Barrierefreiheit im Bundestag: Heike Heubach ist die erste gehörlose Abgeordnete. Was bedeutet das für den Parlamentsbetrieb?

Heike Heubach zieht als erste gehörlose Abgeordnete in den Bundestag ein. Was die SPD-Politikerin antreibt – und wie sie den Parlamentsbetrieb verändern wird. 

Welchen Punkt Heike Heubach in ihrer ersten Rede machen wird, weiß wohl nur die SPD-Politikerin selbst. Doch schon jetzt lässt sich mit einiger Gewissheit sagen: Es wird eine Rede sein, die es unter der gläsernen Reichstagskuppel so noch nicht gegeben hat. Die den Bundestag verändern wird – und den Parlamentsbetrieb.

Heubach, 44, ist die erste gehörlose Abgeordnete des Bundestags. Die Sozialdemokratin aus Bayern rückt für den SPD-Politiker Uli Grötsch nach, der am vergangenen Donnerstag zum Polizeibeauftragten des Bundes gewählt worden ist. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte Heubach im Wahlkreis Augsburg-Land kandidiert, den Einzug ins Parlament aber noch knapp verpasst. Ein kleiner Dämpfer, wenn überhaupt, denn Heubachs Karriere verläuft steil nach oben.

Erst im November 2019 trat die gelernte Industriekauffrau in die SPD ein, 2020 stellte sie sich erstmals einer Wahl. Stadträtin in ihrem Wohnort Stadtbergen (rund 15.000 Einwohner) wurde Heubach zwar nicht. Doch die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern blieb beharrlich. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, zitiert sie Bertolt Brecht auf ihrem Facebook-Profil. Als sie sich für die Bundestagswahl 2021 aufstellen ließ, rangierten die Sozialdemokraten noch bei 14 Umfrage-Prozent – nun stellt die SPD den Kanzler. Und Heubach zieht doch noch ins Parlament ein. Am Mittwoch dürfte ihre erste Sitzung im Bundestag sein.

Wie sieht das konkret aus?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht von einem „starken Zeichen“ für die Inklusion – bisher ist der Bundestag eher durch seine mangelnde Vielfalt aufgefallen. Heubach solle eine weitgehend barrierefreie Wahrnehmung ihres Mandats ermöglicht werden, versicherte Parteikollegin Bas. Wie sieht das konkret aus?

Die Bundestagsverwaltung, zuständig für den parlamentarischen Betriebsablauf, bereitet sich nach eigenen Angaben seit längerer Zeit auf die neue Abgeordnete vor. Im SPD-Fraktionsblock soll Heubach einen festen Platz bekommen – schon diese Kleinigkeit ist ein Novum. Zwar ist die Sitzordnung der verschiedenen Bundestagsfraktionen festgelegt, jedoch nicht der Abgeordneten selbst. Hintergrund der Premiere sind die Gebärdendolmetscher, die vor Heubach Platz nehmen werden: Um das Plenargeschehen zu dolmetschen, aber auch um Zwischenfragen oder Kurzinterventionen von Heubach ins Mikrofon zu sprechen. 

Auch wenn Heubach eine Rede vor dem Plenum hält, kommen Gebärdendolmetscher zum Einsatz. Für sie ist ein fester Platz mit Mikrofon neben den Stenografen im Plenarsaal vorgesehen. Die Dolmetscher werden mit Blick zum Rednerpult sitzen und Heubachs Rede – die sie in Gebärdensprache halten wird – verbal übersetzen. Kommt es zu Zwischenrufen aus den Abgeordnetenreihen, werden SPD-Politikerin Heubach diese wiederum in Gebärdensprache übersetzt. 

Außerdem wurden in ihrem Abgeordnetenbüro technische Maßnahmen getroffen, um Barrierefreiheit zu gewährleisten. So wurden etwa Lampen installiert, um ihr anstehende Abstimmungen anzuzeigen – als Alternative zum Signalton. Je nach konkretem Bedarf der SPD-Politikerin werde es weitere Lösungen und Maßnahmen geben, teilt die Bundestagsverwaltung mit. 

„Heike Heubach ist gehörlos, aber vor allem hat sie eigene Ansichten“

Dass Heubach gehörlos ist, lässt sich wohl auf eine Mittelohrentzündung in der frühen Kindheit zurückzuführen. Sie führt zwar ein relativ normales Leben, wie viele andere Gehörlose auch, doch fremd ist ihr der Kampf um Teilhabe nicht. 

Als die Sozialdemokratin für die Stadtratswahl kandidierte, zog sie mit Genossen im Schlepptau von Tür zu Tür, erzählte sie einmal der „Augsburger Allgemeinen“. Um sich bei den Bürgerinnen und Bürgern vorzustellen, wurde ein kurzes Video vorgespielt. Dann sei Zeit für Fragen gewesen. „Leider hatte ich keinen Dolmetscher“, sagte Heubach der Zeitung. Bei der Übersetzung halfen die Parteikollegen oder schonmal ihre Töchter aus, die beide hörend sind. 

Für ihren Straßenwahlkampf zur Bundestagswahl 2021 hatte sie zwar Dolmetscherinnen dabei, habe allerdings rund ein Jahr lang warten müssen, bis ihr diese für den Wahlkampf genehmigt wurden, sagte sie damals zur „Süddeutschen Zeitung“. Sowohl die Bereitstellung als auch die Kostenübernahme, etwa durch die Krankenkasse, erfolgt oft nach individuellem Bedarf – nicht selten ein zäher und mühsamer Prozess. Zwar setze sie sich politisch auch für Inklusion ein, ihr Thema Nummer eins sei jedoch der Klimaschutz. Die SPD-Politikerin engagiert sich außerdem für bezahlbaren Wohnraum und will die Digitalisierung voranbringen. 

Heubach sei eine engagierte Politikerin und eine Bereicherung für Fraktion und Bundestag, betont Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. „Mir ist wichtig: Heike Heubach ist gehörlos, aber vor allem hat sie eigene Ansichten, politische Ziele und Wertvorstellungen, für die sie eintritt, so wie alle anderen Abgeordneten auch“, sagte Mast dem stern. Die SPD-Fraktion werde mit ihr vielfältiger, freut sich Mast. „Das wird richtig gut – und wir freuen uns auf Heike Heubach.“

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