Schäden im Milliarden-Bereich: So nutzen kriminelle Banden Amazons laxe Rückgabe-Politik aus

Onlinekäufe zurückzugeben ist so einfach wie nie. Amazon und Co. sei Dank. Doch das könnte sich ändern: Kriminelle Banden haben betrügerische Rückgaben perfektioniert – und bieten sie als Dienstleistung an.

Irgendetwas hat wohl jeder Online-Shopper mal zurückgeschickt: Ob die Jeans vielleicht nicht passte oder das Kabel nun doch nicht das Richtige war. Eventuell bestellte man auch gleich mehrere Größen  – die entspannten Rückgabe-Prozesse von Amazon und Co. laden schließlich fast dazu ein, sie etwas für sich auszunutzen. Einige Kriminelle gehen dabei aber noch weiter: Mit Bestechung und Betrug nehmen sie systematisch die Onlinehändler aus. 

Die Masche ist eigentlich sehr einfach: Statt Produkte wirklich zurückzugeben, werden leere Pakete zurückgeschickt, die Päckchen mit anderen Inhalten gefüllt oder einfach als verloren gemeldet. Das machen nicht nur Profi-Gangster: Unter Schlagworten wie „Refund Method“ oder „r3fund“ gibt es etwa bei Tiktok jede Menge Anleitungen zum einfachen Rückgabe-Betrug. Doch die organisierten Banden gehen noch einen Schritt weiter: Damit alles reibungslos läuft, werden zusätzlich Lagerarbeiter, Paketlieferboten und andere Teile der Lieferkette bestochen. Und: Man kann dieses kriminelle Netzwerk auch einfach als Dienstleistung buchen. 

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Werben mit dem Amazon-Betrug

Das zeigt „CNBC“ gerade in einer großen Recherche. Demnach werben die Banden bei Tiktok, Telegram und auf Seiten wie Reddit mit ihnen „Diensten“. Das Versprechen: Wer sich an die Kriminellen wendet, bezahlt nicht mehr den Einkauf – sondern nur eine Gebühr für die Abwicklung der Rückgabe. Dann meldet man offiziell seine Rückgabe an, gibt die Daten und die Gebühr an die Bande weiter – und hat etwa ein „kostenloses“ iPhone abgestaubt. Für die Betrüger liegt der Vorteil auf der Hand: Sie müssen keine Käufer für die Betrugswaren finden, sondern arbeiten nur im Auftrag. Und: Statt selbst Waren empfangen zu müssen, können sie im Hintergrund bleiben und trotzdem kassieren. 

Wie groß die Banden sind, zeigt eine im Dezember eingereichte Klage Amazons: 48 Personen rund um den Globus wirft der Händler vor, als Teil der Gruppe „Rekk“ systematisch die Rückgabe-Politik des Handelsriesen ausgenutzt und gezielt manipuliert zu haben. Dafür hätten sie Gebühren von 30 Prozent des Warenwertes kassiert. Es handle sich um ein „illegales Geschäft“, so der Händler. Die Betrüger hätten „den Rückgabeprozess zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil ausgenutzt, auf Kosten ehrlicher Kunden und Händler“. Es gehe um Schäden in Millionenhöhe.

Kleiner Aufwand, großes Geld

Wie das illegale Geschäft konkret abläuft, zeigt der Fall des ebenfalls in der Klage genannten Noah P., der in einem der Lagerhäuser Amazons in Chattanooga, Tennessee gearbeitet hatte, bis er im Mai letzten Jahres an seinem Arbeitsplatz verhaftet wurde. P. gab später zu, mehrere Pakete als retourniert markiert zu haben – ohne, dass die Waren tatsächlich wieder bei Amazon angekommen waren. Dem Polizeibericht zufolge hatte er dafür 3500 Dollar bekommen. Was P. selbst nicht wusste: Das Geld kam von Rekk. Die Waren, die er fälschlich als erhalten markiert hatte, hatten einen Wert von über 60.000 Dollar.

Page war nicht der einzige auf der Gehaltsliste der Betrüger. Er habe noch zwei weitere Mitarbeiter in der Gegend, erklärte ihm sein Kontakt der Gruppe in Chat-Nachrichten, die der Polizei vorliegen. „Sie schaffen so 30 Scans pro Schicht, manchmal mehr“, heißt es dort. „Also mindestens 12.000 die Woche.“ Ein anderer Mitarbeiter desselben Warenhauses wurde von Amazon später in der Klageschrift als weiterer Komplize genannt, er soll einen Schaden von 100.000 Dollar mit über 76 betrügerischen Bestellungen verursacht haben.

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Die Kunden erwarten von Onlinehändlern einfache Retouren

Dass Amazon – und auch zahlreiche andere Händler – in diesem Maße betrügbar sind, ist zum Teil selbstverschuldet. Die reibungslose Rückgabe entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem der größten Pluspunkte des Onlinehandels, auch Amazons Erfolg baut zu einem Teil darauf auf. 

Die Kunden erwarten längst, dass sie Produkte bei Nichtgefallen einfach und möglichst auch noch umsonst retournieren können. Das baut Kundentreue auf, wie eine Befragung von Online-Shoppern erst im letzten Jahr zeigte: „Die Kunden erwarten heute ein reibungsloses und kostenloses Rückgabeverfahren, und wenn das auch bedeutet, dass der Kassenzettel als Kaufnachweis wegfällt, sind die Einzelhändler bereit, darauf zu verzichten“, heißt es in der Studie.

Strengere Überwachung bei Amazon-Retouren

Durch den zunehmenden Missbrauch steuert die Branche allerdings langsam gegen. Das ist angesichts des Schadens durchaus nachvollziehbar: Alleine in den USA sollen 2023 Waren im Wert von 101 Milliarden Dollar missbräuchlich retourniert worden sein. Das beinhaltet allerdings auch Fälle, in denen etwa Kleidung bereits getragen wurden oder Technik erst durch die falsche Benutzung des Kunden kaputtging. Um die Dimension klarzumachen: Insgesamt wurden laut der Nationalen Einzelhandelskammer der USA (NRF) im letzten Jahr Waren im Wert von 743 Milliarden Dollar zurückgeschickt.

Bei Amazon setzt man deshalb zunehmend auf Künstliche Intelligenz, um mögliche Betrugsfälle zu finden und beschäftigt Detektive, die sich gezielt mit den Betrugsgruppen beschäftigen. Das sagte der Konzern gegenüber „CNBC“. So sind die Betrüger oft überraschend unvorsichtig: In Werbevideos für ihre „Dienste“ tauchen etwa echte E-Mail-Adressen auf, Versandnummern werden nicht zensiert. Für die Ermittler sind das alles hilfreiche Hinweise.

Aber auch bei der Lieferung wird genauer hingesehen. Um Behauptungen eines gestohlenen Pakets vorzubeugen, sollen die Lieferanten die Ablage des Pakets fotografisch dokumentieren. Die Rückgabe wird ebenfalls misstrauischer beäugt. „Es gibt eine zunehmende Zahl von Händlern, die die Anzahl von Retouren überwachen und Kunden sperren, wenn es zu viele werden“; erklärt David Johnston, der Vize-Präsident der NRF gegenüber „CNBC“. „Wir sehen, dass das beim Onlinehandel zunimmt.“

Quellen:CNBC, RNF, Klageschrift

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