fans schossen Pyrotechnik in angrenzende Blöcke – das Spiel musste unterbrochen werden, damit Verletzte behandelt werden konnten. Währenddessen stürmte ein Heimfan auf das Spielfeld, riss eine Eckfahne aus der Verankerung und schlug sie dem Torhüter der Gästemannschaft auf den Rücken. Das Spiel wurde abgebrochen, mehrere Krankenwagen standen auf dem Spielfeld, um verletzte Fans zu versorgen. 

Auch Korruption ist immer wieder Ausgangspunkt von Gewalt

Im April 2015 ereignete sich der bis dato schlimmste Vorfall: Nach dem klaren 5:1-Auswärtssieg von Fenerbahce bei Rizespor wurde der Bus der Gästemannschaft auf dem Weg zum Flughafen mutmaßlich von Rizespor-Fans angegriffen. Dabei schossen unbekannte Täter mit einer Schrotflinte auf das Gefährt. Der Fahrer wurde getroffen und musste operiert werden. Später fanden Beamte im Straßengraben ein Jagdgewehr, bei dem es sich wohl um die Tatwaffen handelte. 

Neben der ausufernden Gewalt ist auch das Thema Korruption immer wieder Thema im türkischen Profifußball. Im Juli 2011 wurden mehrere hochrangige Fenerbahce-Funktionäre festgenommen, weil sie das Saisonfinale verschoben haben sollen, um ihrem Verein den Meistertitel zu sichern. Wenige Wochen später attackierten Fans des Vereins während eines Testspiels gegen Shakhtar Donezk die Pressetribüne mit Gläsern, Münzen und anderen Gegenständen. Die Medienvertreter mussten sich in den Katakomben in Sicherheit bringen. Danach stürmten die Randalierer das Spielfeld und erzwangen einen Spielabbruch. 

Kaum Fan-Arbeit, kaum Sicherheitskräfte, kaum Konsequenzen

Seit Ewigkeiten gärt die Fan-Gewalt im türkischen Fußball und seit Ewigkeiten gibt es kaum Ansätze, dieser Gewalt etwas entgegenzusetzen. „Warum gibt es eigentlich keine Fanprojekte in der Türkei? Diese Frage kann einem keiner der Fussballexperten beantworten“, so Karin Senz, Türkei-Korrespondentin der ARD gegenüber dem Schweizer Fernsehsender SRF. 

Das einzige nennenswerte Projekt sei ein Fan-Bündnis der Hauptstadtklubs Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas gewesen, mit dem die eigentlich rivalisierenden Vereine ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen wollten und darin zumindest einen gemeinsamen Nenner fanden. Doch der Zusammenschluss sei mittlerweile aufgeweicht, so Senz. Ansonsten bestünde von Seiten der Vereine keinerlei Ambition, auf die eigenen Fangruppen einzuwirken und möglicher Gewalt vorzubeugen. Pöbeln, Tritte, Schläge: Berliner Fußball-Club engagiert Bodyguards, um Schiedsrichter zu schützen 1910

Hinzu käme, dass der Fußball in der Türkei auch eine politische Komponente habe, so Senz. „Es gibt ein Justizproblem in der Türkei. Und das zieht sich – so sagen es die Experten – eben auch bis in den Fussball hinein.“ Mit Blick auf den aktuellen Fall am Wochenende müssten auch die Kommunalwahlen Ende diesen Monats bedacht werden. Trabzonspor sei beispielsweise absolutes AKP-Gebiet. Die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan wolle es sich wohl nicht mit den Fans verscherzen, erklärt Senz und beruft sich dabei auf Experten.

Dennoch wird der Druck des Innenministeriums auf den türkischen Verband wachsen. 2032 soll die Europameisterschaft in Italien und der Türkei stattfinden. Schon in den vergangenen Jahren sorgten bei den Turnieren ausländische Hooligans teils für verwüstete Innenstädte und dutzende Verletzte durch Schlägereien. Der türkischen Staat wird wohl daran interessiert sein, dass es zumindest innerhalb der Stadien friedlich bleibt. Konzepte dafür gibt es bislang aber offenkundig nicht, wie die Fälle der Vergangenheit zeigen.

Quellen: SRF.ch, ZDF.de, Bild.de, Express.de, Spiegel.de, kicker.de

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